Eine 3,5” Diskette hält durchschnittlich knapp 1,4 MB. Das Spiel Monkey Island 2 – LeChuck’s Revenge benötigt knapp 16 MB. Der Amiga 500 meines großen Bruders hatte irgendwas zwischen 512 KB und 2 MB Speicherplatz. Unsere Version von Monkey Island 2 kam auf zwölf 3,5” Disketten. Ich spielte das Spiel damals nicht, weil ich es verstand. Das tat ich nicht. Ich wusste nicht wirklich, was da auf dem Bildschirm passiert. Aber ich fühlte mich cool, fortschrittlich, als ich die Disketten wie ein Profi wechselte und manchmal dabei über Witze lachte, die ich nur halb verstand. Das Adventure hatte damals mehr Disketten als ich an Lebensjahren. Trotzdem haben sich die Pixelfiguren in mein Hirn gebrannt.

Es ist 22 Uhr und ich bin diese Woche selten vor ein Uhr nachts ins Bett gekommen. Dabei klingelt mein Wecker um sieben Uhr früh. Ich merke auf der Arbeit meine Müdigkeit. Die rührt aber nicht nur vom Schlafmangel her, sondern auch von fehlender Motivation. Ich brauche morgens eine knappe Viertelstunde um mich zum Aufstehen bewegen zu können. In der U-Bahn möchte ich am liebsten einfach sitzen bleiben, bis zur Endstation fahren. Wenn ich am Ende der Rolltreppe in den Morgen heraustrete, hoffe ich inständig, dass unser Büro in der Nacht angefangen hat zu brennen. Oder wir wegen Stromausfalles nicht arbeiten können. Aber nein. Unerschütterlich steht dieser Betonklotz da und ich muss ihn betreten. Wenn ich wenigstens ein bisschen länger schlafen könnte.

Ich schließe nachts die Augen und sehe diese Szene vor mir. Eine Frau ist nackt auf eine Liege gefesselt, ihre Brüste und ihr Schambereich werden von zwei metallenen Fesseln verdeckt. Ein kegelförmiges Ding mit Ringen, so wie eine dieser B-Movie-Strahlenkanonen, zeigt auf ihren Körper. Angst ist in ihr Gesicht gezeichnet. Im Vordergrund reibt sich ein Mann die Hände, Typ verrückter Wissenschaftler. Sein halbes Gesicht ist weggeschmolzen. Die Super-VGA-Graphik des Rechners meines Grundschulfreundes zeigt dieses Gesicht sehr graphisch. Zu graphisch für mein neunjähriges Hirn. Ich kann in dieser Nacht, nachdem mein Kumpel, ohne sich etwas Böses zu denken, mir dieses Adventure gezeigt hat, nicht schlafen. Immer wieder sehe ich diese Szene vor mir.

Via flickr.com, by Pinguino K

cat bread_pinguino kAnderes Thema: Katzen und Brot, passt das zusammen?

Knapp neun Stunden sitze ich auf Arbeit und hacke auf meine Tastatur ein. Sinnlos, wie mir scheint. Wörter und Sätze fließen aus mir heraus, haben aber keine Bedeutung. Sie sind leere Phrasen, die bedeutungslose ins Nichts geschleudert werden. Das, was ich ich auf den Bildschirm bringe, ist nur Mittel zum Zweck, hat keine höhere Bedeutung, ist nichts worauf ich später zurückblicken kann. Zugegeben: Das sind Spiele auch nicht. Aber diese Erfahrung kann ich mit anderen Menschen teilen. Anni und Max habe ich eines abends fast völlig vergrault, weil ich mich mit Till die ganze Zeit über Dark Souls unterhalten habe. Über meine Arbeit kann ich nur jammern. Das geht Anni und Max übrigens mittlerweile auf den Geist. Wahrscheinlich nicht zu Unrecht.

Die Gamestar hatte irgendwann “Geheimakte Tunguska” als Gratis-Spiel im Heft. Da ich viel Gutes über das Spiel gehört habe und Mystery-Geschichten eh toll fand, gab ich dem Spiel eine Chance. Aber es war ein Adventure. Ich wurde frustriert von Rätseln, die mir nicht einleuchten (“Binde Handy an Katze”) und einer Geschichte, die ich mir spannender vorgestellt habe. Die Dialoge waren gezwungen witzig und einer der Hauptcharaktere sah aus wie ein geschniegelter BWL-Student. Am Ende hatte ich das Gefühl, meine Zeit auch hätte besser verbringen zu können. Vielleicht waren Adventures einfach nichts für mich. Ich beschloss, die Finger von ihnen zu lassen.

