Was ist denn hier los? Ist das etwa der lang befürchtete Hiatus? Jetzt gibt es “Mehr Spieler” und “daran geht die Welt zugrunde” und alles soll einfach so vorbei sein? Pustekuchen! Getreu der von uns behandelten Branche sind die Entwicklungszeiten eben nicht immer die kürzesten. Dazu kommen jede Menge Sidequests, die sich für uns Schreiberlinge und Podcaster ergeben.

Walde und meine Wenigkeit “feiern” unser dreijähriges Jubiläum in Trier mit der obligatorischen Bachelor-Arbeit und Johannes hat all das geistige Leiden eines Akademikers bereits hinter sich und kann sich endlich in die Wonnen des 16-Stunden-Arbeitstages stürzen. Da bleibt nicht allzu viel Zeit, um die ganz großen Analysen und Meinungen zu verfassen. Und nach dem wahren Infromationstornado der E3, dem fast schon olympischen Rückrudern Microsofts auf allen Ebenen, des verpatzten Ouya-Starts und Ryan Davis’ unerwartetem Tod ist uns ein wenig die Puste ausgegangen.

Was bietet sich jetzt aber auch noch an? Seit der Ankündigung der neuen Konsolengeneration ist es still um die jetzige geworden. Dass “The Last of Us” hohe Wellen schlagen konnte, war fast schon Voraussetzung des neuen Naughty Dog Titels und “The Walking Dead: 400 Days” ist genau das tolle, aber eben durch die kurze Dauer nicht so emotional berührende Bonbon, das die Spieler vom Lückenfüller zu Staffel 2 erwartet haben. Die anstehende Generation wirft jetzt schon ihre Schatten. Allein GTA V könnte genug Zugkraft aufweisen, um noch mal für ehrliche Euphorie zu sorgen, besonders weil es sich um keinen Exklusiv- sondern einen Multiplattformtitel handelt.

 
Die Frauenstimme aus den Hitman-Trailern war stimmungsvoller, aber das sind doch mal Neuerungen!

Aber ein Hühnchen haben wir immer zu rupfen. Und zwar mit der großen Hype-Maschine aus den USA. Wir wären nicht die Gamer, die wir heute sind, wenn es nicht Kotaku, Rock, Paper, Shotgun, IGN und Co. gäbe, aber abgesehen von oft wirklich peinlichen Standards was Sexualität in Videospielen angeht (Ich spreche auch von euch, Jungs bei Bioware!), ist es in Amerika Brauch alles zu hypen, was Oma schon gezockt hat.

Ja, die ollen Kamellen wieder. 2/3 der Mehr Spieler Jungs sind nur mäßig am Jubeln, wenn die xte-Fortsetzung angekündigt wird. Aber es sind nicht nur Fortsetzungen. Es sind auch Spiele, die sich offensichtlich als etwas Neues verkleiden wollen, dabei ihr Gewand aber aus bereits vorhandenen Kleidern zusammenschneidern. Der Angeklagte der heutigen Sitzung ist Ubisofts Jetzt-Schon-Dank-Vorbestellern-Auf-Der-Ganzen-Welt-KASSENSCHLAGER “Watch Dogs”.

Woher unsere Skepsis, wenn es um “Watch Dogs” geht? Vorneweg sollte klargestellt werden, dass “Watch Dogs” hier nicht als Flop hingestellt werden soll. Das Spiel hat eine sehr schöne Grafik (für Open-World-Standards bisher spitze, doch GTA V könnte da noch in die Parade fahren), utopische Überwachungsszenarien sind spätestens seit der Komplettverkabelung Londons total in (schon das britische Studio Ninja Theory gab ja DEZENTE Hinweise auf die Überwachungsstadt London) und wenn man solides Third-Person-Cover-Shooting à la GTA IV mit vielen Gadgets verbindet, dann scheint die Grundlage für ein wirklich gutes, großes Open-World-Erlebnis gelegt zu sein.

Was ist das Problem? Die Ankündigung “Watch Dogs” 2012 war für viele umwerfend, was aber rückblickend nur daran lag, dass das Spiel gut geheim gehalten wurde. Gleiches gilt für diesjähriges “The Division”. Spätestens nächstes Jahr wird man die jährliche Überraschung aus dem Hause Ubisoft erwarten und fest einplanen. Das ist natürlich auch ein Zeichen für Produktivität. Und hier soll deutlich werden, dass die Kritik in erster Linie an die Presse und nicht an Ubisoft geht.

Via flickr by Karan J

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Es ist zum aus der Haut fahren: RrrrRrRRaAAAaaaGGgGeeeeeEE!

