Turbostaat sind zurück. Juchheißa! So wie ich früher jedem aufs Auge drücken musste, dass ich in Berlin geboren bin, so erzähle ich gerne von meinen Konzert-Erlebnissen mit Turbostaat. Vom ersten Mal 2008 auf dem Open Flair mit vielleicht gerade mal 200 anderen Turbostaat-Verrückten, als die Band mich mit ihrem stringenten Krach-Punk aus den Socken gehauen hat. Aber genauso zwei Jahre später, als sie die ersten beiden Reihen auf die Bühne baten. Ich war dabei und kann nur sagen: Man fühlt sich wie der letzte Depp… und gut dabei!

Ziemlich genau drei Jahre nach “Das Island Manöver” machen Turbostaat einen weiteren, großen Schritt Richtung Indie. Seit dem 2007er-Album “Vormann Leiss” hat sich Band stetig einem sauberen Sound und größeren Arrangements gewidmet. Auf der neuen Scheibe “Stadt der Angst” wird von der ersten Sekunde eine Stimmung hervorgerufen, die nicht darauf aus ist mit bloßer Gewalt mitzureißen.

218629520_8d11b3cf50Husum! Verdammt! Husum, verdammt noch mal!” – Insel. By lirontocker

Wäre da nicht so viel Melancholie und graue Depression, dann würde man sich fasst auf einer Indie-Party wähnen, wenn der Opener “Eine Stadt gibt auf” erzählend und stampfend beginnt und der anschließende Track “Phobos Grunt” mit Glockenspiel eingeleitet wird. Lieder der vorigen Alben wie “Urlaub auf Fuhferden” und “Haubentaucherwelpen” sind keine Ausnahmen mehr. Sie machen – sprichwörtlich – die Musik und geben den Ton des neuen Albums an.

Die Vorab-Singles “Sohnemann Heinz” und “Tut es noch weh” fallen mit “Snervt”, “In Dunkelhaft”, “Alles bleibt konfus” und “Willenshalt” in besagte Schublade und machen deutlich welches Übergewicht die mit Melodie statt Härte arbeitenden Songs einnehmen. Die gute Nachricht: diese Lieder sind ausgereift und die Stärke des Albums. Noch immer scheinen Lieder Turbostaats abrupt zu enden, doch die Band verzichtet schlichtweg auf künstliche Verlängerung und hört zumeist einfach auf, wenn alles gesagt ist.

Ein Abend mit TURBOSTAAT! from IRIEDAILY on Vimeo. Der neue Turbostaat-Sound

Nur selten will der neue, noch weniger punkige Ansatz nicht zünden. So ist “Psychoreal” bestimmt eine gute Live-Nummer, doch auf dem Album wirkt das Lied halbgar und kann weder mit Melodie, noch mit Energie auftrumpfen. Das zweite Sorgenkind “Fresendelf” ist eine traurig langsame Schönheit, die nicht wenigen zu langatmig unterkommen wird. Wer die düsteren Stimmungen Turbostaats noch nie als Stärke der Band gesehen hat, dem werden die viereinhalb Minuten bis zur Instrumental-Explosion zum Abschluss ewig vorkommen.

Nur jene, die auf eine Rückkehr der Band zu alter Härte gehofft haben, werden bitter enttäuscht sein. “Pestperle” allein kann diese Flagge positiv aufrecht halten. Dazu kommt, dass das Album nicht mehr so abwechslungsreich wie “Vormann Leiss” wirkt. Dafür klingt es jedoch auch organischer und runder. Mir gefällt die Entwicklung außerordentlich gut. Die Musik überfordert nur noch selten, reißt aber immer noch jeden mit, der mitgerissen werden möchte. Und außerdem sollte der modernde Punk auch träumen dürfen, oder?

483284_10151076841095749_1671125149_nDas neue Album ist fast schon melodiös genug für ein entspanntes Bad. By Turbostaa