Der mp3-Download setzt sich langsam, aber sicher durch. Er ist schnell, komfortabel und erlaubt höchst selektive Auswahlen. Für Menschen wie meine Mutter ein Traum, die meistens sowieso nur die Radiosingle plus zwei, drei weitere Songs eines Interpreten mögen. Da muss nicht gleich das ganze Album gekauft werden. Allein das Sammlerherz blutet, wenn man keine Plastikschalen und Pappschachteln mehr im eigenen Schrank unterbringen kann.

Als Kind eines – in solchen Dingen – immer gut gefüllten Haushalts hat der Gedanke des digitalen Besitzes aber auch etwas unsagbar Schönes. Kein unnötiger Stauplatz und alles ist praktischerweise auf Festplatte gebannt. Da kauft man schnell mal eine Back-Up-Festplatte zur Back-Up-Festplatte und dann muss man auch nicht mehr Angst um den Verbleib der Daten haben, als bei den Silberscheiben.

Warum fängt der neue Ton diese Woche mit diesem Thema an? Nostalgie natürlich! Ich denke an meinen ersten, absolut amateurhaften Mixtapes als Kind nach. Unglaublich gerne habe ich Lieder auf Kasetten gebannt und meine eigenen Super-Mixes gebastelt. Mit einem meiner Kasettenrekorder konnte ich sogarrichtig aufnehmen und konnte Lieder so Podcast ähnlich ansagen. Meine Herren, hatte ich Spaß mit dem Teil. Ich glaube, dass es um die Teenage Mutant Ninja Turtles ging. Es gab wohl nichts Größeres zu diesem Zeitpunkt im Leben meines vierjährigen Ichs. Diese Magie erlebt man heute nur noch selten. Anscheinend habe ich mein Nimmerland einfach nur verloren, wenn man den letzten Mehr-Spieler-Artikel betrachtet. Ich will berührt werden von Musik, ich will sie entdecken und ich will meine ganz individuelle Sammlung erstellen. Mal sehen, was diese Woche dafür in Frage kommt.

Der gute Ton

Chan Marshall aka Cat Power ist ebenfalls noch aus der Zeit der analogen Musik. Die inzwischen 40jährige Singer/Songwriter-Veteranin istam besten mit Frau Morisette zu vergleichen. Klare Verweise zur Rock-Szene und viel tiefsitzende, emotionale Wunden, die aufgedeckt werden wollen, stehen auf dem Programm. Auf dem simpel betitelten “Sun” gibt es wieder eine ganze Menge zu erzählen. Von der abgeschlosssenen Rehab dürften einige Geschichten hängen geblieben sein und man trifft ja auch immer so die ein oder andere inspirierende Größe, wenn man den (hoffentlich positiven) Trend der Heilung durchläuft.


Hübscher Song, hübsche Frau. Hoffentlich geht es auch ohne Probleme im Alltag für Cat Power.
Aber keine Sorge! Chan entschuldigt sich jetzt nicht für ihr bisheriges Leben und/oder suhlt sich in Mitleid, sondern legt sehr fesche, attraktive Nummern wie den Opener “Cherokee”. Wenn überhaupt umarmt Cat Power ihr biologisches Altes und klingt reifer und abgeklärter, als sie es bisher tat. Wie eben Morissette zu besseren Zeiten, als noch nicht Mittelmaß-Lieder für Blockbuster (Prince of Persia – Sand der Zeit) auf dem Programm standen.

Ob Frau Marshall endgültig von ihren Psychosen geheilt ist, kann man von außen natürlich nicht beurteilen, aber auf jeden Fall klingt “Sun” nicht mehr so verletzt und zerrüttet wie vorige Alben. Nach ihren ganzen Cover-Alben und bloßen Gastauftritten, die nicht annähernd mit ihrer Krankenakte mithalten konnten, war die Messlatte auch nicht gerade hoch. Umso erstaunlicher ist es für einige, dass weiterhin ein so großes Potenzial in der ach so kaputten Cat Power steckt.

Die Ton-Landschaft

Zum Glück gibt es auch wieder Klasse in Massen. Gut, wir lassen die Kirche mal im Dorf, aber es gibt zumindest vernünftige Alternativen zu Cat Power, sodass auch härtere und anders versierte Gemüte zum Zug kommen. Tatsächlich besteht der Großteil aus direkter Konkurrenz für Cat Power in Form von Jens Lekman, La Blanche Alchimie und Mark Knopfler. Hier gibt es von Songwriter- über Dark-Pop noch eine Packung Folk, die alle irgendwie ähnliche Ziele haben, aber ganz verscheidene Ansätze wählen. Radio-Atmosphäre bei Lekman oder doch lieber das dunkel akustische Klangexperiment des Duos La Blanche Alchimie? Die Alternativen heben sich stilistische stark voneinander ab.


Mit so klaren und weichen Tönen rufen nur wenige Künstler dem Trend des Maximalpops “Fuck You!” zu.

Aber auch für die Rocker und Metaler unter euch gibt es ein oder zwei Schätze zu entdecken. Die Letzte Instanz meldet sich auf “Ewig” mit dem selbsternannten Brachialrock zurück und “Screaming For Vengeance” wird 30 Jahre alt. Alles Gute zum Geburtstag Judas Priest. Euren Namen wird man auch in 20 Jahren noch kennen. Ich bin jetzt schon gespannt, was für “unveröffentlichtes” Material sie dann mit auf Platte pressen. Nein, im Ernst. 30 Jahre sind eine Hausnummer, die sich sehen lassen kann. Ich halte es zwar für unwahrscheinlich, dass Hörer der Band dieses Album noch nicht besitzen, aber falls das doch der Fall ist, habt ihr jetzt die Gelegenheit euren Fehler gut zu machen. Das geht natürlich auch billiger, wenn ihr auf weniger neue Wiederauflagen setzt, aber es ist euer Geld.


Gar nicht so brutal und brachial, aber auf jeden Fall auf seine eigene Art episch.

Ton-Kompost

Vor neun Jahren waren Matchbox Twenty eine echte Ohrenweide. Man konnte sich an “More Than You Think You Know” gar nicht satt hören, wenn Pop-Rock ein beliebtes Metier darstellte. Aber hey! Neun Jahre später dürfen wir den Fall einer viel versprechenden Truppe beschreien. “North” ist im besten Falle unteres Mittelmaß. Jimmy Eat World-Fans können da getrost die letzten (ernüchternden) Outputs ihrer Lieblinge als Meisterwerke schimpfen, wenn man das mit der lieblosen Pop-Ansammlung auf “North” vergleicht.

Weniger erwartet, weil nicht so sehr auf dem Radar, ist der akustische Ausrutscher “Das Hörbuch” von Rainbow. Hier wird altbackener Hardrock ganz schnell zu Schnarchrock und bettelt gerade darum nicht gehört zu werden. Lasst die Finger davon und tut euch was Gutes. Also zum Beispiel NICHT den nächsten (SO ÜBERFLÜSSIGEN! CAPSLOCK; FUCK YEAH!) Step Up-OST. Hurra, endlich kann ich meine Wut wieder an schlechter Musik auslassen. Bei so viel Bockmist schließe ich den Beitrag wieder mit guter Musik. Eine schöne Woche und haltet Ausschau nach noch mehr guter und schlechter Musik. Seid gute Musikbürger und empfehlt gute bzw. schützt eure Mitmenschen vor bescheidener Musik.


Mein bis heute liebstes Dredg-Lied. Warum hängt das hier hinten dran? Ein Reim für euch: weil ich es kann!