Miesmuschel-Max war einmal. Eine Woche hat der deprimierend lustig klingende Titel an mir gehaftet und ich hatte mich schon darauf eingestellt, dass mir dieser Name bis zu den Oscars erhalten bleibt. Dem ist nun nicht mehr so. Heureka! „American Hustle“ beendet die Oscar-Flaute auf meiner Seite der gesehenen Filme und bringt für mich den unumstrittenen Oscar-Kandidaten in nahezu allen Belangen auf Zelluloid.

Obwohl mir „The Fighter“ gut gefallen hat und „Silver Linings“ mich völlig und positiv überrascht hat, war ich mehr als skeptisch als David O. Russells „American Hustle“ angekündigt wurde. Die Trailer waren nichtssagend, bei der Besetzung schien der Regisseur auf Nummer sicher zu gehen und überhaupt reizte mich der Stil des Films nicht. Jetzt habe ich den Film letztlich nur aufgrund unser Oscar-Obligation geschaut und habe nur einen einzigen Satz an Herrn Russell und überhaupt alle Beteiligten an diesem Film, welches ich im Folgenden in einen Text ausdehnen werde: Ich bitte vielmals um Entschuldigung!

Via Flickr by Chris Piascik 

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The Wolf of Hustling

Die Geschichte um das Trickbetrügerpärchen Irving Rosenfield (Christian Bale) und Sydney Prosser (Amy Adams), die sich als adlige Britin Lady Edith Greensly ausgibt, ist eine Charakterstudie im besten Sinne. Russell zaubert in „American Hustle“ einen ausgefeilten Charakter nach dem nächsten aus dem Hut und lässt die Leinwand mit Charisma und einem gewollt nervig abstoßend spielenden Bradley Cooper (als FBI-Agent Richie DiMaso) überlaufen, dass es eine cineastische Freude ist. Nur wenige Minuten vergehen und nicht wenige Filmfreunde werden die Weite und Tiefe von Cast-Stücken wie „Magnolia“, „Boogie Nights“ (beide von Paul Thomas Anderson) erahnen.

Wie in „The Wolf of Wall Street“ setzt der Film zwar auch auf innere Monologe, um die Charaktereinführung über Flashbacks und etwaige Wendungen massentauglich zu erklären, doch wo Scorseses Oscar-Anwärter nur eine Perspektive aufzeigt und sich schnell in Wiederholungen verliert, die den Charakter nicht erklären, macht „American Hustle“ nicht einfach nur viele Dinge besser als „The Wolf Of Wall Street“, sondern schlichtweg richtig.

„American Hustle“ erzählt zwar in erster Linie Irvings (Bale) Geschichte, doch diese ist teilweise so eng mit den Erlebnissen anderer Charaktere verstrickt, dass anstatt Bales Bronx-Dialekt plötzlich die zurückhaltende Sydney (Adams) oder der selbstverliebte Richie DiMaso (Cooper) zu hören ist und seine Sicht der Dinge wiedergibt. Auch wenn Cooper schnell als Antagonist des Films ausgemacht ist, dem man den ganzen Film über ein schlechtes Ende wünscht, verleiht es dem Film eine weitere Nuance auch andere Charaktere im Zentrum zu sehen als lediglich „den“ Protagonisten.

Wer auch immer die Trailer geschnitten hat, hat als einziger keine gute Arbeit geleistet

American All-Stars

Nach einer knapp 20-minütigen Einleitung, die uns farbenfroh und voller Details erklärt wie Irving (Bale) sich von Kindheit an als Überlebenskünstler und Betrüger sieht und wie er mit der vorerst bloß im Kopf ambitionierten Sydney (Adams) zusammenkommt, hat der Film schon mehr Hintergrund als so manch anderer 2-Stunden-Streifen. Doch erst als das Pärchen vom FBI ertappt wird und Zusammenarbeit der einzige Ausweg scheint, offenbaren sich Eric Warren Singers und David O. Russells (beide Drehbuch) goldene Händchen.

Dank fantastischem Wortwitz und cleveren Heist/Hustle-Plots bewegt sich der Film mit einem Tempo über das die letzten „Ocean’s“-Filme nur staunen können. Kein Dialog wirkt erzwungen und anstatt krampfhaft große Namen auf der Bildfläche erscheinen zu lassen, setzt der Film mit Ausnahme Bales jeden Schauspieler nur ein wenn es Sinn macht. Bis die abermals hoch gelobte Jennifer Lawrence als Irvings (Bale) manipulative, gestörte und letztlich doch charismatische Ehefrau (und unfähige Mutter) eingeführt ist, lässt der Film sich Zeit. Und obwohl Lawrence mit einer abgezockten Brillanz jede ihrer Film-Minuten nutzt, hat man nie das Gefühl, dass man viel lieber mehr von ihr gesehen hätte.

