Seit dem Erscheinen von Resident Evil 6 und der Berichterstattung zum neuen Dead Space wird immer wieder lamentiert, dass Survival Horror eigentlich tot sei (welch Ironie bei diesem Genre) und die Firmen ihre Marken sukzessive zu Action-Titeln ausbauen würden. Besonders Capcoms Resident Evil-Reihe leidet unter dieser wahrgenommenen Veränderung, ein Metacritic-Score von 76 Punkten legt dieses Nahe. Natürlich ist Metacritic in diesem Zusammenhang selbst ein bisschen kritisch zu sehen, aber zu diesem Thema haben Max und ich uns bereits ordentlich ausgelassen.
Wie also steht es um das Survival Horror-Genre beziehungsweise um den Horror im Videospiel generell? Liegt das Genre darbend am Boden oder gibt es noch Hoffnung, den schwachen Patienten „Grusel und Angst“ wieder aufzupeppeln?
Begründet wurde das Horror-Genre im Videospiel nicht, wie oft zu lesen, von Capcom und seiner schon erwähnten Resident Evil-Reihe, sondern von den französischen Entwicklern von Infogrames, die sich bei ihrem bereits 1992 erschienen Titel Alone in the Dark stark von H. P. Lovecraft haben inspirieren lassen. Dieser Titel weist bereits viele Merkmale des Survival Horror-Genres auf, wie beispielsweise knappe Munition für die verschiedenen Feuerwaffen, Rätsel als Bestandteil der Handlung und immer wieder auftretende Kämpfe mit einzelnen, aber starken Monstern. Natürlich brechen die immer wieder unerwartet irgendwo hervor, so dass die Spielerinnen und Spieler vor Schreck zusammenzucken. Zum Durchbruch gelangte diese Art von Spielen dann schließlich mit dem ersten Teil von Resident Evil, der 1996 in Japan unter dem Titel Biohazard erschien. Resident Evil perfektionierte das System und es folgten eine ganze Reihe von Nachfolgern. Am Bekanntesten ist die Silent Hill-Reihe, die eine ganze eigene Mythologie und eine enthusiastische Fangemeinde erschuf. Und nebenbei auch einen wesentlich besseren Film als die Action-Verbrechen eines Paul W. S. Anderson.
Erwähnenswert sind dabei allerdings noch die Spiele der Clocktower-Reihe sowie die Project Zero-Spiele, beides Serien, die beispielsweise auf den Gebrauch von Waffen weitgehend verzichten. Allerdings sind die zwei Reihen eher in Japan populär und erschienen entweder gar nicht in Europa oder nur in sehr kleiner Stückzahl.
Während die meisten Survival Horror-Spiele aus Japan kamen, hielt sich die westliche Welt, obwohl der Begründer des Genres ja aus Frankreich kam, weitgehend von diesen Spieltypen fern und setzten auf bekannte Genres, wie Action-, Adventure- oder Rollenspiele. Lediglich Dead Space (2008) setzte sich davon ab und begeisterte mit seinem Science-Fiction-Horror-Setting sowohl Kritiker als auch die Spielgemeinde. War der erste Teil schon keine Billigproduktion, versuchte Publisher EA mit Dead Space 2 noch einen drauf zu setzen, ohne aber den Horror-Aspekt aus den Augen zu lassen. Mit dem augenscheinlich eher actionorientierten dritten Teil krankt aber die Entwicklung an den üblichen Problemen der stark kommerzialisierten Logik der Spieleindustrie und versucht, mit mehr Ballerei, schnellerem Spielfluss und einem Deckungssystem (Gears of War lässt grüßen!) auch eher gruselferne Spielerinnen und Spieler anzusprechen. Wie bereits erwähnt geht die Kritik bei Resident Evil 6 in eine ähnliche Richtung, viele beklagen die Hinwendung zum Actiontitel ja bereits bei Resident Evil 4.
