Sonntag war ein schwarzer Tag in der deutschen Geschichte. Das werden nach diesem Schrecken noch viele Schreiben. Egal wie positiv man die Wahlergebnisse in Rheinland-Pfalz, Baden Württemberg und Sachsen-Anhalt interpretieren will, eines bleibt Fakt: Die AfD ist jetzt schon in vier Bundesländern auf zweistellige Prozentzahlen gekommen. Nicht nur im Osten, auch im Westen. Nicht nur Sonntag, auch schon vor einigen Wochen in Hessen.

Die traurige Wahrheit ist, das sollte keine*n überraschen. Nicht nach der Berichterstattung über die ‘Flüchtlingskrise’, nicht nach wöchentlichen Pegida-Demonstrationen, nach brenndenden Flüchtlingsheimen und nach Rechtspopulist*inn*en, die ‘ernst’ genommen werden müssen. Und dennoch sitzen viele fassungslos vor den Medien unserer Zeit. Wie kann so etwas passieren? Im Jahr 2016, ein Jahr dessen bloßer Name nach Zukunft und Science- Fiction klingt.

Die Vergangenheit in der Zukunft

Vor hundert Jahren ist der 1. Weltkrieg noch im Gange und wird wichtige Grundlagen für die große Katastrophe des 20. Jahrhunderts legen. Der 2. Weltkrieg, in seiner Konzentration von Grausamkeit bis heute so einzigartig, dass ein einziges Wort Synonym für seine Unmenschlichkeit geworden ist: Auschwitz. Auschwitz ist zum Schlagwort geworden für den menschlichen Abgrund der Konzentrationslager, für den Holocaust und die sechs Millionen Menschen, denen das Leben genommen wurde, weil Hass den Alltag regierte. Und wie nach dem 1. Weltkrieg, als die vor dem Krieg begeisterten Überlebenden: ‘Nie wieder Krieg’ riefen, hieß es ein halbes Jahrhundert lang, in Deutschland und Europa: Nie wieder Auschwitz.

Der Vergleich mit dem Nationalsozialismus wirkt fast schon inflationär, wenn heute über die AfD gesprochen wird, aber er verliert trotzdem nicht an Wahrheit. Die moderne Demokratie ist ein empfindliches Gebilde, das hart erkämpft wurde und von Idealen zusammen geschweißt wird. Doch der Kampf um ein gerechteres politisches System hat uns auch gelehrt, wie leicht es von menschenverachtenden Kräften missbraucht werden kann. Ob die NSDAP 1933 oder die AfD 2016, hier spielen von Macht besessene ‘besorgte’ Bürger*inn*en die individuellen Ängste von Menschen aus, um ihre rigiden und verstaubten Ansichten zu propagieren.

Die traurige Realität ist, dass die AfD aus einem Grund so viele Stimmen bekommen hat: Rassismus. Rassismus, der nicht nur aus bloßem Hass herrührt, sondern aus fehlenden Informationen und einem fehlenden, konstruktiven Umgang mit realen Problemen. Es sind nicht nur die Massen- oder Leitmedien, die hier versagt haben, sondern auch eine Politik, die in einer Zeit des gesellschaftlichen Umgangs lediglich moralisch argumentiert.

Till Reines hat sehr schön auf den Punkt gemacht, wie man mit der Angst der ‘besorgten’ Bürger*inn*en umgehen soll.

Natürlich sollte das reichen. Natürlich sollte Mitgefühl, Menschlichkeit und Solidarität reichen, um die Bürgerinnen* und Bürger* dieses Landes von einer offenen Flüchtlingspolitik zu überzeugen. Aber Fakt ist, dass Moral nichts Greifbares ist. Ideale kann man* nicht essen oder verheizen. Und wer eine Zeit lang arbeitslos in diesem Land war, der weiß wie sehr es einen psychisch belasten kann, stigmatisiert zu werden. Oder was es bedeutet, plötzlich Ämtergänge oder Bescheide auszufüllen, die einem niemand so wirklich erklärt. Der*die weiß: auf dieser Basis ist es leicht Hass zu säen. Es ist keine Ausrede deshalb Rassist*in zu werden, aber es ist ein Mechanismus der weder neu noch unbekannt ist.

