Bringen wir es hinter uns. Tun wir so, als bräuchten wir einen Vorwand, um richtig gute Musik zu empfehlen. Wir sind längst in der Supermarktlebkuchenphase des Jahres angekommen, also ballern wir im Buzzfeed-Style ein paar Empfehlungen heraus. Statt coolen Listen mit „11 Alben, die ihr dieses Jahr garantiert (oder auch nur vielleicht) verpasst habt“, möchte ich euch ein paar Lieblinge einzeln und in Ruhe vorstellen.

Den Anfang macht ein Album, das für mich eine Gefühlsachterbahn dieses Jahr widerspiegelt. Ähnlich wie vor zwei Jahren Adam Angst überraschte mich Patrick Richardt dieses Jahr vollkommen unvorbereitet. Außer dass die beiden Künstler das Grand Hotel Van Cleef ihr Label-Zuhause nennen, eint diese Acts nicht viel. Patrick Richardt sollte für mich dieses Jahr der Startschuss für ein Musikjahr sein, in welchem Texte und Botschaften mich aufgrund meiner eigenen Situation noch mehr als sonst beschäftigten. Die Stimmung, die Musik vermittelt, ist für mich oftmals entscheidend, sodass Liedtexte nicht immer die höchste Priorität einnehmen. Wenn eine eurer Lieblingsbands auf Japanisch singt und ihr selbst kaum ein Wort versteht, schleicht sich so eine Einstellung schon mal ein.

Patrick Richardts „Soll Die Zeit Doch Vergehen“ war ein Weckruf in einer schwierigen Phase meines Lebens, die kurz darauf noch schlimmer wurde, um sich langsam aufzuklären. Damit habe ich das Album aus mindestens drei verschiedenen Stimmungslagen heraus gehört. Am Anfang habe ich gehofft, in der Mitte erschien alles sinnlos und jetzt, über ein halbes Jahr später, höre ich den unbändigen Optimismus, den ich mir am Anfang versprochen hatte.

Dabei ist Richardts Album kein Happy-Go-Lucky-Album, sondern eines, das sich textlich mit Selbstzweifeln aller Art auseinandersetzt. Lethargie („Euphorie“), Zeit- und Erwartungsdruck („Soll Die Zeit Doch Vergehen“), unsichere Gefühle („Sag’ Mir Bescheid“ und „Panikherz“) und persönliche Laster („König Alkohol“) stellen sich Patrick Richardt in den Weg. Und doch findet „Soll Die Zeit Doch Vergehen“ auf alles Antworten. Antworten, die nicht einfach Mantra sind, sondern aus Selbstkritik und Reflexion entspringen.

Was Patrick Richardts Album zum Besten zählen lässt, was mir dieses Jahr untergekommen ist, ist in Bezug auf den Massenerfolg wahrscheinlich auch seine Schwäche. Richardt hat beim ersten Hinhören keinen einzigartigen Stil. Er folgt Pop- und Rocktraditionen der letzten zwanzig Jahren. Das geht so weit, dass gerade die Balladen „Zu Dir, Zu Uns, Zurück“ und „Wie Weit“ durchaus von Echt (erinnert ihr euch?) hätten stammen können.

Patrick Richardt verkörpert eine musikalische Phase, die gerade nicht mehr aktuell erscheint. Wer nicht mit großem Namen wie Judith Holofernes auf sich hinweist, der darf eigentlich nicht so naive Musik wie Patrick Richardt machen, wenn er Erfolg haben möchte. Gerade weil „Soll Die Zeit Doch Vergehen“ frei von Attitüden und Trends bleibt, bleibt mir das Album aber auch als eines der ehrlichsten Alben des Jahres in Erinnerung. Die Gassenhauer „IDEAL“ und „Euphorie“ ploppen regelmäßig in meinem Kopf auf und als Jack-London-Verehrer hat „König Alkohol“ einen besonderen Platz in meinem Herzen, auch wenn Patrick (ich duze ihn mal dreist) auf Nachfrage gesagt hat, dass seine Zeit als Kellner und nicht das Buch ihn inspiriert hat.

In einem Jahr, in dem ich mich in meiner Art gegenüber anderen Menschen sehr auf die Probe gestellt gesehen habe, ist die Ehrlichkeit in „Soll Die Zeit Doch Vergehen“ eine bleibende Qualität. Ich konnte das Album einige Monate lang partout nicht hören, aber jetzt, wo ich wieder einen Zugang gefunden habe, bin ich umso glücklicher mit dem Album. Wenn ihr mir und Patrick Richardt selbst einen großen Gefallen tun wollt, überzeugt ihr euch selber von seiner Musik. Das mit Patrick ist für viele wahrscheinlich keine Liebe auf den ersten Blick, aber gerade die Sprachliebhaber und Textfanatiker unter euch werden mit diesen Melodien nachhaltig ihre helle Freude haben.

Ach, und was ihr auch tut: fangt bitte nicht mit der Single “Rotterdam” an. Das Album bietet so viele bessere Momente!

Featured Image: Patrick und ich wie Kumpels auf dem Sofa. Die Kopie habe ich für meine Kritik auf cdstarts.de erhalten. Sie ist nicht von einem Laster gefallen. Danke an Grand Hotel Van Cleef an dieser Stelle.