Eigentlich sollte dieser Text ein Aufreger werden. Sarkastisch aber informativ, beobachtend und kommentierend, alles in allem aber leichte Kost bei diesem heißen Wetter. Aber dann musste ich feststellen, dass mir das Thema einfach zu sehr am Herzen liegt. Die Überwachung unseres alltäglichen Lebens durch die Geheimdienste, die uns ja eigentlich beschützen und nicht bespitzeln sollen, ist dermaßen totalitär, dass eigentlich keine Witze mehr möglich sind. Denn die absurden Geschichten werden durch die immer neuen Enthüllungen nur zahlreicher und teilweise so absurd, dass mensch es sich nicht ausdenken könnte. Deswegen ist dieser Text auch kein Aufreger geworden. Sonder ein PolitTicker.

George Orwell hat ein großartiges Buch geschrieben. Es geht darum um menschlichen Anstand und den verzweifelten Versuch, sich diesen Anstand angesichts von Krieg und Totalitarismus zu bewahren. Es handelt aber auch von der Zerreibung der republikanischen Linken zwischen der äußeren Front gegen die Faschisten einerseits und der inneren Front zwischen Republikanern und Stalinisten andererseits. Das Buch heißt übrigens „Mein Katalonien“ und ist ein hervorragendes Buch über den Spanischen Bürgerkrieg. Seine Erfahrungen sind insofern wichtig für diesen PoliTicker, als dass der britische Autor hier erstmals Erfahrungen mit den faschistischen und stalinistischen Ausprägungen von Totalitarismus machte.

In seinem anderen, bekannteren Buch – 1984 – beschreibt Orwell plastisch und mit angemessenen Farbtönen zwischen Dunkelweiß und Fastschwarzgrau einen totalitären Überwachungsstaat. So totalitär, dass auf den letzten Seiten den Leser*inne*n nur ein Gefühl bleibt: Hoffnungslosigkeit. Denn nichts wird die miserablen Lebensumstände der Bewohner von Ozeanien je verbessern, nichts wird diesen Staat je stürzen, nichts den ewigen Krieg beenden. Und was ist ein Leben ohne Hoffnung außer sinnlos?

Via Flickr.com, by Robert Huffstutter

burnig wood_roberthuffstutter Ähnlich sinnlos wie Wildfeuer bisweilen erscheinen. Aber schön.

Unsere Zukunft: Grau oder doch schwarz?
Steht uns diese Zukunft also bevor? Wohl kaum. Verfolgt mensch aber die Berichterstattung über die anlasslose Totalüberwachung der Bürgerinnen und Bürger, so erinnern manche Praktiken der Geheimdienste doch arg an die Orwellsche Dystopie. Mehr noch, angesichts der in den späten 1940er Jahren nicht vorhersehbaren technischen Möglichkeiten bleibt die Erkenntnis: Orwell hatte Unrecht. Denn eigentlich ist es viel schlimmer.

Nehmen wir die Televisoren oder Teleschirme, je nach Übersetzung. Mit diesen fernsehartigen Bildschirmen überwacht der Große Bruder in 1984 seine Untertanen und hält sie zugleich ruhig. Denn die Schirme sind Sender und Empfänger in einem, sowohl in Bild als auch in Ton. Das kommt der aufmerksamen News-Leserin doch bekannt vor: Im November letzten Jahres kam heraus, dass die Smart-TVs von LG mehr oder weniger heimlich Nutzerdaten über das Internet an die Mutterfirma schicken. Und wen hat es im Februar wirklich überrascht, dass der britische Geheimdienst GCHQ die Videodaten des Yahoo-Webcam-Chats abgreift und alle fünf Minuten ein Bild der beteiligten Personen (oder was auch immer) schießt? In dem Zusammenhang wäre die Speicherung von Audiodaten dieser Chats kein allzu großer Schritt mehr. Apropos Audio…

Via Flickr.com, by -mtnoxx-

surveillance drone_-mtnoxx-Überwachungsdrohnen. Bald auch in ihrem unmittelbaren Luftraum.

