Nein, dies ist nicht das Credo vieler Videospielkonzernbosse, sondern ein Kulturphänomen. Als wir noch grün hinter den Ohren und nach dem Podcast auch an den Hosen waren, haben Johannes, Walde und ich uns im Palastgarten über Rollenspiele aus Japan (JRPG) unterhalten. Das Gespräch war unsagbar unstrukturiert und die Moral von der Geschichte ist, dass wir das Abgedrehte und die Risikobereitschaft der Japaner mögen. Es hat viel öfter den Anschein, dass japanische Entwickler „einfach mal machen“ und hinterher schauen, ob und wie sich das Ganze vermarkten lässt. Wie sonst erklären wir uns Titel wie „Catherine“, „Ico“ und „Tokyo Jungle“?

Schau mir in die Augen, Gamer!

Mir ist aber ein tatsächlicher Unterschied zwischen japanischen und „westlichen“ Videospielen aufgefallen, der sich nicht in erster Linie auf Kreativität zurückführen lässt, sondern eventuell sogar auf eine Lebenseinstellung. Schon frühe, erfolgreiche Videospiele aus nicht-japanischen Spieleschmieden setzten auf die Ego-Perspektive. Man denke nur an Doom. Und später setzte sich dieses Genre seinen Siegeszug zu den heutigen Verkaufszahlen der „Call of Duty“-Reihe fort. Das First-Person-Prinzip wird jedoch auch für Nicht-Shooter genutzt und ist beliebt in Stealth („Deus Ex“, „Thief“ und Horrorspielen („Amnesia“), aber auch interaktiven Erzählungen wie „Gone Home“). Selbst „Grand Theft Auto V“ wagt sich auf dem PC-Port an eine First-Person-Option heran.

Dabei wird oftmals assoziiert, dass ihr der Held der Geschichte seit. Es gibt keinen sichtbaren Avatar, der in der Videospielwelt zu sehen ist. Zwar gibt es viele First-Person-Charaktere denen ein Charakter zugeschrieben wird, aber letztendlich scheint vielen eine Identifikation leichter zu fallen, wenn der sichtbare Charakter nicht vorhanden ist. Natürlich kann diese Herangehensweise aber auch lediglich aus Gameplay technischen Gründen gewählt worden sein. Doch aus eigener Erfahrung stelle ich fest, dass ein Jason Brody („Far Cry 3“) und Booker DeWitt („Bioshock Infinite“) viel eher mit dem Satz verbunden werden: „Das will ICH (doch aber gar nicht) machen!“

Via Flickr by Pikawil

Cloud vs. Sephiroth

Veni veni venias! Manchmal versetzen wir uns bei guten Geschichten auch lieber in den Antagonisten

Ethan Mars („Heavy Rain“) hingegen ist ein Charakter in einem Spiel, welches durchgängig von Moral-Choice und Konsequenzen aus den Spielerhandlungen lebt. Trotzdem ist es die Geschichte von Ethan Mars, die ihr lediglich bestimmt habt. Er wird zum besagten Avatar, zur Spielfigur eurer Geschicke. Und genau diese Herangehensweise Gang und Gebe. Statt scheinbar Teil der Geschichte zu sein, werdet ihr in Geschichten geworfen, die es zu erleben gilt.

First-Person-What? (Nani desu-ka!?!?!?!?*)

Japan scheint sich dem Prinzip des First-Person-Charakters gänzlich zu entziehen. Aus dem Stehgreif fällt mir nur eine „echte“ Spielsituation in First-Person-Perspektive ein und dabei handelt es sich um „The Legend of Zelda“… beim Angeln! Selbst wenn ihr ganz eindeutig euch in den Protagonisten einfühlen sollt, bekommt ihr einen Avatar gestellt. Dieser lässt sich häufig wie bei „Freedom Wars“ oder gängigen Online-RPGs individuell gestalten, doch DASS ein Avatar, der im Spiel jederzeit sichtbar ist, vorhanden ist, steht außer Frage (z.B. „Persona 3“).

Ich kann noch so weit in mein Gamerwissen vordringen, doch First-Person scheint kein gängiges Modell für Japaner darzustellen. Jetzt kann man argumentieren, dass dies daran liegt, dass PC-Spiele in Japan nicht so groß wären wie im Westen, doch spätestens seit dem Release der Playstation 3 bzw. der Xbox 360 sind Shooter auf der Konsole zur Regel geworden. Und überhaupt ist der Videospielmarkt global, was zwar bedeutet, dass das westliche Charakterdesign für Japaner wenig ansprechend bleibt, die Spiele jedoch auf jeden Fall zugänglich sind.

Via Flickr by Chi (in Oz)

Ni No Kuni Jutebeutel

Wir müssen auch nach Japan! Ich muss diesen Jutebeutel BESITZEN!!1!elf

Gelebter Eskapismus oder Es war einmal Johannes

Einige von euch erinnern sich vielleicht an Johannes’ Beiträge zu Videospielen in Bezug auf Eskapismus. Das klingt jetzt anstrengend und wissenschaftlich, doch wenn ihr Johannes’ Artikel und auch diese Zeilen lest, sollte klar werden, dass einfach nur ein wenig graue Masse angestrengt werden muss. Natürlich sind Videospiele dafür da, um dem Alltag zu entfliehen. Anhand der Trends lassen sich dabei ganz unterschiedliche Neigungen ausmachen. Wir im Westen wären gerne selbst der Held. Wir wollen oft scheinbar gar nicht Chrono (nur für dich, Johannes) oder Yuna sein, sondern viel lieber selbst Dragonborn oder Vault Hunter werden. Zwar nennen wir diese Charaktere anders und geben ihnen (wenn möglich und meist trotzdem nicht relevant) ein von uns verschiedenes Aussehen, doch sie sind meist ein Stück von uns.

In japanischen Spielen können wir oftmals lediglich Dinge aus uns in den vorgegebenen Charakteren wiederfinden. Natürlich gibt es mit „Freedom Wars“ und dem dazugehörigen Über-Vorbild „Monster Hunter“ auch von Story großteils freie Spiele, doch diese setzen eben gar nicht erst darauf, dass wir in irgendeiner Weise außer „Leveln & Looten“ zu Handlungen angetrieben werden. Ansonsten stürzen wir uns oft in die (linearen) Geschichten von Helden, deren Geschichte es zu erleben gilt. Vielleicht herrscht in Japan schlichtweg ein höherer Bedarf nach Eskapismus, dass das Selbst keine so große Rolle wie bei uns spielen soll. Vielleicht liegt es auch an einer höher angesehenen Tradition der Charakterdesigns oder auch kulturelle Hintergründe, welche die Erzählung einer Geschichte in dieser Form vorsehen. Macht euch einfach das nächste Mal bewusst, wie viele Dinge je nach Entwicklungsland anders laufen können. Wenn euch also mal wieder nach „etwas Anderem“ ist, dann bietet sich vielleicht mal wieder ein japanischer Titel an.

*Ich habe keine Ahnung, ob das tatsächlich Sinn ergibt.

Featured Image via Flickr by Spreng Ben