Eine Meinung haben und sie zu vertreten ist eine schwierige Sache. Schließlich wissen wir alle, dass unsere Meinung eben genau das ist, nämlich eine höchst subjektive Anschauung über einen Sachverhalt. Diese Meinung kann dadurch untermauert werden, dass mensch sich mehrere Meinungen über ein Problem einholt, womit gleichzeitig verschiedene Perspektiven eingenommen werden und somit der begrenzte subjektive Standpunkt zumindest ansatzweise einen größeren Horizont einnimmt. Das jedenfalls hat Hannah Arendt geschrieben und fügt hinzu, dass ein Urteil letztlich nur dadurch möglich ist, dass mensch einen Standpunkt einnehmen kann, der nicht der eigene ist und einen Sachverhalt aus eben diesem Standpunkt betrachtet.

Einfach ausgedrückt: Wir müssen uns in andere Menschen hineinversetzen, ihre Probleme verstehen, um schließlich zu einer Lösung zu kommen. Deshalb ist eine Meinung zu haben schwer, denn auch wenn mensch seine Meinung unter der Berücksichtigung anderer Standpunkte gebildet hat, so muss er oder sie diese Meinung doch so vertreten, als wäre sie die einzig richtige. Aber leider existiert so etwas wie objektive Wahrheit wahrscheinlich nicht und deshalb muss bei einer Diskussion immer der eine oder andere Standpunkt unter den Tisch fallen. Das wiederum lässt viele Menschen zu dem Schluss kommen, das mehr oder weniger kompromisslose Vertreten der eigenen Meinung wäre Arroganz. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn da eine Art bewusster Ignoranz im Spiel ist, bestimmte Sichtweise also ganz bewusst ausgeschlossen werden, um die eigene Haltung nicht überdenken zu müssen.

Und diese Ignoranz wurde in der laufenden Debatte um Sexismus in Deutschland selten zuvor so offen demonstriert, wie in der zurückliegenden Sendung von Günther Jauch in der ARD. Zwei Studiogäste inklusive des Moderators waren so offensichtlich voller großkotziger Arroganz gegenüber all den Frauen, die sich sexuell belästigt fühlen oder die unter Sexismus leiden, dass es mir wirklich die Sprache verschlug. Und danach wollte ich den Bildschirm anschreien.

Wie kann mensch nur so völlig verständnislos für ein offensichtliches Problem sein? Aber ich wollte keine Sendungskritik schreiben. Denn hinzu kam dann dieser Artikel der Süddeutschen Zeitung, welcher eine weitere Episode aus dem deutschen Fernsehen schilderte: Ein Literaturkritiker namens Denis Scheck hat zur Diskussion um die Streichung des Begriffs „Neger“ aus den Kinderbüchern „Die kleine Hexe“ und „Pippi in Taka-Tuka-Land“ Stellung genommen und sich für den Erhalt des Wortes „Neger“ in diesen Büchern ausgesprochen, da Sprache im Wandel sei und Kinder das ruhig durch das Lesen des Wortes „Neger“ beigebracht bekommen dürften. Diese Meinung wäre nur dumm geblieben, hätte sich Herr Scheck auf seine Worte beschränkt, unerträglich wurde sie aber dadurch, dass diese Worte von ihm mit weißen Handschuhen und schwarzem Gesicht vorgetragen wurden. Herr Schenk bediente sich also vollen Bewusstseins hier der Technik des „Blackfacing“, einer rassistischen Spielart der Verkleidung, die vor allem in den USA populär war und rassistische Stereotype weiterverbreitete.

 
Das sah dann wieder so aus. Via Wikimedia Commons

Diesen beiden Themen konnte mensch in der letzten Woche kaum entkommen und nachdem ich die bereits viel gescholtene Jauch-Sendung sowie den Schenk-Ausschnitt gesehen habe, bleibe ich fassungslos zurück.

Ich glaube es hackt.

Gewaltig.

Wie kann es – verdammt nochmal – im Jahr 2013 angehen, dass wir tatsächlich darüber sprechen, ob mensch noch Neger sagen bzw. schreiben darf oder nicht? Wie kann es angehen, dass im Fernsehen ernsthaft gefragt wird, ob es ein Sexismus-Problem gibt? Wie kann es angehen, dass Menschen in wichtigen Positionen eine so selbstherrliche Position einnehmen können, dass sie Probleme einfach ignorieren können?