Meine Kollegin tritt grinsend an meinen Schreibtisch: “Hier! Ich war gestern bei bumm film und habe dir das neue Bernd-das-Brot-Spiel mitgebracht.” Ich freue mich. Aber es ist ein Adventure. Zwar mit Bernd dem Brot, Chili dem Schaf und Briegel dem Busch, aber ich würde spätestens im dritten Bildschirm nach einer Lösung schauen müssen. Naja, dachte ich mir, wenn ich die Gelegenheit habe, das Spiel zu “testen” und darüber zu schreiben, mache ich das gerne. Auch wenn das Spiel ein Adventure ist. Immerhin kommt es stilecht in einer Brotdose.

(Eigene Darstellung)

Bernd_Brotbüchse_1Bernd in der Dose. Wenigstens ist es da ruhig. Allerdings nicht sehr atmungsaktiv. Armer Bernd

Es ist irgendwann um 2011 und auf Steam sind die Special Editions von Monkey Island 1 und 2 im Angebot. Na gut, nehme ich mir vor, diesmal spielst du sie durch. Dann eben mit Lösung. Eine gute Entscheidung. Ich habe gelacht, gerätselt, mich gefreut, als ich die Schwertkämpferin besiegt habe, weil ich das Prinzip der Beleidigungen durchblickte und war endlich alt genug um den Witz mit Largo LaGrandes orthopädischem BH zu verstehen. Trotzdem fühlte ich mich etwas dumm und ärgerte mich jedes mal, wenn ich die Hilfefunktion genutzt habe. Und das war oft.

Am Wochenende habe ich “Bernd das Brot und die Unmöglichen” durchgespielt und hatte – Spaß. Vielleicht ist es nicht das beste, mit Sicherheit zumindest kein sehr langes Spiel. Aber es macht Spaß, der Humor stimmt und lässt mich zurückdenken an die Zeiten, als ich Tolle Sachen im Kinderkanal schaute und wusste, dass ich später dort einmal landen wollte. Ich war erfreut, dass das Spiel die meisten Komfortfunktionen wie Hotspots und schnelle Bewegungen bzw. Bildschirmwechsel integriert. Überhaupt wirkt es, trotz eines wahrscheinlich recht überschaubaren Budgets, hochprofessionell. Bei manchen Rätsel steht die Mechanik im Weg (erst Gegenstand einsammeln, dann im Inventar kombinieren, wenn ich das ganze genauso gut bereits im Spielscreen machen kann), für andere muss ich die Lösung zur Rate ziehen, aber ich bin in dieser Hinsicht wohl auch ungeduldig. Die Story hat mich nach der Hälfte tatsächlich gefangen. Ich will wissen, wie es weitergeht. Und warum Bernd in seinem Inventar die “Emotion: Liebe” hat.

Vor knapp zwei Jahren sitzt meine Freundin neben mir. Wir haben uns zuvor über Videospiele unterhalten und sie hat erwähnt, dass sie früher mit ihrem jüngeren Bruder dieses eine Spiel gespielt hat. Indiana Jones? “Welches?” frage ich sie. Sie weiß es nicht genau. “Das mit dem Kreuzzug, das Spiel zum Film?” Nein, etwas anders. Am Anfang war man da in so einer Bibliothek, erinnert sie sich. “Indiana Jones and the Fate of Atlantis?” Kann sein. Sofort stürze ich zum PC und rufe Steam auf. Yes! Steam hat das Spiel, knapp 10 Euro, ich kaufe es sofort. Innerhalb von 10 Minuten habe ich es heruntergeladen und installiert. Indiana Jones and the Fate of Atlantis hat mich ähnlich gefesselt wie Monkey Island damals. Nur, dass es noch viel cooler war, weil es um eine versunkene Zivilisation ging.
Wenig später sitzen wir beide zusammen vor meinem Monitor und knobeln uns durch die ersten Etappen des inoffiziellen vierten Teils der Indiana-Jones-Filme. Ich bin glücklich. Denn neben mir sitzt diese tolle Frau und spielt dieses Adventure und nimmt das alles ernst, so ernst wie ich. Ein kleiner Traum erfüllt sich für mich. Ich kann meine Leidenschaft mit einer geliebten Person teilen.

