Das Internet sollte eigentlich Berthold Brechts großen Traum des Radios wahrmachen. Die Rezipienten werden Mitspieler und greifen in das Geschehen ein. Das passiert durch Kommentare und Vorschläge von eurer Seite, die dann allerdings auch konstruktiv sein müssten. Eine Sandburg kaputtzutreten ist keine Kunst, sie wetterfest zu gestalten dagegen schon.

Aus eigenem Hause hat sich Anne endlich mal eingeschaltet und nutzt mein Geschreibsel als Werbequelle für die eigenen Wünsche. Ja, Vorstellungen werden wahr oder erst richtig schlimm, wenn der böse, böse Max seine subjektive Meinung loslässt.

Heute gibt es Lobhudeleien oder eben fest aufs Fressbrett für Love A und Frau Potz, bevor ich noch den ein oder anderen Tipp des letzten Releasetages in Deutschland abgebe.

Der deutsche Ton: Frau Potz und Love A – Zusammen geteilt!

Am 12. Oktober haben die Rookie Records zwei ihrer Pferde zusammen aus dem Stall gelassen. Nicht etwa mit Alben, sondern mit einer Split-Single. Es handelt sich um jeweils eine neue Single der beiden Deutschpunkgruppen, die beide um die zwei Minutengrenze herum für kurzweiligen Spaß sorgen wollen und im besten Fall Appetit auf mehr machen sollen.

Mit ihrem letztjährigen Album „Eigentlich“ haben Love A ein textlich sehr kritisches Album abgeliefert. Weniger auf Härte ausgelegt, sondern auf Alltagsprobleme ausgerichtet ist „Eigentlich“ ein im Garage-Sound aufgenommenes Kurzwerk, welches den Einblick in ein paar junge, unzufriedene Köpfe lieferte. Damit sind sie mit Bands wie den Goldenen Zitronen und Turbostaat in guter Gesellschaft. Besonders mit der neuen Split-Single „Entweder“ gibt es genug Parallelen zu letzteren Turbostaat. Der Sound auf „Entweder“ wurde ordentlich aufgebessert. Das wird Pogo-Punker nerven, tut dem musikalischen Gesamtbild jedoch gut. Der Gesang ist immer noch clever auf Hall gepolt und regt zum Aufbäumen an, wogegen die restlichen Musiker jetzt richtig gehört werden dürfen und der teils sehr verwaschene Sound auf „Eigentlich“ zunichte gemacht wurde.

Ob die Texte beim Hörer zünden, ist letztendlich natürlich die entscheidende Frage, doch zumindest auf musikalischer Ebene reißt Love A mit „Entweder“ gut mit und ist für alle die auch schon Trubostaat mochten eine klasse Alternative.


Für Schreihälse: Keine Sorge! Mit dem Chorus wird auf die Kacke gehauen!

Frau Potz haben sowieso noch viel weniger Grund sich zu verstecken. Mit mehr Gitarrenwänden und Geschrei im Gesang und – ja, das klingt jetzt negativ für Love A – nicht ganz so anschmiegsam. Frau Potz wissen genau, dass sie einem im Zweiminutentakt die Ohren zuballern wollen mit ebenfalls kritischen Texten, aber eben auf musikalischem Wumms dahinter. Da sind Love A im Vergleich fast schon künstlerisch und zurückhaltend. Aber es ist ja auch eine Kunst heute noch den Punk auf den Punkt zu bringen. Und dieser setzt sich dann eben mit Alltag, Kultur und wenn wir Glück haben auch mit Politik auseinander. Für die ersten beiden Kategorien bewerben sich Love A und Frau Potz in einer Weise, die zumindest meine Daumen nach oben schnellen lässt.

Der große Ton: Turbostaat und Trail Of Dead

Da lassen sich jetzt natürlich noch wunderbar Referenzen verwursten. Da wäre eben die deutsche Alternative Turbostaat, die man auf dem Zettel behalten sollte. Die neue Platte ist laut Band bereits fertig aufgenommen und bearbeitet. Jetzt heißt es Warten auf das grüne Licht seitens der Plattenfirma. Warum mülle ich euch jetzt damit zu, wenn ich sowieso in der (hoffentlich) nahen Zukunft ihr neues Album (hoffentlich) in höchsten Tönen loben werde? Nun, es passt gerade unglaublich gut in den Kram dieser Punk zentrierten Ausgabe.