Die Gefahr aus der Hosentasche
Um die eigene Bevölkerung auch außerhalb ihrer Wohnungen und großer Städte angemessen ausspionieren zu können, hat der Große Bruder in der freien Natur Aufnahmegeräte installiert. Heutzutage tragen wir diese versteckten Abhörinstrumente mit uns herum. Im August 2013 berichtete das Wall Street Journal, dass das FBI die Mikrofone von Android-Geräten fernsteuern und somit nach eigenem Gutdünken ein- und ausschalten kann. Wir bekommen davon nichts mit. Und da in den meisten (Post-)Industrienationen der Mobilfunkempfang quasi flächendeckend ist, gibt es kein Entkommen vor den spitzen Ohren der Geheimdienste. Denn seien wir ehrlich: Wenn das FBI diese Technik beherrscht, dann wohl auch die NSA und andere.

In einem Punkt aber überschreitet die heutige Situation noch die von Orwell heraufbeschworene Totalität der Überwachung: Alles, wirklich alles was wir im Internet machen, wird von den Geheimdiensten aufgezeichnet und als Metadaten abgelegt. NSA, BND, GCHQ und alle anderen wissen, welche Nachrichten wir lesen, welche Spiele wir spielen, wo wir wann welche Kleidung bestellen, welche Krankheiten wir googeln, welche Artikel wir auf Wikipedia anschauen, mit welchen Leuten wir auf Facebook Kontakt haben und aus unseren Porno-Vorlieben basteln sie Fetisch-Profile. Wer sich dagegen wehrt, gilt als Extremist.

Via Flickr.com, by NeilllP

sandals in chains_NeilllPNichts ist mehr sicher.

Superdupermegahyper-Grundrecht Sicherheit
Bleibt die Propaganda in Orwells Ozeanien. Der Große Bruder ist allgegenwärtig und beobachtet jeden immer und überall. Der nicht endende Krieg geht mal gegen Eurasien, dann wieder gegen Ostasien. Hauptsache, es wird immer gekämpft, es gibt immer einen Grund für Mangel und Bedrohung.

Zum Glück stecken wir nicht in einem Krieg. Obwohl, wie war das nochmal mit dem Krieg gegen den Terrorismus? Wo wurde Deutschland nochmal verteidigt? Laut Peter Struck ja am Hindukusch. Ziel des ganzen soll die Sicherheit der Bevölkerung sein, die der damalige Innenminsiter Hans-Peter Friedrich im Juli 2013 zum Supergrundrecht erhob. Dem hätten sich dann alle anderen Grundrechte unterzuordnen. Also die gesamten sogenannten „bürgerlichen“ Freiheiten, für die Menschen seit knapp 300 Jahren kämpfen. Zum Glück ist der Mann nicht mehr bundespolitisch aktiv.

Sicherheit ist die Universalantwort für alle Bedenken gegen die Totalüberwachung. Sicherheit ist der fortwährende Krieg gegen Eurasien und Ostasien, dem sich unsere Gesellschaften entgegen sehen. Das wunderbare an Sicherheit ist doch: Sie ist durch den ominösen Terrorismus ständig in Gefahr. Ein Krieg fängt an und hört wieder auf. Aber Terrorismus endet nie, denn er findet in der Mitte der Gesellschaften statt und kann partout nicht verhindert werden.

Via flickr.com, by Zigazou76

SONY DSCAuch nicht mit allen Kameras der Welt.

Sicherheit hilft nicht gegen Bomben
Denn auch die größte Überwachung und die höchsten Sicherheitsvorkehrungen konnte die beiden Bombenattentäter beim Boston-Marathon 2013 nicht aufhalten. Auch nicht die zahlreichen Amokläufer danach. Und es sei daran erinnert, dass 2012 eine Bombe am Hauptbahnhof in Bonn gefunden wurde, die nur deswegen nicht hochgegangen ist, weil der Zünder vergessen wurde. Zum Glück. Aber auch das Supergrundrecht Sicherheit hätte das nicht verhindern können.

