Puh. Da sitze ich nun am Sonntag nach 23 Uhr und schaue fern, lese Analysen und soll auch noch etwas schreiben. Einen weiteren Eimer Wörter in den See aus Sätzen kippen. Aber was soll man* da sagen? Es bleibt letztlich nur das Mantra: Richtig schlimm wird es erst nächstes Jahr. Wenn dann die AfD im Bundestag…
Aber fangen wir von vorne an. Es waren Wahlen, Landtagswahlen, in drei Bundesländern. Zwei im Westen, eins im Osten Deutschlands. Alle Parteien haben leichte Rückgänge zu beklagen und laut den Daten der Lügenpresse ARD hat die AfD überall gewonnen. Es war quasi ihre Feuertaufe, nach ein paar Testläufen in Thüringen und zur Europawahl, zuletzt bei den Kommunalwahlen in Hessen. Jetzt also hat Deutschland seine eigene, etablierte, populistische Partei, die AfD.
Und damit befindet sich Deutschland in guter, europäischer Gesellschaft:
- Frankreich hat seinen Front National
- Belgien Vlaams Belang
- die Niederlande die Partij voor de Vrijheid
- die FPÖ in Österreich
- Lega Nord und Forza Italia in Italien
- Schweden wird bedrängt von den Schwedendemokraten
- in Dänemark hat die Dänische Volkspartei die zweitmeisten Sitze im Parlament
- Die UKIP trommelt sich in Großbritannien immer wieder auf der Brust herum
- die SVP in der Schweiz ist ein Sonderfall, augrund der besonderen Konstruktion der schweizer Demokratie: Sie ist zwar stärkste Partei im Nationalrat, hat aber eher mäßigen Einfluss auf die Gesetzgebung
- Und schließlich kann man in Polen sehr genau beobachten, was passiert, wenn eine nationalkonservative, xenophobe und anti-moderne Partei die Macht erlangt
Also alles halb so schlimm, weil das ja ein europäischer Trend ist? Schön wär’s. Auch in den USA braut sich mit dem Erfolg von Donald Trump ein ähnlicher Wutsturm über die Politik zusammen. Es bleibt die Frage: woher kommt das? Warum wählen die Menschen AfD?
Schlussstrich und Enttäuschung
Nationalkonservative, populistische Parteien hatten es in Deutschland eher schwer, was an der prägenden Erfahrung der Bundesrepublik mit dem Nationalismus liegt. Der Erfolg der AfD zeigt, dass Begriffe wie “Volk” oder “Deutsche” leider wieder salonfähig geworden sind, dass die emotionale Distanz zur nationalsozialistischen Vergangenheit, inklusive des Holocausts, sehr groß geworden ist. Der industrielle Massenmord und die zahlreichen Toten des Zweiten Weltkrieges werden (hoffentlich!) nie vergessen werden, aber es ist auch deutlich, dass der von den Konservativen so heiß ersehnte “Schlussstrich” unter der deutschen Geschichte immer breiter wird. Die historische Verantwortung Deutschlands, aber auch Europas, scheint dagegen immer weiter aus dem kollektiven Gedächtnis zu verblassen.
Via Flickr, by Christopher Porter
Zur Entspannung bei diesem Thema gibt es beruhigende Bilder
Die Gründe für den Erfolg von rechts liegen auch in der Impotenz der etablierten Parteien, allen voran der SPD. Die hat massive Verluste bei den Landtagswahlen eingefahren und ihr geht es auch im Bund nicht allzu gut. Zehn Prozent, plus minus ein paar Zerquetschte, das ist nicht schön für eine Partei, die früher einmal eine veritable Alternative zur konservativen CDU war. Die SPD heute dagegen ist ein verzweifelter Schatten ihrer einstigenGlorie, klammert sich an die Tradition als Partei “des kleinen Mannes”, obwohl sie schon lange für viele Mitglieder*innen nur ein Karriereschritt hin zum Vorstand eines DAX-Konzerns ist – oder hin zum bequemen Sitz in einer Verwaltungsinstitution. Ihre eigenen Kandidat*innen haben die Werte der SPD ausgehöhlt und ad absurdum geführt. So haben die Sozialdemokraten nicht nur ihre eigenen Ideale, sondern auch ihre Wähler*innenschaft vor den Kopf gestoßen und an Glaubwürdigkeit verloren.
Ein Problem, mit dem sich auch die Verluste der anderen Parteien erklären lassen: Kaum ein*e Politker*in wirkt noch wirklich glaubhaft, wenn sie/er vor Publikum spricht. Deshalb zieht die AfD so viele Stimmen aus allen Parteien, von enttäuschten Sozialdemokrat*innen genau wie von Ex-Liberalen, allen voran aber den schon lange resignierten Nichtwähler*innen. Denn jene, die in einfachen Worten einfache (jedoch vermeintliche) Wahrheiten predigen, wirken glaubwürdiger. Eine wunderbare Parallele ergibt sich da zur Präsidentschaftskandidatur in den USA: Donald Trump (also eigentlich ja Drumpf, immerhin sollte er auf seine Herkunft Stolz sein! #makedonalddrumpfagain) wird von seinen Anhänger*innen so geschätzt, weil er “sagt, was er denkt”. Er gilt als Anti-Establishment, ein Label, dass sich auch die Rechtspopulist*innen in ganz Europa anheften. Es ist eben diese Glaubwürdigkeitskrise, welche die Zugkraft der etablierten Parteien so massiv mindert und selbsternannten “Alternativen” Zulauf bringt.