Frau Potz und Love A sind weitere Belege dafür, wohin sich der Punk in Deutschland entwickelt und entwickelt hat. Gerade der Punk ist schließlich ein Genre, welcher unter einer großen Identitätskrise leidet. War früher blankes vor den Kopf stoßen noch ein probates Mittel zur Gesellschaftskritik nimmt man solche Kindereien heute nur noch selten ernst. Destruktiven Punk will heute in der Musikszene (eigentlich) keiner mehr. Ideen und Kritik werden einfach anders wiedergegeben als noch zu Zeiten der Sex Pistols und das darf man durchaus als positiv bewerten, wenn man die bisher genannten Vorbilder betrachtet. Sich den Frust und die Wut von der Seele singen geht bei Turbostaat und Konsorten aber auch heute noch genau so gut wie vor 40 Jahren.


Turbostaat-Fans gibt es in allen Formen und Farben. Sehr schön!

In Amerika hat der Punk zur Zeit eigentlich sogar Revivalpflicht! Schließlich gibt es wieder quietschbunte Schlammschlachten im TV, die den besten Streithahn an die Spitze eines der mächtigsten Länder der Welt setzen soll. Neben Propaganda at it’s finest zeigen sich komischerweise in diesem Vierjahresrhythmus die unsagbarsten menschlichen Abgründe, die man sich so vorstellen kann. So wissen wir jetzt – dank den größten der amerikanischen Denkern – dass Frauen durch Vergewaltigungen gar nicht schwanger werden können und nur weil man letzte Woche eine Meinung hatte, man Konkurrenten später für eben diese Einstellung nicht angreifen kann. Freedom of Speech beinhaltet scheinbar auch die Freiheit so viel gequirlte Exkremente aus seinem Mund tropfen zu lassen, wie man möchte.

Dementsprechend haben sich And You Will Know Us By The Trail of Dead in ihrem neuen Video über übliche Weisheiten aus der Politik ausgelassen und ziehen stereotypisch über ihre politischen Feindbilder her. Das schließt auf ihrem neu erschienenen Allbum „Lost Songs“ auch Russland und den Pussy-Riot-Fall ein und ist seit ihrem schroffen Album „Madonna“ ihr erstes Werk, das auf Kunstgriffe großteils verzichtet und wieder auf hallendes Geschrei und viele, schnelle und laute Gitarren setzt. Ehe wir es uns versehen wird Punk wieder Mainstream!


Ungewohnt laut und politisch

Der flexible Ton

Wer so gar keine Böcke auf Punk hat, der wird erleichtert sein, dass natürlich auch in anderen Sparten wieder gute Musik aufkommt. Seit langer Zeit nehme ich es mir mal wieder heraus ein wenig Metal zu empfehelen, auch wenn mein Metal-Horizont nicht der Weiteste ist. Man bemüht sich eben. Mehr als nur bemühen tun sich Mob Rules mit „Cannibal Nation“, die nach 13 Jahren noch immer nicht genug haben. Vielleicht sind sie einigen mit ihrem Melodic-Einschlag auch gar nicht mehr hart und schroff genug und nur deswegen kann auch ich etwas mit ihnen anfangen.

Noch viel mehr in Richtung Melodie gehen Menomena, die nach ihrem schwächeren Album „Mines“ auf „Moms“ wieder größer, besser, schneller und weiter in Sachen Musikhorizont wirken und so vielschichtig ihren Rock mit Hilfe vieler verschiedener Stile zu einem nahezu unbeschreiblichen Rock-Erlebnis machen. Wer Hang zu leichterer Prog- und tieferer Indie-Musik aufweist, sollte sich Hörproben antun.

Zum Abschluss soll noch Ryan Bingham mit „Tomorrowland“ erwähnt werden, damit ich ein wenig Americana-Feeling und Singer/Songwriter-Musik im Programm habe. Da bleibe ich mir treu, da das bestimmt auch irgendwo Punk ist. Aber Schluss mit den Späßen und dem neuen Ton für diese Woche. Hört schön rein und bei Wünschen, Kritik und Sonstigem ist die Kommentarfunktion schon jetzt ganz heiß auf euch!


Die Kunst einen Beitrag mit einem Ohrwurm zu beenden