Das liegt nicht nur an der Effizienz mit welcher das Drehbuch und der Regisseur die Charaktere in Szene setzt, sondern auch an den restlichen Darbietungen. Bradley Cooper spielt den schmierigen, sich selbst belügenden, Karriere geilen FBI-Agenten mit einer Mischung aus Ahnungslosigkeit und Manie, die seine Darstellung in „Silver Linings“ zweidimensional erscheinen lässt. Und Amy Adams spielt eine Mischung aus Femme Fatale und hingabevoller Schauspielerin, dass es einem die Sprache verschlägt. Nach einer Szene mit Cooper, die hoch erotisch beginnt und in einer mit dem Wahnsinn kämpfenden und lauthals schreienden Adams aufhört, sollte man den Arzt aufsuchen, wenn der Puls nicht angestiegen ist.

Diese mehr als zentrale Disco-Szene mündet auch gleich in die nächste brillante Szene, wenn Irving (Bale), der inzwischen Bürgermeister Carmine Polito für das FBI ans Messer liefern soll, in einer familiär groß angelegten Szene sein Gewissen anfängt zu entdecken. Bei allem Respekt vor den jeweils Oscar würdigen Leistungen seitens Adams, Cooper und Lawrence schafft es Bale nochmals alle zu toppen. Vom überzeugten und eigenbrötlerischen Hustler über den in seinen Sohn und Sydney (Adams) unsterblich vernarrten Ehemann einer Frau, die er aus verdrehter Gutmütiogkeit nicht verlassen kann, liefert Christian Bale eine Palette an Charakterzügen ab, die nahezu unglaublich ist. Unglaublicher ist nur noch wie fließend Bale diese Eigenschaften zusammenbringt und einen der lebendigsten Charaktere der letzten Kinojahre inszeniert.

Via Flickr by charlieanders2 

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So überrascht habe ich auch aus der Wäsche geguckt: “American Hustle” ist richtig stark!

Bei all dieser schauspielerischen Brillanz ist es abermals dem Drehbuch zu verdanken das ein Gastauftritt Robert DeNiros trotzdem nicht untergeht, sondern in Angstschweiß und Adrenalin endet. Eine besondere Erwähnung von mir verdienen zudem die aus „Boardwalk Empire“ bekannten Shea Whigham und Jack Huston. Shea Whigham nutzt seine wenigen Momente, um sich als eine Mischung aus dem jüngeren Michael Douglas und Andy Warhol zu etablieren und Huston hat als entstellter Scharfschütze Richard Harrow derart mein Herz erobert, dass ich mich einfach freue ihn in einer so fantastischen Produktion zu sehen.

…dafür werden Filme gemacht!

Erst nach dem dritten Akt, wenn es um eine große Investition in Atlantic City geht und Robert DiNiro uns und besonders Irving (Bale) den Schock des Films zugemutet hat, kommt der Film das erste Mal merklich zum Luft holen. Fronten müssen geklärt werden, während weitere Netze gesponnen werden und die Frage nach dem „extra Move“, den Adams’ Charakter zu Beginn des Films vorhersieht, steht wieder mitten im Raum.

Anstatt einer weiteren Explosion nimmt der Film allerdings langsame Züge an, was im ersten Moment befremdlich wirkt. Wenn überhaupt kann man dem Film ankreiden, dass ausgerechnet nach knapp zwei Stunden das Tempo enorm zu drosseln für Zuschauer, die langsam ihr Sitzfleisch spüren, ein unglücklicher Zug sein könnte. Der Film macht diese vermeintliche Schwäche glücklicherweise wett, wenn abermals keine Szene aus einer knapp 15minütigen Ruhephase verschenkt wird.

Jede einzelne Szene wird genutzt um Storystränge weiter festzuzurren und die letzten Charakterschichten der Protagonisten zu entblättern. Wenn Bale sein Herz ausschüttet, Lawrence ihr egozentrisch manipulatives Gesicht zeigt, Adams am Rande der Erschöpfung ihrer Schauspielerei wegen scheint und Cooper mit seinem Ego die Leinwand zu erdrücken versucht… das sind die Momente für die anspruchsvolle, aber eben auch zugängliche Filme erfunden wurden. Der nebenbei umwerfend passende Soundtrack tut das übrige zum Gesamtpaket, welches die Schauspieler wie beschrieben zelebrieren.

Wenn der Film mit einem klassischen Zirkelschluss endet und vorher im letzten Akt alle Storyfäden zu lösen weiß und Zuschauer geschmeidig in den Rest des Tages entlässt, ist man nahezu euphorisch. Bei all dem Pathos, den Experimenten, den Effekten und umstrittenen Themen in so vielen Kinofilmen offenbart „American Hustle“ erneut die für mich bestehende Filmwahrheit, dass ein Film und eine Thematik nur so gut sind wie das dazugehörige Drehbuch, die Regie und das vorgetragene Schauspiel. So erklärt sich für mich auch, dass ein thematisch gesehen eher unscheinbarer Film ohne weltbewegende Wahrheiten und Botschaften der größte Film des Jahres sein könnte.