Ich habe schon länger nichts mehr geschrieben. Die Gründe sind vielfältig. Abschlussarbeiten mussten geschrieben werden und Lebensabschnitte sind dabei zu Ende zu gehen. Zu großen Teilen liegt es aber auch darin begründet, dass sich Resignation bei mir breit gemacht hat. Von da ist es leider nicht mehr weit bis zum Zynismus und dieser kann zu oft und zu schnell Aktivismus blockieren. Denn wie kann man* weiterkämpfen, wenn der Kampf hoffnungslos erscheint? Ein überraschendes Gegenmittel gegen dieses Dilemma ist nicht selten die Wut.
Doch „Wut […] ist eine sehr heftige Emotion und häufig eine impulsive und aggressive Reaktion (Affekt), ausgelöst durch eine als unangenehm empfundene Situation oder Bemerkung.“ (Wikipedia)
Die positive Folge dieses Gefühls kann ein Aufrütteln sein – der Anstoß dafür, die Dinge nicht mehr hinzunehmen. Die negative Konsequenz wiederum kann schreckliche Formen annehmen. Ob Gewalt gegen Einzelne oder gegen Gruppen, zurzeit sehen wir in Deutschland sehr konkret was Wut zusammen mit einer ideologischen Filterblase und rechtem Fanatismus hervorbringt.
Jede*r, der*die von diesen Entwicklungen überrascht ist, hat lange Zeit weggesehen. Denn die schrecklichen Terroraktionen der Neonazis in Sachsen, in Baden-Württemberg und Brandenburg, sind das Ergebnis von Prozessen, die lange ignoriert wurden. Sicherlich gehören dazu die sozialen Probleme des Ostens und damit der Neuen Bundesländer, aber wer es auf dieses Thema reduzieren möchte, ist zu kurzsichtig.
Auch wenn mit den Vorfällen der letzten Tage in Heidenau ein neuer Höhepunkt des Fremdenhasses erreicht ist, muss festgehalten werden, dass Sachsen kein isoliertes Problem darstellt. Auch in Baden-Württemberg und Bayern steigt die Anzahl der Übergriffe – darüber reden nur leider viel zu wenige; Vielmehr noch, es wird nicht in einen gemeinsamen Kontext gesetzt.
An dieser Stelle scheitert die Politik genauso wie die sogenannten Leitmedien. Die etablierten Parteien nehmen politische Strömungen wie die AfD nicht wirklich ernst, die entschieden dazubetragen, dass rechtes Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft ankommt und als normal gillt. Die Medien wiederum ziehen die AfD und Pegida ins Lächerliche, geben ihr aber gleichzeitig so viel mediale Präsenz, dass sich etablierte konservative Parteien genötigt sehen, die rechten Wähler auf ihre Seite zu ziehen. Gleichzeitig werden die rechten Äußerungen und Aktionen lediglich auf konkrete Probleme des Ostens geschoben, anstatt das Gesamtbild zu betrachten.
Überraschend sind diese Mechanismen nicht. Denn auch wenn wir alle mittlerweile in einer “glücklich vereinten” Bundesrepublik leben, so sind die Zeiten des Ost-West-Konflikts noch nicht so lange her. Und im Zweifelsfall ist es immer leichter den Anderen die Schuld zu geben. Das “Andere” ist dabei austauschbar, für die einen sind es die Flüchtlinge, für die anderen der Osten, aber letztendlich greift hier das gleiche Prinzip. Solange die Anderen Schuld sind, kann man* sich selbst einreden: An uns liegt es nicht, dass wir Probleme haben.
Doch dass wir eine der schlimmsten Konzentrationen von rechter Gewalt seit den 1990er Jahren erleben, kommt nicht von ungefähr. Nicht erst die AfD und Pegida haben aber rechtes Gedankengut gesellschaftfähig gemacht. Vielmehr stelten sie einen Katalysator für das dar, was schon länger in der Mitte brodelt. Sicherlich werden diese Themen von öffentlicher Kritik begleitet, aber zu oft versteckt sich hinter einem vermeintlich objektiven journalistischen Anspruch – auf dessen Grundlage auch Flüchtlingskritiker*inn*en ein medialer Raum gegeben wird – eine Verharmlosungsstrategie, die dazu führt, dass sich Rassist*inn*en unbescholten Asylkritikerinn*en nennen können.
Zudem wird seit Jahrzehnten die Extremismustheorie bemüht, die den rechten und den linken radikalen Rand gleichzusetzen versucht, auch wenn sich die politischen Überzeugungen grundlegend unterscheiden. Ein weiteres Erbe deutsch-deutscher Geschichte, denn zu Zeiten von DDR und BRD war eins klar: Linke Ideen sind gefährlich, denn von ihnen ist es nicht weit bis zum Sozialismus und der Sowjetunion. Zugleich glorifiziert die Theorie die vermeintliche politische Mitte der Gesellschaft, welche von den radikalen Rändern abgegrenzt wird. Dabei entsteht eine gefährliches Gefühl der Sicherheit. Doch am Ende des Tages macht es einen gewaltigen Unterschied, ob Steine auf Menschen oder auf Autos geworfen werden. Wie tiefgreifend und subjektiv die unterschiedliche Bewertung von Linken und Rechten in Deutschland noch immer ist, zeigt uns gerade Heidenau, wenn die Antifa versucht die Polizist*inn*en zu unterstützen und sich am Ende gegen die Rechten und die Staatsdiener verteidigen muss.
