Erinnert ihr euch an meine Probleme mit der Lokalisierungsgesellschaft 2.0? Der ganze Blödsinn, dass CDs erst Monate später auf den Markt geworfen werden, weil sich ja doch ein Gewinn ermöglichen könnte, anstatt die Gewinne über mp3-Downloads (legal!) einzuspielen. Ganz nebenbei hätten wir Hörer die Möglichkeit Musik zu hören, die tatsächlich aktuell ist und die nicht schon jeder kennt.
Nun, mir ist ein weiterer Punkt aufgestoßen. Auch dieses mal wird’s organisatorisch und ungemütlich. Die folgende These wird wohl auf nicht jedem bekommen und so entschuldige ich mich im Vornherein, wenn meine Gedankengänge auch euch eher wirken wie Magenbitter, als das angedachte Ambrosia. Die Idee ist so alt wie das Internet und Napster selbst.
Es gibt doch nichts Schöneres als zu warten… Via Libertinus
Mehr als drei Jahre dauert es gerne mal bis ihr neue Töne eurer Lieblingsband zu Gehör bekommt. Die Namen aus dem letzten Jahr, die mir in diesem Kontext spontan einfallen sind Muse und Green Day. Da wartet man eine gefühlte Ewigkeit auf neue Lieder und wenn sie dann erstmal draußen sind, dann genießt man den Spaß doch nicht vorsichtig und genüsslich wie teure Pralinen, sondern schiebt sich den auditiven Schokoriegel gleich komplett rein.
So macht das neue Material für vielleicht ein paar Wochen oder Monate Freude, bevor man schon wieder ein neues Album herbeisehnt. Wenn es euch genauso geht, dann solltet ihr euch mit dem japanischen Musikmarkt vertraut machen. Dort (und bestimmt auch noch in anderen Ländern, von welchen ich wiederum nichts Genaueres weiß) kann man nahezu darauf setzen, dass Bands jedes Jahr mindestens eine neue Single auf den Markt werfen.
ASIAN KUNG-FU GENERATION – Ima wo Ikite PV from Ricardo Quintana on Vimeo.
Seit 2003 hat Ajikan jedes Jahr mindestens eine Single herausgebracht
Warum passiert das in Europa und Amerika nicht? Diese ganzen hochbezahlten Künstler können einem doch nicht erzählen, dass sie 360 Tage und mehr im Jahr keine einzige Idee hatten, geschweige denn Zeit einen neuen Song aufzunehmen. Das wäre wie Weihnachten, wenn man jedes Jahr einen oder auch zwei neue Titel seiner Band bekommt, bis das neue Album erscheint. Man vergisst nicht, warum man die Band eigentlich so liebt, wovon dann auch Band und Label profitieren würden.
Dass man durch eine solche Strategie an eine Band gebunden wird, ist unserer Hype-Gesellschaft wohl kaum zu befürchten. Wir schaffen es ja auch komplett auszuflippen, wenn AC/DC aus dem Altenheim ausbrechen und noch mal ein Album auflegen. Und von Alice Cooper will ich gar nicht anfangen… Wer solchen Qualitätsschwankungen vorausschauend entgegenwirken möchte und mehr als alle Jubeljahre Lebenszeichen seiner Favoriten erwünscht, der stimmt mir hoffentlich zu… muss aber nicht.
19/02/2013 at 22:54
Hallo!
Na, so richtig warm werd’ ich mit diesem Artikel nicht, deswegen kann ich Dir von meiner Seite nicht zustimmen. So gar nicht zu stimmen.
Da gibt’s einige Dinge, die mich im Artikel stören:
(1) Erstmal die Aussage, dass “das neue Material für vielleicht ein paar Wochen oder Monate Freude” mache … gemeint ist wohl: nur für ein paar Wochen.
Das hängt, glaube ich, zum ganz großen Teil von den eigenen Musikhörgepflogenheiten (geiles Wort, soeben erfunden :-) ) ab, nicht so sehr von den -vermuteten- Prämissen der Plattenfirmen oder der Musiker. Anders gesagt: Man kann sehr wohl an einem Album für längere Zeit Freude haben; man kann es diskutieren und besprechen; nochmal anhören; auf anderen Anlagen anhören (um festzustellen, inwieweit der Eindruck der Musik anders ist, wenn man’s beispielsweise im Auto hört); Meinungen anderer Leute mit der eigenen vergleichen; neue Interpretationen suchen … und so weiter und so fort. Das kann einen sehr wohl nicht nur für Wochen beschäftigen – wenn man denn will.
Der Vergleich mit der Schokolade ist entlarvend: Musik und Musikkonsumption werden nicht als langwährender Genuss dargestellt, sondern mit einem schnell weggemampften Schokoriegel verglichen – also mit etwas Billigem, das man schon vergessen hat, noch bevor man’s zu Ende gegessen hat.