Was bringt uns diese allgegenwärtige Paranoia? Wir betrachten unser Gegenüber nicht mehr als Menschen, sondern nur noch als Gefahr. Nicht mehr als eine eigene Person, sondern beziehen diese Person nur noch auf uns: Wie könnte dieser Mensch mir gefährlich werden?

Dabei ist doch aber das Vertrauen, dass wir gegenüber Anderen haben, gegenüber Mitmenschen und Freunden, das wichtigste Gut was wir besitzen. Wie soll eine Gesellschaft funktionieren, in der sich die einzelnen Bürger*innen nicht mehr gegenseitig über den Weg trauen? Und wie soll unter diesen Umständen noch ernsthaft Demokratie betrieben werden? Die Sicherheitsparanoia, die immer wieder heraufbeschworen wird, höhlt die Fundamente unseres Gemeinwesens aus.

Via flickr.com, by timtom.ch

hollow library_timtom.chAm Ende bleibt nur Leere.

TORe in die Zukunft
Die von Orwell beschriebenen Zustände sind bei weitem nicht wünschenswert, aber wenn wir ehrlich sind unterscheidet sich unsere Situation nicht mehr allzu sehr von der in 1984. Was können wir also tun, um diese massive Verletzung unserer Privatsphäre und damit unserer verfassungsrechtlichen Privilegien gegenüber dem Staat zu schützen?

Der erste Schritt ist die Benutzung von TOR. Der TOR Browser leitet eure Suchanfragen über mehrere Proxy-Server um, so dass euer Surfverhalten nicht mehr eindeutig auf euch zurückgeführt werden kann. Und je mehr Leute TOR nutzen, desto schwieriger wird es, die Datenströme Nutzer*innen zuzuordnen und sorgt somit für mehr Anonymität.

Der zweite Schritt: Nicht einlullen lassen. Klar, Sicherheit ist uns allen wichtig, aber sie kann nicht garantiert werden. Wer Sicherheit als Argument für die Einschränkung unserer Rechte anführt, der versucht Angst zu machen. Absolute Sicherheit gibt es nicht, auch nicht mit Totalüberwachung. Viel wichtiger ist gegenseitiges Vertrauen und Offenheit. Die Gründe für Terrorismus sind übrigens nicht unbedingt religiöser Natur. Terrorismus entsteht oft genug aus purer Perspektivlosigkeit. Dort sollte der Krieg gegen den Terror ansetzen.

Der dritte Schritt: Information. Seiten wie Netzpolitik.org und Abgeordnetenwatch.de informieren uns kritisch und erlauben es, Fragen zu stellen. Eine kritische Öffentlichkeit, die Maßnahmen hinterfragt und ein gesundes Misstrauen den Herrschenden gegenüber an den Tag legt, sorgt wahrscheinlich für mehr Sicherheit als alle Überwachungskameras der Welt.

Der vierte Schritt: Demokratie. Genauso wie wir uns nicht einlullen lassen dürfen von den Sicherheitsextremisten, dürfen wir auch nicht die Leute wählen, welche diese Politik erst ermöglichen. Also achtet auf die netzpolitischen und datenschutzrechtlichen Aussagen in den Programmen der Parteien. Und um aller Götter willen: Verhindert die nächste Große Koalition.

Via flickr.com, by PVBroadz

orwell pencil_PVBroadz

Meine Damen und Herren: George Orwell

Vor allem aber gilt: Redet miteinander. Redet mit euren Arbeitskolleg*innen, euren Kommiliton*innen, euren Freund*innen und Geschwistern. Wann immer jemand die Sicherheitsfahne schwenkt sagt „Nein!“, denn die Grenze zwischen berechtigter Sorge und maßloser Überwachung wurde schon lange überschritten. Nicht zuletzt schafft Kommunikation auch Vertrauen. Und in einer Welt, in der wir alle potentiell verdächtig sind, ist Vertrauen aufeinander die beste Waffe, die wir haben.