Gleichzeitig sind die Neuorientierungen beider Serien verständlich. Denn: Ein Monster verliert viel von seinem Schrecken, wenn man es alleine fünf Minuten gezeigt bekommt und sich in Ruhe betrachten kann. An der Bekanntheit des Monstrums und dem damit einhergehenden Verlust des Grauens krankt ja beispielsweise die (von mir heißgeliebte) Alien-Filmreihe. Ähnlich verhält es sich mit Zombie-Spielen und -Filmen, deren Hauptthema auf mittlerweile schier unendliche Weise variiert wurde und somit für viele nur noch wenig reizvolles zu bieten hat. Das Unbekannte, die Frage danach, was genau die Bedrohung darstellt und wie sie Zustande kommt, das Aufdecken des Geheimnisses und die Beantwortung einiger (nicht aller!) Fragen, das macht, zumindest für mich, den Reiz von Horrorspielen aus. Deshalb ist es nur allzu schade, dass mit Fortbestehen einer Horrorreihe zwangsläufig der Grusel abnimmt. Insofern ist es verständlich, wenn Capcom und EA versuchen, mit ihren Spielen neue Wege zu beschreiten. Statt aber ein neues Universum oder eine neue Mythologie zu erschaffen (und zumindest Japaner sind darin ziemlich gut) und somit neue, der Beantwortung harrende Fragen aufzuwerfen und unbekannte, angsteinflößende Szenarien zu schaffen, wird das Bekannte auf alle möglichen Arten variiert und dadurch versucht, etwas künstlich am Leben zu erhalten, dass eigentlich einen sanften Tod verdient hat. Horror, egal ob im Film oder im Spiel, ist immer mit Risiko verbunden, da Angst, Grusel, Panik, Terror – alles Gefühle, die ein gutes Horrorwerk hervorrufen sollte – aus der Konfrontation mit dem Unbekannten entstehen; und da sich dieses Unbekannte nur schwer einschätzen lässt, da es wenig vorhersehbar ist, wie gut die Erzeugung des erhofften Effekts gelingt, setzt die Industrie nur ungern auf den Aussenseiter Survival Horror.
Die Hoffnungen des Genres liegen also weniger in der Spieleindustrie, sondern viel mehr in bei den unabhängigen Entwicklern. Das jüngste Beispiel ist Slender, ein kostenloses kleines Horrorspiel, das mit einfachen Mitteln eine große Wirkung erzielt. Die vielen Reaktionsvideos und der kurzzeitige Slenderman-Hype auf einschlägigen Mem-Sammelseiten zeugen von der Wirkmächtigkeit dieses Horror-Kleinods. Ich habe dieses Spiel nur kurz angespielt, aber schon nach fünf Minuten schlug mir das Herz so hoch im Hals, dass ich es bis heute nicht wieder angefasst habe. Schuld daran waren meine Erfahrungen mit einer anderen Perle des Angstspiels.
Die schwedischen Indie-Entwickler Frictional Games haben sich mit ihrer Penumbra-Serie in die Herzen einer kleinen Zahl von Fans gespielt. Penumbra und seine Nachfolger sind Adventure-Spiele mit einem großen Anteil an Horror und Physikrätseln und spielen im selben Universum. Für ihr nächstes Projekt wagten sich die Damen und Herren aus dem Norden an ein anderes Szenario. Aus ihren Bemühungen erwuchs das für mich gruseligste Spiel, das mir je untergekommen ist: Amnesia – The Dark Decent.
In Amnesia erkundet man aus der Ego-Perspektive ein verfallenes Schloss in Ostpreußen um die Mitte des 19. Jahrhunderts und versucht, den Grund des eigenen Gedächtnisverlustes aufzudecken. Das Spiel drückt virtuos die Tasten auf der Klaviatur der menschlichen Angst und ich konnte es die erste Zeit immer nur eine Stunde am Stück spielen, danach waren meine Nerven zu angespannt und ich musste fürchten, beim kleinsten Knacken in meinem Zimmer einen riesigen Schrecken zu riskieren. Erreicht hat dies Amnesia unter anderem mit einem einfachen und bereits in anderen Spielen erprobten Kniff: Man hat keine Waffen und damit keine Möglichkeit, sich die Monster vom Leib zu halten. Dies führt dazu, dass man sich immerzu versteckt, sichtet man einen Gegner aus der Ferne und panisch davon rennt, sollte eines der Wesen doch auf die Spielerin oder den Spieler aufmerksam werden. Zudem deutet Anmesia vieles nur an, so dass sich ein Großteil des Horrors im Kopf abspielt. Und nur wenige Sachen können so viel Angst machen, wie die eigene Phantasie. Schließlich beherrscht das Spiel tatsächlich die Abwechslung von Tempo und Ruhe, ein wichtiges Element sowohl in der Narration allgemein als auch im Horror im speziellen.
Auch andere Spiele, wie beispielsweise das grandiose Limbo, nutzen Horrorelemente um ihr Spiel fesselnd zu gestalten. Gemeinsam haben alle guten Horrorwerke, dass sie bewusst darauf verzichten, alles zu zeigen oder zu erklären. Die Reduktion auf das Wesentliche und das Offenlassen von Fragen sind die Schlüssel zur Erzeugung von Angst. Leider sind dies Mittel, auf die eine kommerzielle Industrie viel zu selten zurückgreift. Survival Horror ist also mitnichten tot, doch wer sich wirklich spielend das Fürchten lernen will, der muss bereit sein, an die Ränder der Industrie heranzutreten. Dort wartet der Abgrund des Grauens auf euch, die ihr bereit seid, lange genug in die Tiefe zu starren. Bis schließlich die Tiefe in euch schaut.
Ps.: Notwendigerweise sind viele Titel und Elemente von Horror(Spielen) unter den Tisch gefallen. Aber ihr seid herzlich eingeladen, eure Gedanken und Anregungen als Kommentar beizusteuern!
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