Bei einer _solchen_ Betrachtung ist es verständlich, dass man am liebsten alle 35 Sekunden (zumindest gefühlt) ein neues Album haben möchte – von “hören” oder gar “anhören” will ich vor diesem Hintergrund lieber nicht sprechen.
Ein Gegenbeispiel: Es gibt ein Album von 1973, das ich heute gerne mal noch höre – fast 25 Jahre, nachdem ich es das erste Mal gekautf habe. Es ist halt gut. :-)
(2)
Aus dem Artikel spricht eine Haltung, die auf mich tatsächlich wie Magenbitter wirkt: ICH WILL HABEN! ICH V E R L A N G E VON DIR, DASS DU MIR GIBST! W E H E , W E N N N I C H T !
Daraus kann ich beim besten Willen keinen Erspekt vor der musikalischen Leistung oder vor dem Künstler selbst herauslesen. HABEN WOLLEN – ohne sich aufrichtig zu freuen; ohne wirklich froh zu sein, dass es neue schöne Musik gibt; ohne dem bereits Bestehenden die angemessene, währende Ehrfurcht entgegenzubringen.
(3)
Glaub mir: Künstler haben -gerade heutzutage- noch etwas anderes zu tun, als “nur” Musik zu komponieren. Das wird im Artikel gnadenlos unterschlagen (aus Unkenntnis, aus Verblendung, aus rhetorischen Gründen – ich weiß es nicht).
IHR SEID FAUL! Das kann nur behaupten, wer von den heutigen Anforderungen an Musiker nichts weiß oder nichts hören will.
Das spielt auch in Punkt (2) hinein: Musiker werden beleidigt (sprich: als faul dargestellt), auch und gerade dann, wenn sie gute Musik veröffentlichen. Das ist ein Beispiel für die in (2) genannte Respektlosigkeit, die aus dem Artikel spricht.
(4)
Der Artikel argumentiert unsauber.
Im Artikel wird genau ein konkretes Beispiel für eine Band genannt, die tatsächlich jedes Jahr eine Single veröffentlicht – und daraus wird europäischen und amerikanischen Bands ein Strick gedreht, indem ihnen vorgeworfen wird, sie seien faul, wenn sie das nicht auch so täten.
Eine einzige Band als Gegenbeispiel find’ ich ziemlich dünn. Damit kann nicht mal gesagt werden, ob der gesamte japanische Markt so ist oder nur doch nur diese eine Band. Gleichzeitig wird der Eindruck erweckt, dass es in Europa und in Amerika keine einzige Band gebe, die pro Jahr mindestens ein Lied veröffentlichen – ist das echt so?
(5)
Das Wortwahl “Abfälle” steht bezeichnend für die Geisteshaltung, die ich aus dem Artikel herauslese: Musiker und Komponisten -so lese ich heraus- sind es nicht wert, dass man sich über ihre Werke länger als gefühlte 35 Sekunden freut; nein, stattdessen sind sie das Wort “Abfälle” wert, sobald einem etwas nicht passt. (War anders gemeint? Dann schreib es anders.)
* * * * * *
Meine Meinung über diesen Artikel hab’ ich nun deutlich gemacht, nehme ich an. Es drückt 1:1 das aus, was ich beim ersten Lesen des Artikels gedacht habe.
Eigentlich mache ich mir sonst beim Kommentieren die Mühe, meine ersten Emotionen zurückhaltender darzustellen – aber diesem Artikel und seiner Grundhaltung will ich mich ausnahmsweise mal nicht zurückhalten.
Der Artikel ist eine Breitseite gegen engangierte Musiker – da schieß’ ich (ausnahmsweise) genau so heftig zurück. Danke für die Aufmerksamkeit.
19/02/2013 at 23:50
Hallo Thomas,
Es ist absolut okay, dass man emotional antwortet, wenn das Thema einen emotional berührt. Ich finde es gut und wichtig, dass du diese Punkte aufzählst. Leider muss ich dich darauf hinweisen, dass du sehr viel in den Artikel hinein gelesen hast, was aufgrund der Kürze und einiger Ungenauigkeiten meinerseits allerdings auch leicht passieren kann. Um etwaige Dinge zu klären, möchte ich kurz auf deine Punkte eingehen.
zu 1.) Ich habe nie gesagt, dass man Musik im Rückblick nicht immer noch gut findet. Ich selber habe schließlich auch Alben, die ich immer wieder höre. Ich habe nie geschrieben, dass ich die Musik nur für den Augenblick nutze. Die Erwartung gegenüber neuer Musik ist aber meist ziemlich ähnlich. Viele Menschen (nicht alle) können es kaum erwarten, bis das neue Album herauskommt. Dann bekommt man nach 2-4 Jahren 40-60 neue Minuten, die man ein paar Wochen in der Heavy Rotation hat und das war es erst mal.