Es kann doch nicht sein, dass Menschen wirklich der Meinung sind, rassistische Wörter hätten in Kinderbüchern irgendeine Daseinsberechtigung, egal wie alt sie seien. Und es kann doch auch nicht sein, dass eine gestandene Ex-Moderatorin des öffentlich-rechtlichen Fernsehen in ebendiesem kolportiert, sechszigtausend Stimmen zu einem bestimmten Thema wären nicht ernstzunehmen. Es ist extrem frustrierend mitanzusehen, wie dieselben Diskussionen immer auf einem Punkt enden, im Falle von Rassismus und Sexismus nämlich der Tatsache, dass dies strukturelle Probleme sind. Probleme, die innerhalb einer Gesellschaft bestehen und nur durch ernsthafte Bemühungen seitens der Zivilgesellschaft und des Staates zu beheben sind. Wenn es am Ende immer wieder um diesen eine Punkt geht, dann muss die Botschaft doch langsam angekommen sein, dass es da was gibt, was nicht so unbedingt toll ist und was, gemessen an den Grundsätzen einer demokratischen Ordnung und damit der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und der Gesellschaft, ziemlich dem entgegenstrebt, was wir alle eigentlich wollen.

Gerechtigkeit ist aber ein teures Gut, dass sich nur mit dem Verzicht von Privilegien erkaufen lässt und es macht mich aggressiv zu sehen und zu hören, wie viele Leute zwar um ihre Begünstigung Bescheid wissen und damit auch um die Benachteiligung anderer, aber nicht den letztlich mutigen Schritt gehen und ihre eigenen Privilegien abgeben, um ein gerechtes Leben für alle und damit auch sich selbst zu ermöglichen. Stattdessen krallen sich diese Menschen mit aller Kraft an ihren Status und bekämpfen andere Meinungen, die an ihrer Vormachtstellung rütteln würden. Nicht mit Argumenten, wohlgemerkt, sondern mit bloßer, feiger Ignoranz. Brächten sie Argumente hervor, schienen doch allzu deutlich ihre egoistischen Motive hervor: Es geht darum, dass diese Menschen ihre Macht und damit ihren materiellen Wohlstand sichern und alle anderen können sie mal am Arsch lecken.

Natürlich, Wohlstandssicherung ist kein verwerfliches Motiv, aber solange diese durch die Ausbeutung gesellschaftlicher Machtunterschiede oder auf materieller Abhängigkeiten basiert, dann ist kein Argument stark genug, um Ungerechtigkeit zu rechtfertigen. Und darum geht es doch letztlich: Wir leben keineswegs in einer gerechten Gesellschaft! Unser tägliches Leben ist geprägt von Sexismus und Rassismus und in den beiden Debatten um Alltagssexismus und das „Neger“wort bricht mal wieder die Strukturfrage hervor. Aber aus diesen Debatten werden natürlich kaum Taten folgen, weil diejenigen, die von den Zuständen profitieren, doch naturgemäß auch die Mittel haben um etwas zu verändern. Und keiner von diesen Menschen wird mutig genug sein den eigenen Ast abzusägen, um ihn etwas weiter unten am Baum wieder an den Stamm zu nageln.

 Ich sitze bei diesen Diskussionen wirklich fassungslos vor dem Monitor und muss lachen. Nicht, weil es tatsächlich lustig ist, sondern absurd. Absurd ist, wie scheinargumentiert wird, wie immer wieder dieselben Taktiken (die Annika in den Mythen des Anti-Feminismus glücklicherweise entlarvt) benutzt werden, wie verzweifelt letztlich gegen einen möglichen, wenn auch nur klitzekleinen Machtverlust angekämpft wird. Es ist absurd, wie Menschen die Möglichkeit haben, etwas zum positiven zu verändern, dies aus Feigheit und Angst aber nicht machen. Menschlich? Ja, vielleicht. Aber das ist keine Ausrede für Ungerechtigkeit.

 
ein völlig unironischer Gebrauch des Kotzbildes. Via corygrunk

Am Ende geht es doch nicht um eine Revolution. Es geht nicht um den Umsturz der Verhältnissen, nicht um die Einführung des Kommunismus oder der Anarchie, nicht um die Umkehrung der Geschlechterrollen. Es geht um ein respektvolles Miteinander nach dem Prinzip „Behandle andere so, wie du behandelt werden möchtest“. Und etwas anderes hat Hannah Arendt, jedenfalls meiner Meinung nach, auch nicht gesagt, als sie meinte, dass mensch sich ein Urteil nur dann erlauben kann, wenn mensch auch die Sichtweise der anderen kennt.