Während wir mit unserer Rubrik “Mehr Spieler” weiterhin versuchen die Videospiel-Branche salonfähig zu machen, gibt es eine Sparte, die auch losgelöst vom Spielvergnügen funktioniert. Wer zum Beispiel auf Film-Soundtracks steht, der hat inzwischen nicht mehr allzu viele Ausreden, um sich nicht auch auf dem Videospielmarkt umzuschauen. In der Kölner Philharmonie zum Beispiel gab es schon mehrere, gut besuchte Konzerte, die sich ausschließlich mit der Musik aus Videospielen auseinandergesetzt haben. Doch schon in ihrer Originalfassung können orchestral arrangierte Soundtracks bestehen.
Aktuelles Beispiel für diese These ist der kakophonische Tonausflug in die Wolkenstadt Columbia aus dem frisch erschienenen “Bioshock Infinite“. Ohne euch zu viel abzuverlangen ist das Thema der Bioshock-Reihe stark verknüpft mit Utopien, Weltanschauungen und wie man mit diesen umgeht. Als Soundtrack soll die Reise nach Columbia für euch aber auch ohne das Bildmaterial zugänglich sein können. Besonders für Freunde der Soundtracks von Jonny Greenwood (u.a. “There Will Be Blood” und “The Master”) ist Garry Schymans tonale Unterlegung des falschen Paradieses “Columbia” einen Hörausflug wert.
Best Babysitter ever…!? Via Irrational Games
Im Mittelpunkt Schymans Arrangements stehen Streicher, die beklemmend, arhythmisch und schief gespielt immer wieder Bedrohung symbolisieren sollen. Was in den “Battle For Columbia” aus den Boxen dröhnt ist verstörend und nichts für den mp3-Player. Wer für den Soundtrack seines Lebens für die hektisch düsteren Momente noch etwas sucht, der wird allerdings auch ohne die Feuergefechte im Spiel seinen… wollen wir sagen… “Gefallen” finden?
Aber wenn ihr wollt, dass ein Soundtrack euch nervös durch den Raum treiben soll, dann beherrscht Schyman diese Kunst wie kaum ein zweiter. Nach dem zerbrechlichen Klavierstück zu Beginn, welches patriotisch, hoffnungsvoll und wie ein “Spiritual” klingt, wird der Traum von Columbia durch besagte “Battle For Columbia”-Stücke schnell zerstört. Allerdings geht Schyman bei dieser Demaskierung schrittweise vor. Nach der nun wirklich als Spritual umgesetzten Melodie in “Will The Circle Be Unbroken” folgt das verträumte “Lighter Than Air”. Eine butterweiche Melodie, unter welcher sich zitternde und schiefe Töne verstecken und immer wieder hervor scheinen.
Aber auch mit einem guten Maß Übertreibung kennt sich Schyman aus, wenn er “Lutece” und “Lions Walk With Lions” mit ausdrucksstarker Melodie wie in alten Cartoons beginnt, um dann das erste Mal in eine mystisch bedrohliche Melodie abzutauchen, die immer wieder von den Thematiken des Auftaktes angereichert wird. Anstatt Utopie fühlt man sich eher wie in einem Spukschloss. Und wem das zu verworren ist, der bekommt tanzbare Folklore (“Roy O’More Saddle The Pony”) und politisch inkorrekte Propaganda zum Mitsingen in “Readiness Is All” (Ich sag ja nur… “Die Partei, die Partei, die hat immer recht…”).
Wenn der Soundtrack schon so zusetzt… vielleicht etwas Süßes? Via Irrational Games
Wirklich auftrumpfen tut dieser Soundtrack aber erst, wenn er sich den Themen des Spiels hingibt. Wie schon das zerbrechliche Klavierthema aus “Welcome To Columbia” zusammen mit dem anschließenden Spiritual beweist. Auch “Lighter Than Air” ist eines dieser Stücke. In “Elizabeth” übertrifft sich Schyman mit vollen, tiefen Klängen allerdings selbst und verbindet jauchzende Hoffnung mit einer Last, die auf der Melodiestimme zu liegen scheint. Wer Soundtracks mag, der muss ein Herz aus Stein haben, wenn ihn diese Töne nicht berühren.
Gerade gegen Ende des Soundtracks kommen noch viele, kräftige Motive, die allerdings stets recht kurzen Stücken zufallen. Der Soundtrack zu Bioshock Infinite ist unglaublich eindringlich, wird aber aufgrund seiner kurzen und in erster Linie auf Effekt statt Eingängigkeit ausgelegten Art, nicht akut im Kopf bleiben. So wird es aber immer wieder spannend zu diesen Stücken zurückzukehren. Wer sich fesseln lässt, der wird “Elizabeth” schweren Herzens genießen und das Herz wird einen Moment lang aussetzen, wenn “Baptism” den Kreis zu den gläsernen Tönen der Eröffnung schließen. Eine laute Dissonanz und das nun abwärts gespielte Thema des Anfangs haben ordentliche Wirkung ohne das Rad neu zu erfinden.
Johannes mag Katzen… ich mag Soundtracks!
Ihr wollt eure Ohren fordern? Dann hört in den Soundtrack zu Bioshock Infinite herein. Aber vorsichtig! Ich habe nicht umsonst den Vergleich zu “There Will Be Blood” gezogen. Diese Melodien wollen unbequem sein und euch von Innen auswringen. Das ist nicht jedermanns Sache. Wenn ihr es schon nicht hören wollt, dann soll dieser Beitrag euch zumindest eine Warnung sein.
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