Ist die CD gut, dann kehrt man immer wieder zurück. Alles was ich wollte, waren ein paar kleine Vorab-Singles, um die Wartezeit zu versüßen, was auch im Nachhinein aus meiner Sicht im Sinne aller Beteiligten sein sollte (gerade aufgrund der Möglichkeiten von Internetdistribution).
Es geht mir nicht um “Musikhörgepflogenheiten” (schönes Wort =) ), sondern um die Antizipation und welche Risiken sie für den Hörer mit sich bringt. Man möchte doch nur auf dem Laufenden sein, was der Interpret/die Band gerade treibt und wie sie sich entwickeln.
zu 2.) Diese Haltung, die du etwas passiv aggressiv (dank Capslock) darstellst, ist aus meiner Sicht eine sehr natürliche Haltung. Weltweit können Menschen es kaum erwarten, dass neue Musik herauskommt. Dass es bestimmt viele Menschen gibt, die die Musik nur haben wollen, um sie zu besitzen, streite ich gar nicht ab. Aber es gibt bestimmt auch Menschen (zu denen ich mich zähle), die sich immer freuen, wenn neue Musik angekündigt wird.
Wenn dann aber drei Jahre kein Lebenszeichen auszumachen ist (womit ich neue Musik meine) und die Band sich in eine Richtung entwickelt hat, die nur wenige nachvollziehen können und den Großteil der Fanbase verärgert, dann frage ich mich, ob Fans sich auf die Band und andersherum nicht besser hätten einstellen können, wenn es Musik und Feedback auf diese gegeben hätte (DAS ist ein Punkt, den ich unbedingt hätte bringen sollen! Gut, dass ich das durch deinen Anstoß nachholen konnte).
zu 3.) Diesen Punkt muss ich vollständig von mir weisen. An keinem Punkt habe ich geschrieben, dass jemand faul ist. Ich habe geschrieben, dass es höchst unglaubwürdig ist, wenn ein professioneller (also damit sein Geld verdingender) Musiker in einem ganzen Jahr kein einziges Lied zustande gebracht hat. Die einzige, wirklich Zeit verschlingende Aktivität sind Tourneen und auf solchen schreiben viele Bands neue Songs.
Das ist schmerzlich aus Sicht der Kunst, aber wenn man für die Kunst bezahlt wird und sie nicht bloß Hobby ist, dann darf man eine gewisse Produktivität erwarten.
zu 4.) Ich wollte den Artikel knapp halten. Es herrscht in Japan eine andere Art der Wahrnehmung von Bands. Will man im Rampenlicht bleiben, muss man Präsenz zeigen. Das ist nicht immer positiv und das ist mir auch bewusst. Aber ich wollte nicht ein Dutzend Bands aufzählen, um meinen Punkt deutlich zu machen. Das hätte sich nur schwer lesen lassen und wäre für einen Gedankenanstoß wohl zu viel des Guten gewesen (dachte ich…).
Aus Deutschland und den USA ist es mir nicht bekannt, dass auf eine solche Präsenzpolitik gesetzt wird, wobei ich sie allerdings für begrüßenswert halte. Insofern kann man es gerne so drehen, dass ich “einen Strick drehe”, ich viel mehr sehe es als Anstoß und als berechtigte Frage in einer Zeit, welche die Auskopplung einzelner Stücke sehr leicht macht.
zu 5.) Ich sehe absolut ein, dass der Ausdruck “Abfälle”, womit Leistungsabfall plötzlicher Natur gemeint war, falsch verstanden werden kann. Ich habe das Ganze ein wenig neutraler ausgedrückt. Diesen Punkt nehme ich klar auf meine Kappe, auch wenn dieser Absatz in erster Linie eine Kritik auf unsere Hype-Kultur sein sollte, die am Ende sowieso alles mit sich machen lässt.
Ich hoffe, dass ich einiges klären konnte und du nun nicht gleich dem Blog abschwörst. Ich habe zumindest gut vorausgeahnt, dass dieser kleine Beitrag für Querelen sorgen könnte. Aber das ist das Wunderbare am Internet. Du reagierst auf den Text und ich auf deinen Kommentar und das ganz ohne Geschrei und Geprügel. Bis nächste Woche. ;)
20/02/2013 at 00:32
Hallo!
Vielen Dank für den schnellen Komemntar! :-) Ich werd’ mal was dazu schreiben, wenn ich ausgeschlafen (und wieder gesund) bin.