Die folgenden Zeilen sagen sehr viel über eure Selbstachtung aus. Und in Konsequenz dessen über die Achtung eurer Mitmenschen und was sie sagen. Schnallt euch an, ich reite wieder auf einem meiner Lieblingsthemen herum. Punktevergabe. Der Blödsinn der in der Schule mit mündlichen Noten bereits mehr mit der stereotypischen Vorstellung eines orientalischen Bazars zu tun hat als mit einer ordentlichen Bewertung von Leistung. Anstatt auf der alten Schulkamelle herumzureiten, möchte ich über ein nicht weniger verbreitetes Phänomen sprechen und werde dabei den ‘ollen G’vatter Haneke aus der Röhre schauen lassen. Die Absurdität der Punkte und Skalen macht auch vor Liebe nicht halt.

Wie macht ihr das so in der Liebe? Ein ganz gewöhnlicher Abend mit Lieblingsserie, Fertigessen und gemeinsamem “Internetten”, Chillen und Lesen ist ein solider Abend. Also ist der Abend… hmm… 7/10. Nichts Herausragendes, aber irgendwie mag man die auf Kohlenstoff basierende Lebensform neben sich doch ein wenig. Ansonsten hätten es wohl auch 6/10 getan. Für den Alltag ist das auch absolut okay. Aber meine Fresse, wenn Valentinstag vor der Tür steht, dann müssen wir an unserem Meta-Liebe-Score arbeiten. Für den Partner muss es mindestens eine 9 sein. Gut, dass wir hoffentlich auch den Bonus haben, den wir so großzügig für pupsnormale Abende mit Maggie Geilenhaal und Kit Sexington vor der Mattscheibe vergeben.

Und unsere Freunde und teilweise auch die Familien gehören schließlich auch überzeugt. Was ist es schließlich wert, wenn unser Partner als einzige Quelle den “Editor’s Choice”-Stempel vergibt. Mama und Papa können mit einer gelangweilt generischen 6/10 ganz schnell dafür sorgen, dass die 9 weit entfernt scheint. Und meine Nicht-Single-Freunde geben bestimmt gewollt schlechtere Punkte, weil sie ihre eigenen Valentinstags-Ideen als ach so großartig verkaufen wollen. Wartet nur auf meine Kritik, ihr Fickfische!

Ich stimme dir 7/10 zu!

Aber gehen wir doch weg vom Valentinstag! Das ist doch ein absoluter Ausnahmezustand! Alles nur von den Medien und Großkonzernen erstunken und erlogen, damit wir noch ein bisschen mehr Asche aus der Urne namens Portemonnaie klopfen! Also begeben wir uns in den Alltag. An den Esstisch, zu einem Plausch vorm Schlafengehen oder zu einer spontan entsprungenen Diskussion. Euer Partner hat sein Argument zu was-auch-immer getätigt und jetzt sitzt ihr da. “Was du mir damit sagen willst… ist 4/10, richtig? Du scheinst unzufrieden und erkennst klare Mängel, die das von dir benannte Thema qualitativ herunterziehen. Kann ich gut nachvollziehen. Ich sehe das nicht ganz so und würde schon eher auf 5/10 gehen, aber 4/10, 5/10… jeder hat da so seine Meinung.”

Via Flickr By Ana Sofia Guerreirinho

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10/10. Bedarf doch keiner Erklärung… und erst recht keiner Widerrede!

Das wirkt abstrus und ist es für die meisten von euch hoffentlich. Denn es obliegt euch nicht in erster Linie mit einer Punktzahl vergebens zusammenzufassen, was euer Partner gesagt hat. Oder auch was ihr selbst sagt. Es geht darum zuzuhören. Immer nur zu sagen, dass der Partner stets gute Meinungen hat, bringt nicht viel, wenn ihr überhaupt nicht wisst, was diese Meinungen sind. Eine Meinung und eine Lebenseinstellung ist vielschichtig und komplex und durch unsere Natur auch immer perspektivisch gefärbt. In einfachen Worten: Wenn jemand sich mit modernen Gender-Diskursen auseinandersetzt, dann ist die knapp dreistündige Brunft-und-Bumms-Parade “The Wolf of Wall Street” sehr wahrscheinlich in dessen Augen ein überflüssiges Stück Dreck.

Das ist nur ein Teil einer Komplettaussage, wird diesen Menschen jedoch wichtig genug sein, dass sie den Punkt ausführlich in eine eigene Kritik einbringen. Es kann wiederum sein, dass diese Menschen gleichzeitig sagen, dass sie dies nicht davon abhält dem Film eventuelle filmische Qualität in Form von Erzählung, Technik und Schauspiel abzusprechen und wenn sie dann dumm genug sind dem Film eine gute Note zu verpassen, müssen sie damit rechnen, dass viele Rezipienten sich nicht die Mühe machen, alle Punkte aufzunehmen. Es wird gespannt auf das Fazit und die Punktzahl gewartet. 8/10, wow, dann sollte ich mir das Produkt vielleicht doch geben, 6 und niedriger: na, dafür muss ich wirklich kein Geld ausgeben.

Gib’ mir deine Nummer

Die Punktzahl sorgt in einer Aussuch-Gesellschaft mit einer Vielzahl von Quellen zu Produkten aller Art zu lediglich einer Sache: der Entwertung des Wortes und der Kritik an sich. Ich könnte mit euch wetten, dass wir problemlos in die meisten Reviews über 500 Worten ähnlich wie Wikipedia-Artikel mit Schimpfwörtern, Kuchenrezepten und politisch aufgeladenen Botschaften füllen könnten… und kaum jemand bemerkt es.Wie oft redet ihr mit anderen Menschen über Filme, Bücher, Games und eine Person im Raum fragt, wie das jetzt in Punkten zu bewerten sei. Oder ob das nicht besser/schlechter als dieser und jener Titel sei.

Es ist für euch das, was ihr vor dieser bescheuerten Frage gesagt habt, dass es ist. Und wenn euch eure Meinung wichtig ist, dann zwängt ihr eure Meinung nicht in eine Zahl. Nur damit euch dieselbe Person 10 Minuten später erklärt, dass die 8/10 für “12 Years A Slave” nicht mit den 8/10 für “Dumm und Dümmer” verglichen werden können. Und selbst an diesem Punkt merken viele noch nicht, dass sie die Meinungen so vieler Menschen schlichtweg ausradieren und durch Nummerncodes ersetzen. Ich hätte dazu noch eine höchst anstößige Zeile, aber hoffe einfach mal, dass das hier genug Hirnfutter ist. Und wer glaubt, dass ich hier ein Nischenkonzept anspreche, der fragt einfach mal männliche Freunde, ob sie schon mal Frauen auf einer Skala von 1 bis 10 bewertet haben… und wenn es nur “im Scherz” war.

Featured Image by Betsy Weber