Via flickr.com, by Tim Green

cat hedge_Tim GreenAndere Menschen haben eine Zuneigung zu Katzen und Heckenschnitt. Warum nicht beides verbinden?

Mitten im Spiel erkennt Bernd das Brot, dass Briegel der Busch und Chili das Schaf seine Freunde sind. Obwohl sie ihn immer wieder in Situationen drängen, in denen er nicht stecken will, er deshalb immer wieder den realen und metaphorischen, mit instabilem Plutonium betriebenen Zeitreiseroller fahren und dabei auch noch dieses schreckliche, nicht atmungsaktive Heldenkostüm des “Kantigen Kolosses” tragen soll; obwohl Chili und Briegel seine schlimmsten Freunde sind, kann er sie nicht einfach dem bösen Lama-Kult überlassen. Nein, seine Freunde sind die einzige Familie, die er hat. Und deswegen wird er sie retten.

In München. Entweder hacke ich hier Wörter in den Bildschirm auf meiner Arbeit oder ich sitze zuhause und hacke dort Wörter in einen anderen Bildschirm. Meine Mutter sorgt sich darum, dass ich vereinsame, doch mal rausgehen und Menschen kennenlernen soll. Ich beruhige sie damit, dass ich gerne alleine bin, nachdem ich mir knapp 9 Stunden lang das Büro mit meinen Kollegen geteilt habe. In Wahrheit vermisse ich meine Familie. Beide Familien. Sowohl meine “richtige Familie”, als auch meine Surrogatfamilie aus Freunden. Gerne würde ich sie öfter sehen, aber was soll ich machen? Meine Arbeit hält mich hier, gegen meinen Willen.

Bernd das Brot rettet, trotz kurzer Arme, seine Freunde Briegel und Chili. Zudem versöhnt er den Lama-Kult mit den Yak-Anhängern. Über die Welt bricht ein erneuter Friede sowie kratzige Yak-und-Lama-Wollmützen herein (und ausserdem ein cooles Lied mit endlosen Wortspielen zu Lamas). Ausgerechnet dieses misanthropische Kastenbrot, mit dem ich mich so hervorragend identifizieren kann, gerade Bernd das Brot hat mit seiner Liebe und Freundschaft die Welt gerettet. Und ich hatte Spaß, dieses Adventure zu spielen.

Via flickr.com, by Plashing Vole

cat sheep_Plashing VoleEwige Frage der Biologie: Können Schafe mit Katzen? Oder anders: Können Katzen mit Schafen?

Wie abgemacht schreibe ich über das Spiel. Es wird ein wohlwollendes Review, nicht frei von Kritik, aber trotzdem positiv. Ich schreibe den letzten Satz des Textes und denke mir: Ja, schönes Review, aber nicht das, was du schreiben wolltest. Nett, aber seelenlos.
Ich fahre zur Arbeit. Ich komme nach Hause. Während des U-Bahntrips gehen mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Meine Freundin und ich hatten ein ernstes Gespräch in dem mir klar geworden ist – sie hat mir bei der Erkenntnis geholfen – , dass ich mein Leben in die eigenen Hände nehmen muss. Es klingt pathetisch. Aber ich stehe gerade an einem Punkt, an dem ich mich entscheiden muss, was ich will und wie ich das erreichen möchte. Und ein Schritt dazu ist, sich nicht mit seelenlosem Mittelmaß zufrieden zu geben. Deshalb schreibe ich einen neuen Text.

Bernd das Brot und die Unmöglichen ist ein nettes, lustiges Adventure-Spiel, das Eltern hervorragend mit ihren nicht mehr ganz so kleinen Kindern spielen können. Es hat einige Schnitzer, ist aber mit genug Liebe und Können gemacht, dass man* leicht darüber hinwegsehen kann. Die Story ist bei weitem nicht tiefgründig. Aber: Dieses Spiel hat Seele. Denn Autoren und Erfinder von Bern dem Brot haben sich dem verschrieben, was sie machen. Das merkt man dem Spiel an und ich kann dessen Macher nur um den offensichtlichen Spaß an ihrer Arbeit beneiden. Um die seltene Chance, die Arbeit einen tatsächlichen Teil von einem selbst sein lassen zu können.

Ich bin mir noch nicht im Klaren, wie genau sich das Leben in meinen Händen gestaltet. Aber ich weiß jetzt zumindest grob, was ich für meine Zukunft will.