Mein Grundproblem mit Preisverleihungen ist nicht, dass sie zu kommerziell, politisch korrumpiert oder ungerechtfertigt medial gepusht sind. Denn selbst wenn der Idealfall eintreten sollte, nur künstlerisch großartige Filme nominiert sind und alle Beteiligten einen exzellenten Job gemacht haben, läuft es am Ende darauf hinaus, dass die Nominierten verglichen werden müssen. Und da fängt der Salat an, denn wie soll man Les Mis mit Argo und Life of Pi vergleichen? Das eine ist ein Musical, das andere ein politisches Drama und das letzte ein bildgewaltiges Moralstück. Die Genres selbst sind so unterschiedlich, dass es kaum möglich erscheint ein ‚besser‘ oder ‚schlechter‘ auszusprechen. Vor allem bei den Oscars fällt dieses Problem öfter auf, da es hier nur eine Kategorie für den Besten Film gibt. Das ist bei den Golden Globes deutlich besser gelöst, denn dort lässt sich Silver Linings nicht in der gleichen Kategorie wie Argo oder Life of Pi finden, obwohl es mit diesen zweien zu den stärksten Filmen des Jahres 2012 gehört.
Einen großartigen Film hat mensch dann gesehen, wenn Bild, Geschichte und Ton perfekt harmonieren. Bei Filmen wie A Good Day to Die Hard weiß mensch sofort warum er*sie frustriert aus dem Kino geht – eine unterirdische Story mit einer durchschnittlichen visuellen Umsetzung (auch wenn die Kulissen und Einstellungen hier und da ganz nett waren) machen eben noch kein großes Kinoerlebnis. Aber dann gibt es ja – dem Universum sei Dank – Filme wie Silver Linings, die uns erinnern, warum Kino so viel Spaß machen kann. Dabei gehört das Werk von David O. Russell über die aufkeimende Beziehung zwischen zwei psychisch angeschlagenen Menschen zu den Filmen, bei denen es schwer ist, den Finger auf den eigentlichen Grund zu legen, der sie so gut macht. Es ist nicht so, dass ich im Kino saß und dachte: ‚Wow, was nen guter Schnitt‘ oder ‚Was ne krasse Einstellung‘ und trotzdem war ich hingerissen. Und letztendlich ist das das größt mögliche Kompliment, denn es zeigt, dass hier alle Rädchen so überzeugend in einander gegriffen haben, dass sich die einzelnen Zutaten zu einem wohlschmeckenden Gesamtkunstwerk vereinen konnten.
Wenn es aber eine Sache gibt, die hervorgehoben werden muss, dann sind es die herausragenden Schauspieler*innen. Der Fokus des Films liegt auf der Charakteren, ihren Entwicklungen und somit auch den Dynamiken zwischen denselben. Dabei gibt der Regisseur den Schauspielenden den Raum, den sie brauchen um ihren Figuren Menschlichkeit einzuhauchen. So können alle Figuren, selbst kleine Nebenrollen, einen Eindruck hinterlassen und bleiben im Gedächtnis. Und daher ist es auch keine Überraschung, dass hier ein sorgfältig ausgewählter Cast glänzen kann.
Bradley Cooper ist als der vor kurzem aus der Psychatrie entlassene Pat sicherlich die größte Überraschung, was aber hauptsächlich daran liegt, dass wir ihn bisher nicht aus anspruchsvollen Filmen kennen. Der Kontrast zu seinen bisherigen Filmen (wie The Hangover 1 und 2) sorgt letztendlich dafür, warum alle über ihn reden. Cooper kann wirklich und in echt schauspielern (!) und hat von Anfang an die Sympathien des Publikums. Und selbst wenn er keinen einzigen Preis für diese Rolle bekommen wird, hat er damit eine Tür geöffnet, von der jede*r Zuschauer*in profitieren wird, denn Silver Linings macht Hunger auf mehr.
Neben ihm ist es aber Jennifer Lawrence, die einem*r den Atem verschlägt. Lawrence hat schon in den Hunger Games bewiesen, dass sie auch einem Blockbuster Tiefe geben kann (wobei das sicherlich auch mit dem guten Drehbuch zusammenhing) und setzt hier ihren Siegeszug in einem weiteren ‚richtigen‘ Film fort. Dabei schafft sie es mit ihren Anfang Zwanzig die Rolle einer jungen Witwe auszufüllen, ohne dabei sonderlich jung zu wirken. Ihre Interpretation der Tiffany ist von einer Reife und Zeitlosigkeit geprägt, die nicht dem jungen Alter der Schauspielerin entspricht und endgültig offenlegt, dass wir hier eine der neuen Größen Hollywoods sehen. Letztendlich ist es aber die Chemie zwischen den beiden Hauptdarsteller*innen, die dem Film seine Seele gibt. Dabei gelingt es beiden ihre Krankheit so sympathisch und normal rüber zu bringen, dass mensch sie zu keiner Zeit als krank empfindet.
Getragen wird die sich langsam entwickelnde Liebesgeschichte von starken Nebencharakteren, die von Größen wie Robert De Niro zum Leben erweckt werden. Ich könnte mich jeder dieser Figuren ausführlich widmen, das würde aber leider den Rahmen sprengen, deswegen gebe ich euch mein Wort: Auch hier überzeugen alle bis in die letzte Minute und vor allem die Darstellerin der Mutter Pats, Jacki Weaver, sei hier noch mal hervorgehoben. Auch wenn sie im Vergleich zu De Niro weniger Text hat, berührt Weaver umso mehr mit ihrer Mimik und Gestik.
Der Silberstreifen am Horizont, the silver lining – danach sehnen sich nicht nur Pat und Tiffany!
Silver Linings ist ein Film, der verhältnismäßig viel Dialog hat und zu keiner Zeit Langeweile aufkommen lässt. Gerahmt werden diese mono- und dialoglastigen Szenen von musikalisch untermalten Zeitraffern, die neben dem sonst sparsamen Einsatz von Musik hervorstechen. Letztendlich zeigt dieser Film, dass es keine gezwungen philosophische Diskussionen, künstlich aufgeblähte Bilder oder CGI in all seiner Vielfältigkeit braucht um eine berührende, menschliche und bewegende Geschichte zu erzählen. Eine gute Story, tolle Schauspieler*innen und eine Kamera ist alles, was da sein muss um einen großartigen Film zu machen. Auch wenn der Oscar wahrscheinlich an Argo gehen wird, ist es allein die erfrischend menschliche Inszenierung der finalen Tanzszene (die ohne zu Zögern in die gleiche Kategorie wie John Travoltas und Uma Thurmans Tanz in Pulp Fiction gehört), die mich dankbar auf das Jahr 2012 zurückblicken lässt.
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