Die Angst vor der Moderne
Es ist auch die globalisierte Moderne, die Menschen in Angst versetzt – und Angst gebiert schließlich den Hass, mit dem AfD und Co. so erfolgreich demokratische Werte wie Toleranz und Diskurs kannibalisieren. Die Globalisierung versetzt die Menschen in viele Unsicherheiten: die Zukunft sei früher einfach besser gewesen, weil berechenbarer, so die Gemütslage vieler Ängstlicher. Die Konkurrenz ist mittlerweile nicht mehr die USA oder Japan, sondern die ganze Welt. Deshalb haben viele Angst vor dem Verlust ihres Wohlstandes – der Mittelstand fürchtet sich vor dem Fall. Und dann wären dort auch noch diese lästigen Minderheiten, die auf ihre Recht als Menschen, auf ihre Würde pochen und Privilegien der Mehrheiten beschneiden wollen. Feminist*innen, Homosexuelle, Migrant*innen: Sie alle wollen uns weißen, heterosexuellen, “normalen” Frauen und Männern bewusst machen, dass wir auf Kosten Anderer unseren Lebensstil pflegen. Aber wir, so der erschrockene Ausruf des Schnurrbartträgers am Stammtisch, wir sind doch gar nicht Schuld daran! Nö, so die schulterzuckende Entgegnung dieser nervigen Gutmenschen, aber ihr profitiert davon, im vollen Bewußtsein eurer Verantwortung. Der Verlust von Wohlstand und Privilegien ergibt einen Angstcocktail, der Rechtspopulist*innen berauscht und ihre Wähler*innen in fiebrige Hoffnungen versetzt – die alle nicht erfüllt werden können. Denn die Welt ist leider zu kompliziert für die einfachen Lösungen von islamophoben Rassist*innen. Wenn sie denn überhaupt ein Interesse an der Lösung haben.
via Flickr, by Luke and Kate Bosman
Tja, und dann ist da noch die Wende. Die große Enttäuschung für die allermeisten Menschen in der ehemaligen DDR. Die taumelhohen Hoffnungen von 1989, nach Demokratie, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit werden seit über 25 Jahren konsequent für die politischen Karrieren Einzelner instrumentalisiert – und daher enttäuscht. Kein Wunder also, dass sich die Menschen in Ostdeutschland, platt gesagt, mal gehörig verarscht fühlen, nach einem diffusen “früher” zurücksehnen und wenig Sinn in einer Demokratie finden, die sich konsequent gegen die Interessen ihrer Wähler*innenschaft wendet. Die durch die Treuhand und den plötzlichen Einbruch des Kapitalismus geschlagene Lücke in der Sinnfindung der Einwohner der alten DDR füllten dann nicht gemeinschaftlich finanzierte Programme zum Strukturwandel (wie übrigens in NRW), sondern die NPD. Aber wovon sollte man* das ja auch bezahlen? Hatte man* diesen ständig jammernden Ossis nicht schon Genug Geld in den Arsch geblasen?
Hinschauen
Die Ursache für den Erfolg der AfD in Deutschland ist, wenig überraschend, hausgemacht. Über Jahre andauernde Entwicklungen wurden entweder kleingeredet (im Falle des NSU) oder ignoriert, weil sie nicht ins Weltbild passten (“Die Mitte ist doch nicht rassistisch!”). Der erste Schritt wäre nun, die Hände von den Ohren zu nehmen, die Augen zu öffnen und endlich aufzuhören “Lalala, ich höre euch nicht” zu singen. Und dann zu schauen: Warum rufen die Menschen jeden Montag in Dresden diese schrecklich sinnentleerten Parolen? Warum brennen Heime für Flüchtende? Warum haben die Menschen Angst? Aber die Antwort auf die Fragen kann nicht sein, den Forderungen von Hetzer*innen und Volksschwadronierer*innen nachzugehen.
via Flickr.com, by David F. Arndt
Eine Partie, die mehr Katzen für jede*n fordert, würde ich sofort wählen.
Nein, wir als Gesellschaft müssen sagen: Jetzt erst recht! Mehr Freiheit, mehr Offenheit, für alle, denn Nähe schafft Akzeptanz. Im Prinzip sind wir als Gesellschaft ja auf einem guten Weg, was Gleichberechtigung und Toleranz angeht. Deutschland hinkt wie immer hinterher, aber auch hier werden die Stimmen der Gerechtigkeit und Freundlichkeit lauter. Statt angesichts der schrillen Schrecklichkeiten aus den Mündern der Rechtspopulist*innen, der Rassist*innen und Homophoben zu verstummen, müssen wir, die wir differenzieren, verstehen und eintreten für wirkliche, demokratische Werte etwas tun. Wir müssen noch lauter die gute Botschaft in die Welt tragen: Wir sind alles Menschen! Also handeln wir menschlich!
Denn nur so schaffen wir den Hass aus der Welt.
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