Es gibt verrückte Filme und es gibt verrückte Filme. Da schaut man* sich z.B. einen Film wie Seven Psychopaths an und sieht vollkommen, was die Macher*inn*en darin gesehen haben. Auf dem Papier muss das alles unglaublich individuell und nett ausgesehen haben, aber in der Umsetzung hapert es dann doch gewaltig.

Und dann gibt es Filme wie Birdman or (The Unexpected Virtue of Ignorance) und die durchgeknallten und verrückten Bilder blasen dir so dermaßen den Kopf weg, dass du gar keine Zeit mehr hast darüber nachzudenken, ob das jetzt gutes oder schlechtes Kino ist. Birdman hat alles was Arthousekino gemeinhin verspricht: Eindringliche Bilder, expressive Schauspieler*inn*en, einen expirimentellen Soundtrack und eine gute Portion Gesellschaftskritik.

Vom berechtigten Liebling

Der Film von Alejandro González Iñárritu gilt nicht ohne Grund als einer der Favoriten der diesjährigen Preisverleihungen. Von der Kamera bis zu den Dialogen liefert der Film Eindrücke, die man so schnell nicht vergisst. Dabei erfindet Birdman das Rad nicht unbedingt neu, ist aber in seiner eigenen Merkwürdigkeit so konsequent, dass er durchaus einen individuellen und erfrischenden Eindruck hinterlässt.

Der Plot lässt sich schnell zusammenfassen. Wir begleiten einen alternden Schauspieler (Michael Keaton), dessen große Zeiten schon lange vorbei sind, bei dem Versuch seine Karriere neu zu starten.  Nebenbei muss er sich mit seinem exzentrischen Kollegen (Edward Norton), seiner Tochter (Emma Stone), seiner Freundin (Andrea Riseborough) und Exfrau (Amy Ryan) herumschlagen. Während er sich mit der Inszenierung eines älteren Stückes eigentlich nur neu etablieren und endlich von der einzigen Rolle wegkommen will, für die er noch bekannt ist, dem Birdman.

Auf den ersten Blick ist es vor allem die Kamera über die bei diesem Werk geredet werden muss. Denn bis auf wenige Sequenzen am Anfang und am Ende des Films, erscheint Birdman in einer Einstellung gedreht worden zu sein. Natürlich wurde trotzdem geschnitten, aber die Schnitte sind so versteckt und so geschickt gesetzt, dass man* sie nicht sieht und der Illusion perfekt verfällt.

Fragmente in einem Guss

Auf diese Weise ist man* immer ganz nah am Geschehen. Der Film wandert von einer Nahaufnahme zur anderen und konzentriert sich auf die menschlichen Dramen hinter der Broadwaykulisse. Zeitraffer gibt es keinen, genauso wenig wie billige Texteinblendungen, die vermitteln sollen das hier Zeit vergangen ist. Birdman verlässt sich ganz darauf nur mit Bildern und Dialogen zu sprechen. Musik taucht fast immer nur dann auf, wenn sie Teil der Szene ist, bis auf aufgewühlte Trommelklänge, die hin und wieder im Hintergrund für Unruhe sorgen.

Unterstützt wird dieser minimalistische Stil von kammerspielartigen Szenen. Denn gerade am Anfang befinden wir uns fast nur in der Kabine des Künstlers oder den endlosen Fluren des Theaters. Die Geschichte entfaltet sich immer im Dialog. Und wenn es nur der innere zwischen dem Protagonisten und seinem Alter Ego Birdman ist. Sowieso wird in diesem Film viel geredet. Bis auf wenige Ausnahmen passiert hier eigentlich nicht viel mehr. Das tut der Geschichte aber keinen Abbruch. Denn Birdman teilt ordentlich aus, wenn es um das effektheischerische Actionkino unserer Zeit geht. Gerade der Kampf mit seiner berühmtesten Rolle, treibt unseren ‘Helden’ in den Wahnsinn. Realität und Traum, Erlebtes und Erdachtes vermischen sich ständig und so weiß man* nie so Recht was gerade real ist und wann eine Handlung existenzielle Konsequenzen haben wird.

Hollywood hält sich den Spiegel vor

Die Gier nach Erfolg und der Kampf um das nächste virale Video, den nächsten großen Tweet, stehen ähnlich in der Kritik wie der Preis den man* für weltweiten Ruhm bereit zu zahlen ist. Dabei ist es nicht nur die Figur des Edward Norton, der diesen Aspekt der Schauspielerei nahezu pervertiert, sondern auch die Reaktionen des Publikums auf die Absonderheiten, die im Laufe der Inszenierung des Stückes passieren. Auch hier ist Birdman schonungslos, lässt die Dinge im Raum stehen ohne groß zu kommentieren und verfällt dabei nur selten in Klischees.

Via flickr by Doc_Brown

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Ich bin Bird… äh… Batman.

Ohne Zweifel lebt der Film von seinem Hauptsdarsteller. Die Parallelen zu Keatons eigener Karriere und seinem Erfolg mit Batman in den späten 80er Jahren hat an dieser Stelle sicherlich nicht geschadet, aber dennoch darf man* unter diesem Aspekt seine Leistung nicht unter den Scheffel stellen. Keaton gibt der Figur alles. Auf diese Weise erweckt er den egozentrischen Antihelden zwischen Wahnsinn und Wunsch nach mehr allgemeiner Zufriedenheit eindrücklich zum Leben. Generell ziehe ich vor dem gesamten Ensemble den Hut, denn auch wenn die Szenen geschnitten und eben nicht immer in einem Stück gedreht wurden, so gibt es doch unzählige lange Einstellungen, die sicherlich für das ganze Team eine große Herausforderung waren. Edward Norton muss ebenfalls hervorgehoben werden, wobei er nicht zum ersten Mal das exzentrische Arschloch mimt und somit seine überzeugende Darstellung nicht wirklich überraschend ist. Aber dennoch sticht er neben Keaton am meisten heraus.

Prädikat: Wertvoll

Birdman ist ein Oscarfilm und das ausnahmsweise einmal nicht im zynischen Sinne. Hier haben wir einen Film der heraussticht, der etwas wagt und der versucht mit dem Medium Film zu arbeiten. Er steht in keinem Vergleich zu The Imitation Game, der gerade im Kontrast zu Iñárritus Werk nicht mehr als solide erscheint.

Birdman ist aber auch ein anstrengender Film, der zum Mitdenken auffordert, dem man* zuhören muss und der eben nicht mit billigen Mitteln Emotionen erzeugt. Damit handelt es sich nicht unbedingt um ein Werk, dass ich mir in zwei Monaten wieder anschauen werde, aber es handelt sich eben um einen Film der mir lange in Erinnerung bleiben wird. Damit ist Birdman im wahrsten Sinne des Wortes herausragend und stellt für mich zusammen mit Interstellar einen der künstlerisch stärksten Filme des Jahres 2014 dar.

Wenn man diesem Film keinen Oscar gibt (für die Kamera, für den Schnitt, für die Schauspielenden… mindestens!) dann weiß ich auch nicht mehr.

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