Doch wenn fremdenfeindliche “besorgte” Bürger sich unbescholten als “Asylkritiker” bezeichnen können, sollte mehr als eine Alarmglocke läuten. Besonders in Deutschland. Denn die Geschichte hat in einer grausamen Lektion bewiesen, welch explosive Mischung Verzweiflung, Wut und rechte Ideologie sein kann. Spätestens seit Heidenau sollte klar sein, dass wir es mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun haben, welches bei der Diffamierung von “Wirtschaftflüchtlingen” beginnt und bei gewalttätigen Übergriffen endet. Fakt bleibt: Die Medien, die jetzt die Übergriffe auf Flüchtlinge verteufeln, haben mit ihrer Berichterstattung über Flüchtlingswellen, Wirtschaftflüchtlinge und selektiven Informationen zu deutschen Steuerausgaben (Stichworte: Waffenexporte und Hermesbürgschaften) dazu beigetragen, eine Stimmung der Angst vor Überfremdung zu erzeugen. Das macht sie in erster Linie zu schlechten Journalisten, die jeglichen Anspruch von Objektivität vermissen lassen. Sicherlich kann niemand rein objektiv Berichten, aber indem das Klischee des Wirtschaftflüchtlings und des Migrationsschmarotzers bemüht wird – sei es noch so intellektuell verpackt – kann eine Mitverantwortung für die sich zuspitzenden Ereignisse nicht komplett abgesprochen werden.
Diese Mitverantwortung trifft aber nicht nur die Medien, sondern auch die Politiker*inn*en und vor allem die deutschen Bürger*inn*en. Nicht die Menschen, die bei uns Hilfe suchen, sind das Problem, sondern Menschen, denen jegliche Emphatie abhanden gekommen zu sein scheint und die in ihrer Blase von Wohlstand und selektiver Information nicht über den eigenen Tellerrand schauen wollen. Wir leben in einer globalisierten, kapitalistischen Welt von der die Deutschen in erster Linie profitieren. Natürlich sollen hier nicht die Armutsprobleme Deutschlands negiert werden, aber im Vergleich zu so vielen Ländern dieser Erde, können die Deutschen von einem funktionierenden Sozialstaat zehren.
Der Luxus unseres Alltags aber – Obst und Gemüse aus aller Welt, zu jeder Zeit oder auch billige Klamotten – sind die Früchte eines globalen Kapitalismus auf die Kosten anderer. Doch nicht nur bei Nahrungsmitteln und Bekleidung greifen kapitalistische Mechanismen.
Krieg war und ist immer ein Geschäft – ein grausames Geschäft, durch das Hunderte, Tausende oder Millionen sterben und von dem andere profitieren. Und Deutschland profitiert nicht nur mit den steigenden Rüstungsexporten. Die traurige Wahrheit ist, dass es leichter ist ein Land auszubeuten, wenn es politisch instabil ist und innenpolitisch aufgewühlt, denn wie kann sich die Wirtschaft behaupten wenn sie am Boden liegt, weil Krieg oder vom Westen finanzierte Terrorregime das Land in ihrer Hand haben? Können wir es also Menschen vorwerfen, wenn sie diese vom Krieg gezeichneten Gebiete verlassen wollen und sich ein besseres Leben in Europa erhoffen, wenn doch unsere Politik diejenige ist, die Kriesensituationen zu selten bekämpft?
Spätestens mit dem Erfolg des Internets und den immer neuen Kommunikationswegen des 21. Jahrhunderts lösen sich die statischen Grenzen der letzten Jahrhunderte auf. Es wird Zeit, dass wir aufhören diese Entwicklungen als Problem zu begreifen und sie als Fakt akzeptieren. Flüchtlinge dürfen nicht als Bedrohung verstanden oder als Problem behandelt werden. Vielmehr stellen sie eine Chance dar – eine Chance Menschlichkeit zu beweisen und unserer Zeit gerecht zu werden. Statt Hass und Angst zu schüren und damit den Rechten in die Hände zu spielen, gilt es, Rassismus und Fremdenhass als das zu benennen was es ist und ihren Vertreter*inn*en keinen Raum zu geben. Dafür muss das Gesamtbild erkannt und über den deutschen Osten hinaus diskutiert werden. Nur dann haben wir eine realistische Chance Übergriffe wie in Heidenau als ein Relikt der Vergangenheit benennen zu können.
Featured Image by Felix Montino
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