Fakten und Emotionen

Letztendlich gibt es nicht nur moralische Gründe Flüchtlinge aufzunehmen. Deutschland integriert im internationalen Vergleich sehr erfolgreich Migrant*inn*en in die deutsche Gesellschaft, eine Gesellschaft die am vergreisen ist und dringend mehr junge Menschen braucht. Rein wirtschaftlich gesehen profitiert Deutschland von Migration. Und auch die anderen Vorwürfe lassen sich entkräftigen. Weder hat irgendein Flüchtling einem*r Deutschen den Job weggenommen, noch sind Steuern erhöht worden. Deutschland geht es gesellschaftlich so gut wie nie. Die Arbeitslosenzahlen sind verhältnismäßig niedrig und der wirtschaftliche Profit steigt. Was ist dann das Problem?

Denn diese Liste lässt sich fortführen. Diese Fakten sind bekannt und sind oft gesagt worden. Von den Medien, der Wissenschaft und manchmal sogar den Politiker*inn*en, aber die harte Realität ist, dass diese Message in den Köpfen vieler nicht ankommt.

Die Arroganz der Schlauen

Wer jetzt mit Dummheit argumentiert, macht es sich zu leicht. Auch wenn eine fehlende Bildung zu rassistischen Vorurteilen beitragen kann, heißt das nicht, dass nur Leute ohne Uni-Abschluss Rassist*inn*en sind. Die Spitzenpolitiker der AfD und die Sprecher*inn*en auf den Pegida-Demonstrationen sind weit davon entfernt ‘dumm’ zu sein. Es ist die Mitte, die Angst hat ihren Status zu verlieren. Und sowieso: Was ist Dummheit überhaupt? Nur weil jemand besser oder schlechter Wissen lernen kann, macht das ihn*sie nicht zu einer schlaueren oder dümmeren Person.

Und hier liegt der Hund begraben: Feindbilder. So wie die AfD das Feindbild des schmarotzenden, Frauen verachtenden Flüchtlings hat, so haben besonders Intellektuelle das Feindbild, des dummen Nazis. Doch die traurige Realität ist, dass die Menschen, die AfD wählen, nicht dumm, aber letztendlich genauso schlimm sind, wie die Schläger*inn*en, die Flüchtlingsheime anstecken.

Auch wenn mein Optimismus an diesem Sonntagabend ins Wanken gekommen ist, glaube ich fest daran, dass die Wähler*inn*en nicht zu hundert Prozent hinter dem Wahlprogramm dieser schrecklichen Partei stehen. Denn wer einen Blick in das Papier wirft, dem stellen sich die Haare auf. Doch die Rechtspopulisten unserer Zeit verfolgen wie die NSDAP vor knapp hundert Jahren eine einfache Strategie: Die politische Debatte mit einem Thema zu dominieren. Einem Thema, das sich Schwarz-Weiß zeichnen lässt. Ein Thema das emotional stark und begrifflich greifbar ist. Die grausame Ironie: Die deutsche Politik und die Medien machen mit.

Zwei Seiten einer Medaille

Das schreckliche an Geschichte kann sein, zu sehen wozu wir Menschen fähig sind. Das gute ist, dass wir aus unseren Fehlern lernen können. Und wenn wir eine Lehre aus den Grausamkeiten des Nationalsozialismus ziehen können, dann, dass die Opposition zusammen stehen muss. Die Reaktion auf die Wahlerfolge darf nicht sein, dass die CDU die Wähler vom rechten Rand wieder einsammeln muss. Denn das bedeutet, dass Menschen in der CDU die Positionen der AfD vertreten müssen. Positionen die NIEMALS unterstützenswert sind.

Es gibt nur eine richtige Reaktion: dass die Parteien, die für eine mitfühlende, menschliche und solidarische Gesellschaft stehen sich partei- und meinungsübergreifend zusammen gegen Hass und Gewalt stellen. Das bedeutet Kompromisse schließen und schwierige Diskussionen führen. Das bedeutet aber auch an die eigenen Wähler*inn*en und Positionen zu glauben. Rassismus ist immer egoistisch motiviert, viel zu oft ist es die Angst des Einzelnen davor, dass ihm etwas weggenommen werden kann. Egoismus kann nur mit Gemeinschaft bekämpft werden. Mit Mitgefühl und Ausdauer und Geduld. Erst wenn wir uns gemeinsam gegen den Hass stellen wird sich etwas ändern.

Dafür müssen wir aber nicht nur mit Moral argumentieren, sondern mit den faktischen Realitäten. Erst wenn wir es schaffen, die unmittelbare materielle Angst auszuhebeln, kann Moral zum Tragen kommen. Das klingt zwar hart, aber Menschen sind nicht immer logisch. Und wenn Pragmatismus, das Ruder rumreißen kann, sollten wir bereit sein den Schritt zu wagen. Damit 2016 NUR nach Science-Fiction klingt und nicht nach der schrecklichen Dystopie, die viel zu greifbar erscheint.

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