Natürlich will der Publisher/Entwickler sein Spiel anpreisen. Aber die Presse sollte ein Interesse gegenüber dem Rezipienten haben. Blindes Gesabber über eine inzwischen absolut entfremdete Franchise (Assassin’s Creed IV: Black Flag heißt nur noch Assassin’s Creed, weil die Marke die Sucht und das damit verbundene Geld reintreibt) regt schon genug auf. Dass man dagegen komplett ignoriert, dass die sogenannten Eigenheiten, die “Watch Dogs” von GTA abheben sollen, nichts Anderes als Jetztzeit-Assassin’s-Creed-Mechaniken sind, die Parcour und Stealth in einer Stadt der nahen Zukunft verfrachten, hat mit ernsthaftem Gamesjournalismus nichts mehr zu tun.

Vom Interface und Design der meisten Anzeigen (z.B. wenn ihr euch die persönlichen Daten eines Bürgers zeigen lasst), sowie dem Gefühl, dass die Verfolgungsjagden vermitteln, schreit das Spiel seine Wurzeln in den Spielmechaniken Assassin’s Creeds lauthals heraus. Allein dass Protagonist Aiden nicht geschwind an Häuserfassaden hochkrabbelt fehlt neben dem coolen Assassinen-Hoodie in diesem Bild.

Ubisoft. Ernsthaft. Die Spiele haben keine eigene Identität mehr. Man spürt geradezu, wie eure Fokus-Gruppen reagieren und euch diktieren. Ihr wollt ein Piratenspiel machen, das bisher keinerlei ursprüngliche Stärken der Asassin-Reihe in sich vereint. Dann nennt es einfach “Black Flag” oder wie auch immer. Und “Watch Dogs” könntet ihr ehrlicherweise “Assassin’s Creed IV” nennen. Aber utopische Überwachsungsszenarien sind wahrscheinlich schon so bei der Zielgruppe en mode, dass ihr eine neue und “innovative” IP starten könnt, wogegen die letzten drei “Fluch der Karibik”-Filme dem Piraten-Genre (erneut) das Blut ausgesaugt haben und man ohne die Assassinen-Lizenz Angst ums eigene Portemonnaie haben müsste.

Und ich werde mich weiter aufregen. Der jährliche Hype um Abzock-Titel wie sämtliche Titel der EA-Sports-Reihe und der heiligen Dreieinigkeit der Shooter Call of Duty/Battlefield/Medal of Honor ist ein Beispiel dafür, dass es vielen Menschen viel zu gut geht. Selbst die DLC-Könige von Capcom bieten ihr “Ultra Street Fighter IV” als 20€ Upgrade-Version oder für “nur” 40€ an, anstatt für das im Grunde gleiche Spiel abermals mindestens 60€ zu verlangen. Das ganze Internet macht sich lustig darüber, dass Call of Duty jetzt Hunde als einzige Neuerung zu bieten scheint. Die vielen Millionen Vorbesteller sorgen dafür, dass solch schlechte Scherze auch in der Zukunft weiterhin bestehen werden.


Das sieht gut aus… aber revolutionär? Ein wenig professionelle Distanz wäre nett

Ein abschließender Satz zu “Watch Dogs”. Ich hoffe, dass das Spiel gut wird. Ja, ich meckere viel, aber ich hoffe immer, dass wir – die Gamer – am Ende ein weiteres, tolles Spiel erhalten. Ich wünschte mir nur, dass Ubisoft seinen Spielen eine Identität verleiht. Das hat im eigenen Hause bisher nur Rayman geschafft. Dagegen hat man aus Assassin’s Creed eine Legehenne gemacht und der Prinz aus Persien hat inzwischen so viele neue Gesichter, dass er verständlicherweise in der Identitätskrise steckt. Zumindest hat Ubisoft noch keinen Shooter mit ihm geplant.

Also, liebe Kollegen der Branche. Sagt uns endlich, was ihr an “Watch Dogs” so toll findet. Was sind die Gadgets und wie wirken sie sich aufs Spiel aus? Stehe ich nur herum und hacke etwas oder bin ich tatsächlich gefordert? Wie vereinbart sich Stealth und Hacken mit den Schusswechseln? Ihr müsst beschreiben, wie sich ein Spiel anfühlt, anstatt nur ein milchiges Bild von einem ach so geilen Spiel wiederzugeben. Wer den Fan und Amateur aus der Freizeit nicht vom Beruf trennen kann, der ist genau der Grund dafür, dass Gamesjournalismus auch weiterhin nicht über den Status der Apothekenzeitschrift hinausgeht.