Wir Deutschen haben manchmal leicht reden, wenn es um den 11.September.2001 geht. Deutschland als Nation war nicht direkt betroffen. Der emotionale Tiefschlag hat uns bei Weitem nicht so getroffen, wie die über 240 Millionen Menschen in den USA. Bei aller Kritik die man am amerikanischen System und der Mentalität dort (berechtigterweise) haben kann, darf man die Emotionen, die mit „9/11“ verbunden werden, nicht kleinreden.

Dies ist unglaublich wichtig, wenn man Matt Ruffs Roman „The Mirage“ angeht. Die Prämisse dieses Buches ist auf den ersten Blick unglaublich platt. Amerikaner würden vom „old switcheroo“ sprechen, auch wenn die komödiantische Variable nur bedingt zutrifft.

In „The Mirage“ erleben wir den 9.November.2001 in Baghdad, welches als New York des vorgegebenen Universums dient. In dieser Geschichte sind es die Amerikaner, welchen Flugzeuge kapern und den Nahen Osten terrorisieren. Osama Bin Laden ist Chef des Geheimdienstes, Saddam Hussein ein Mobster à la Al Capone und das Christentum ist das Fundament von Terror-Organisationen. Der „War on Terror“ wird in diesem Fall zu einer Hetzjagd gegen Christen, was Ruff allerdings so beschreibt, dass dem Leser vor Augen geführt wird, wie in der Wirklichkeit mit Anhängern des Islams umgesprungen wird.

Via flickr by James Gordon
BaghdadBaghdad, wie wir es kennen (sollten)

Die eigentliche Geschichte in dieser umgekehrten Welt kommt allerdings erst ins Rollen, als einer der Terroristen gefangen und verhört wird. Dann stellt sich nämlich heraus, dass die amerikanischen Terroristen dem festen – und in dieser Welt absolut lachhaften – Glauben verfallen sind, dass die USA eine Supermacht seien und irgendjemand die Rollen vertauscht habe (double switcheroo). Es sind nun also amerikanische Märtyrer, welche die wahren Machtverhältnisse, wie Gott sie scheinbar vorgesehen hat, wieder herzustellen versuchen. Die Ironie dieser Situation muss man wohl nur Menschen erklären, welche die letzte Dekade im Tiefkühlfach verbracht haben.

Als im Anschluss an diese Behauptungen tatsächlich Relikte und Fundstücke auftauchen, die auf einen Angriff am 9.September.2001 auf Hochhäuser in New York und Amerikas Ausnahmestellung in der Welt hinweisen, beginnen die Protagonisten des Buches ihre Wirklichkeit zu hinterfragen. „The Mirage“ entwickelt sich zu einem klassischen Spiel mit doppeltem Boden, welches über eine Vielzahl popkultureller und politischer Anspielungen auf unsere Realität eine Dynamik entwickelt, die einen nicht mehr loslässt. Dabei greift Ruff nicht auf hochgestochene, wissenschaftliche Texte, sondern auf alltägliche Unterhaltung und Verhaltensweisen zurück, was seine Welt so zugänglich macht.

Auch wenn in der zweiten Hälfte des Buches einige Storystränge überborden oder plötzlich verschwinden zu scheinen, bringt Ruff seine Geschichte hervorragend ins Ziel und liefert eine provokante Auflösung der Geschichte, die nicht jedem gefallen wird. Ohne zu viel zu verraten, ist die Botschaft für mich jene, dass die Wirklichkeit akzeptiert werden muss und eine bloße Umkehrung von Zuständen nicht zwangsweise eine bessere oder schlechtere Welt erschafft. Vielleicht gibt es einfach einen Status Quo, der durch uns Menschen zustande kommt. Ruff hält uns einen Spiegel vor, der nur produktiv sein kann, wenn man versucht alle Parteien zu verstehen. Ansonsten sehen wir stets nur unsere eigene Fata Morgana als wirkliche Welt, die sich nicht im Geringsten mit der Welt anderer deckt.

Via Flickr by HamburgerJung

Matt Ruff in Hamburg

Matt Ruff mal aus einer etwas anderen Perspektive

“The Mirage” ist Matt Ruffs fünfter Roman. Er erscheint am 1.März.2014 auch in deutscher Sprache. Wer der englischen Sprache mächtig ist, sollte allerdings (wie üblich) auf das Original zurückgreifen, welches bereits erhältlich ist. Wenn euch “The Mirage” gefällt, kann man auch bedenkenlos bei der Fantasy-Action-Thriller-Novelle “Bad Monkeys”, sowie bei der einzigartigen (nicht medizinisch korrekten) Darstellung einer multiplen Persönlichkeit in “Set this House in Order” zugreifen. Ruff ist sehr an Politik und Popkultur interessiert und hat für alle Twitter-Freunde einen recht unterhaltsamen, viel gebrauchten Account.