Diese Woche geht es weiter mit einigen Überlegungen zu den Gründen, warum Menschen zum Videospiel greifen. Letzte Woche hatte ich versucht zu verdeutlichen, dass es in erster Linie drei Aspekte sind, die Menschen zum Spiel treiben: Spaß, Eskapismus und Wettbewerb. Videospiele machen daher vor allem deshalb Spaß, weil sie in einem gewissen Maße interaktiv sind und dabei versuchen, dies mit dem Erzählen einer Geschichte zu verbinden. Dabei sind wir, die Spieler*innen, Teil dieser Geschichte und haben daher einen mehr oder weniger aktiven Part inne. Diese Interaktion kann man mit Sicherheit als Alleinstellungsmerkmal des Videospiels bezeichnen.

Geschichten, unabhängig von ihrer Erscheinungsform, versetzen uns Menschen immer in fremde Welten. Mal sind diese Welten sehr nah, wenn wir beispielsweise an Romanzen, Komödien oder Dramen denken, die ja fast alle in unserer bekannten Realität spielen. Oft schildern sie uns aber auch fremde Welten, sei es Tolkiens Mittelerde, Roddenberrys Star Trek oder die durchgeknallten Welten eines kommerziell nur mäßig erfolgreichen JRPG. Videospiele eignen sich durch ihre Multimedialität und die direkte Einbindung der Spieler*innen hervorragend, um solche Fantasiewelten zu erschaffen. Die dichte und logisch aufgebaute Welt von Mass Effect ist ein gutes Beispiel dafür, wie viel Liebe zum Detail nötig ist, um eine stimmungsvolle Welt aufzubauen. Eskapismus ist dabei zu verstehen als das „Sich-Verlieren“ oder Abtauchen in diese Welten, sei es auch nur für ein oder zwei Stunden. Was zunächst gefährlich klingt (wer verliert sich schon gerne selbst), ist eigentlich nichts anderes, als was wir Menschen bereits seit Jahrhunderten ohnehin machen. Und vielleicht ist der Eskapismus, die „Wirklichkeitsflucht“, notwendig für die Stabilität der menschlichen Psyche.
Der durchschnittliche menschliche Alltag war bis vor kurzem (sagen wir 60 bis 70 Jahre) von harter Arbeit geprägt (zumindest in den westlichen Industrienationen: in den weniger begüterten Ländern der Erde, in denen mehr Menschen leben, als wir uns vorstellen können, ist dies noch immer so) und deshalb war der Mensch sehr empfänglich für jede Form der Ablenkung. Diese kam in Form von Stammesfeiern und -riten, dem antiken Theater, dem mittelalterlichen Mysterienspiel, dem Buch und schließlich als Film und Spiel daher. Dies ist wenig verwunderlich: wer einmal einer relativ anspruchslosen und stupiden Tätigkeit nachgegangen ist, der weiß, wie psychisch ausgelaugt man sich abends fühlt und froh ist, sich vom Fernsehen oder einem anderen Medium der Wahl berieseln lassen zu können. Die höchste Form der Ablenkung sind dabei Drogen, egal ob nun Alkohol oder Lysergsäurediethylamid. Denn Drogen können einen Menschen aus der eigenen Realität in eine „bessere Welt“ förmlich katapultieren, allerdings mit teilweise unschönen Nebeneffekten. Aber gerade die Präsenz von bewusstseinserweiternden Mitteln jeder Art in der menschlichen Geschichte verdeutlicht, wie wichtig der regelmäßige Abschied vom Arbeitsalltag für unseren Geist und Körper ist. Und der Eskapismus, den Videospiele bieten, ist dabei nichts anderes als das Lesen eines guten Buches, das Sehen eines spannenden Films oder das Hören von berauschender Musik.

 
Katzen und Musik. Zwei sehr großartige Dinge. Via Mik3

Allerdings gibt es einige Videospiele, die sich nicht damit begnügen, eine halbwegs interaktive Geschichte zu erzählen. Sie machen die Spieler*innen selbst zum Schmied seiner oder ihrer eigenen virtuellen Geschichte. Passende Beispiele dafür wären Mount & Blade, Skyrim oder Day Z. Und nicht zuletzt Die Sims. Allen Spielen ist gemein, dass sie darauf setzen, dass sich die Spieler*innen frei in der Spielwelt bewegen können und im Rahmen dieser Welt alle Rollen ausfüllen können, die sie gewillt sind zu spielen. Auf die Spitze treibt dies Day Z. In dieser Multiplayer-Mod zu ArmA II werden die Spieler*innen ohne Erklärung oder Ausrüstung an einem Küstenstreifen eines fiktiven osteuropäischen Staates abgesetzt und müssen fortan in der Zombieapokalypse überleben. Der Spielerin oder dem Spieler steht es dabei frei, sich einen Hintergrund für den eigenen Charakter oder eine Erklärung für das Geschehen auszudenken. Hier erlebt bzw. schreibt also jede*r Spieler*in seine oder ihre eigene Geschichte. Gerade diese Freiheit in einer fiktiven Welt, das Spielen einer selbst ausgesuchten Rolle ist es, welches solche Videospiele attraktiv macht.

Aber auch ausserhalb des Sandbox-RPGs greift der Eskapismus, allerdings nicht ganz so stark. Denn vor allem in realistischeren Settings trifft mensch als Spieler*in immer wieder auf die Grenzen der Welt und erleidet somit immer wieder Brüche in der Illusion. Trotzdem würde ich aber behaupten, dass Videospiele das Medium sind, welches einen am ehesten in eine Welt abtauchen und in ihr Spaß haben lässt. Und das, ich glaube, da sind wir uns alle einig, ist doch allemal besser als Drogen.