Das Kunst nicht in einem gesellschaftlichem Vakuum entsteht, sollte jede*r wissen. Es verwundert also nicht, wenn bestimmte Werke Diskussionen nach sich ziehen. Auch wenn es durchaus Fälle geben wird, in denen die Grundidee eine rein ästhetische war, sind wie am Ende eben nicht nur von der Gesellschaft geprägt, wir prägen sie in gleicher Art und Weise. Daher ist es nur eine logische Konsequenz, dass sich nach der Vergabe der Golden Globes Stimmen gegen Jared Leto erhoben. Denn dieser hatte sich nach dem Gewinn für seine Rolle in Dallas Buyers Club mit seiner Rede nicht gerade mit Ruhm bekleckert.
Via flickr by nan palmero
Mr. Leto, da haben Sie wohl nicht nachgedacht!
Aber zäumen wir das Pferd von vorne auf. Dem Film von Jean-Marc Vallée über einen HIV-Infizierten heterosexuellen Mann und seinem Kampf mit der Krankheit gelingt es weitestgehend einen Spagat zwischen einer Charakterstudie und einem politischen Drama hinzulegen. Wobei hier “weitestgehend” bewusst gewählt ist. Denn obwohl wir einen starken und emotionalen Einblick in die schrecklich aussichtslose Situation von Aidskranken in den USA in den 80er Jahren bekommen, misslingt diese Verschmelzung zweier Herangehensweisen am Ende. Versteht mich nicht falsch, es handelt sich trotzdem um einen intensiven und hochwertigen Film, den ich nur empfehlen kann. Doch die erhoffte noch stärkere Politisierung des Themas, geht letztendlich zu Gunsten der Charakterentwicklung unter. Ein Umstand der wahrscheinlich auch der Biographie geschuldet ist, auf der der Film beruht.
Am Interessantesten bleibt die Prämisse des Werks. In einer Zeit in der HIV gesellschaftlich als ‚schwule‘ Krankheit verschrieen war und in der eine Diagnose einem Todesurteil gleichkam, verfolgt Dallas Buyers Club die Geschichte des homophoben Rodeoliebhabers, Ron Woodroof (Matthew McConaughey). Nach der Diagnose besticht er einen Krankenhausangestellten, der ihm mit Medikamenten versorgt, die den Virus bekämpfen. Da diese sich aber noch in der Testphase befanden wurden sie ihm verwehrt. Letztendlich bricht er zusammen und fährt aus Verzweiflung zu einem mexikanischen Arzt der ihn mit anderen, in den USA nicht erlaubten, Medikamenten behandelt. Der Clou ist, dass diese nicht den Virus, sondern die Symptome bekämpfen. Schnell ist eine Idee geboren und zusammen mit der Transexuellen Rayon (Jared Leto) gründet er den Dallas Buyers Club um andere Aidskranken mit den Medikamenten zu versorgen.
Wie diese kurze Zusammenfassung schon andeutet löst die Krankheit nach und nach tiefe Veränderungen in der Hauptfigur aus, die überzeugend dargestellt werden. Durch den Club und das Krankenhaus hat Ron Kontakt zur queeren Community und fängt an seine Homophobie zu überwinden. Zusätzlich lernt er nicht nur die Krankheit zu akzeptieren, sondern auch mit ihr zu leben. Dieser innere Kampf wird herausragend von McConaughey auf die Leinwand gebracht. Abgemagert und von Freund*in*nen und seiner Familie zurückgelassen, versucht Ron das Beste aus der Situation zu machen. Ähnlich beeindruckend sehen wir daneben Rayon (Jared Leto), die genau wie Ron mit den Ängsten vor der Krankheit zu kämpfen hat.
Was den Film visuell – trotz des traurigen Themas – zu einem Genuss macht, sind die exzellent eingesetzten Schnitte. Gerade wenn es darum geht Zeitraffer zu zeigen, ist Dallas Buyers Club beeindruckend. Oft bekommt man* nur einzelne kurze Bilder zu sehen, die erst in der Kombination deutlich machen, dass sich hier Abläufe wiederholen. Unterstützt wird dieser Umstand von sich wiederholenden Einstellungen, die das Erkennen erleichtern. Besonders intensiv sind außerdem die Einstellungen der körperlichen Zusammenbrüche von Ron, die oft durch einen eindrücklichen Ton unterstützt werden.
Ja, summiert man die Eindrücke dieses Films handelt es sich um einen starkes Werk, dass nicht ohne Grund mehrfach bei den Oscars nominiert ist. Doch letztendlich kommt dann eben doch die Gesellschaft ins Spiel. Denn obwohl Leto ohne Zweifel eine starke schauspielerische Leistung abliefert, bleibt ein fader Beigeschmack zurück. Nach wie vor gilt es in Hollywood als mutig, wenn heterosexuelle Männer eine transsexuelle Frau spielen, während transsexuelle Schauspieler*inn*en noch immer die absolute Ausnahme sind. Weder bekommen sie Rollen, wie die der Rayon, noch ist es vorstellbar, dass sie heterosexuelle Frauen darstellen. Dass Leto bei seinem ersten Award der Saison zusätzlich nicht nur mehr damit beschäftigt war sich von seiner Rolle abzugrenzen, sondern auch kein einziges Mal auf die Hauptthemen des Films, HIV und Aids, einging, machte die Situation nicht besser. Zusätzlich bekam man* schon vor den Golden Globes den Eindruck, dass Leto die Community, die er repräsentierte, nicht verstand. Für viele sind das – zumindest rein schauspielerisch – keine Gründe, ihm die Trophäen nicht zu gönnen, denn seine Leistung war prämierenswert. Aber diese Geschichte zeigt uns auf ein Neues, wo die systematischen Probleme der Filmindustrie liegen.
Via flickr by Iwan Gabovitch
We’ve come a long way. Und noch immer gibt es viel zu tun.
Dallas Buyers Club gehört mit seinem traurigen Thema und der dramatischen Verarbeitung dessen zweifelsohne zu den klassischen Oscarfilmen. Sowohl visuell, als auch schauspielerisch beeindruckend, liefert der Film ein erschreckendes Zeugnis der amerikanischen Geschichte ab. Da ihm aber die starke Politisierung einer Doku wie How to survive a plague oder die Emotionalität eines Philadelphia fehlt, verschenkt das Werk aber am Ende zu viel. Weder seine Schauspieler noch der Film selbst schaffen es die düstere Realität der Geschichte so zu thematisieren, dass über das Geschichtenerzählen hinaus Eindruck hinterlassen wird. Damit misslingt es dem Film wichtige Diskussionen zu HIV und Aids, aber auch Transexuellen anzustoßen – Diskurse, die die Gesellschaft und die Filmkunst aber dringend benötigen.
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