Für viele ist das Jahresende immer ein melancholischer Moment. Man blickt zurück auf das vergangene Jahr, zieht Bilanz, wünscht sich schließlich ein „Frohes Neues“, wobei da irgendwie mitschwingt, das letzte Jahr sei nicht so froh gewesen. Gleichzeitig ist das Jahresende aber auch immer ein etwas optimistischer Augenblick, schließlich hat mensch ein ganzes Jahr vor sich, kann es gestalten oder erdulden, jedenfalls aber bringt ein neues Jahr viele Veränderungen mit sich, zwangsweise. Schließlich liegt es an jeder*jedem selbst, diese Veränderungen mehr oder weniger kreativ in sein Leben einzubauen.
Ausschlaggebend für die erwähnten melancholischen Momente der Jahresendfeierlichkeiten sind auch die pandemisch auftretenden Jahresrückblicke. Natürlich kann auch diese Kolumne nicht darauf verzichten, aber ich will es kurz machen:
Was also nervte an 2012?
Zum einen die USA: es ist fast schmerzhaft, diesem Land dabei zuzusehen, wie es verzweifelt um seine Spitzenstellung in der internationalen Politik und Wirtschaft kämpft, obwohl sich die meisten Köpfe schon in Richtung China und Indien gedreht haben. Hinzu kommt, dass die USA ein Land sind, welches eine sehr positive Einstellung zu persönlichem Engagement hat. Hier trifft man auf viel Verständnis, wenn man seine eigene Sicherheit zumindest teilweise dem Wunsch nach Selbstverwirklichung opfern will, wohingegen Deutschland beispielsweise unter einer schreckenerregenden Borniertheit in diesem Bereich leidet (aber dazu später mehr). Während man in den Vereinigten Staaten also auf eine eigentlich sehr positive Geisteshaltung trifft, ist es umso trauriger, dass religiöser Fundamentalismus und politischer Dogmatismus (der Republikaner, um es mal deutlich zu sagen) unser Bild von diesem Land trüben. Denn eigentlich ist es mal wieder nur das Phänomen, dass gerade die lautesten Schreihälse gehört werden und all die leise Stimmen ignoriert. Ich würde behaupten, dass die meisten US-Amerikaner*innen überhaupt gar nichts gegen eine gesetzliche Krankenversicherung (und das ist die von Obama eingeführte Regelung noch nicht einmal) hätten, würden man ihnen nicht mit „Sozialismus“ und „Obama = Hitler“ versuchen, Angst einzujagen.
Ein gutes Beispiel für die natürlich völlig friedliche Einstellung der Tea Party-Dogmatiker. Via Tuaussi
Dann ist da Deutschland: Hier ist es beinahe tragikomisch, wie sich dieses Volk selbst in die Tasche lügt. Wir Deutsche glauben, niemanden etwas böses zu und nur in Ruhe handeln zu treiben. Dass wir aber tatsächlich in einem Krieg (Afghanistan) stecken und darüber hinaus sehr aggressiv unsere Handelsvorteile im Weltmarkt sichern, das wollen wir nicht wahrhaben. Denn wir könnten ja plötzlich (wieder) zu den Bösen gehören, die für das Unrecht auf der Welt (mit)verantwortlich sind. Allerdings wird es angesichts der immer lauter werdenden Kritik an den ausufernden Waffengeschäften Deutschlands immer schwieriger das Bild von den friedlich geschäftemachenden Deutschen aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig belügen wir uns selbst, indem wir glauben, bei uns sei ja noch alles in Ordnung. In Ordnung am Arsch! Hat niemand mitbekommen, wie groß die Schere zwischen Arm und Reich geworden ist? Wie prekär manche Leute jeden Tag leben müssen, weil dieser Staat es nicht einsieht, sein Sozial- und Bildungssystem grundlegend zu ändern (sodenn er es überhaupt tun kann, angesichts beispielsweise des Unwillen der 16 Bundesländer sich auch nur auf gemeinsame Standards in der Bildung zu einigen)? Die ansteigende Armut befeuert natürlich noch zusätzlich die überall herrschende Angst vor dem sozialen Abstieg, vor allem in der ach so aufgeklärten Mittelschicht, die noch nicht ganz mitbekommen hat, dass sie von Politik und Wirtschaft teilweise genauso verarscht wird wie der vermeintlich grenzdebile Hartz-IV-Müll den mensch ja tagtäglich im Fernsehen sieht. Aber in Deutschland hat man soviel Angst vor Veränderung, dass mensch es hier lieber vorzieht, in den gegebenen Umständen weiterzuexistieren, um nur bloß seinen eigenen Status Quo zu sichern, anstatt ein Risiko einzugehen und es im Endeffekt vielleicht für alle besser machen zu können. Die egoistische Borniertheit der Deutschen ist echt frustrierend. Aber das geht mich ja, in guter deutscher Tradition, nichts an.
Und schließlich ist da noch der Kapitalismus, jene Wirtschaftsform, welche uns mittelständischen weißen Europäern den Lebensstandart sichern, den wir gewohnt sind. Aber eben auch nur hauptsächlich uns (und den Nordamerikaner*innen), der überwiegende Rest der Welt lebt noch immer in Armut und wird, dank des sogenannten „freien Wettbewerbs“ und der ach so nützlichen „unsichtbaren Hand des Marktes“, auf absehbare Zeit auch nicht reicher werden. Während also die Armen dieser Welt alle Gründe haben, sauer auf diese propagierte Wirtschaftsform zu haben, können auch wir westlichen Industriestaatsbürger*innen auf den Kapitalismus schimpfen: Denn hier bei „uns“ erstickt der Kapitalismus jegliche ernsthafte Kreativität durch die sofortige Anpassung an den Mainstream, um ja den höchstmöglichen Profit aus einer vielleicht sogar guten Sache zu pressen. Natürlich immer mit dem Verweis auf die Sicherung der Arbeitsplätze. Schließlich wäre da noch die große Lüge vom Aufstieg durch harte Arbeit, welcher immer wiederholt wird und fast das Glaubensbekenntnis der Wirtschaft zu nennen ist. Dass die soziale Mobilität aber keineswegs gewünscht ist, da die politische und wirtschaftliche Elite ja dadurch in ihrer Macht beschränkt werden könnte und neuer Input überhaupt für ganz viel Unordnung sorgt bei Menschen, die von der herrschenden Ordnung profitieren, daran hat auch Adam Smith nicht gedacht. Natürlich, wer gewillt ist zu arbeiten, der findet auf die ein oder andere Weise einen Job. Die Frage ist aber mittlerweile, ob man davon noch leben kann. Die sozialen Reformen seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts haben dafür gesorgt, dass die Arbeit der meisten wieder eine gewissen Menschenwürde zurückerlangt. Die Reformen seit dem Jahr 2000 und das anhaltende Gerede von der „großen Krise“ führt doch nur zu einer allgemeinen Paranoia und ist ein willkommener Grund, Arbeit zu entwerten und die arbeitende Bevölkerung nach Profitkriterien einzuteilen.
Wird sich das alles also 2013 ändern? Immerhin, in Deutschland wird gewählt, China hat eine neue Führung bekommen, in Indien demonstrieren Menschen gegen Sexismus und fehlenden Polizeischutz, die USA hat in einem hoffentlich nicht letzten Anflug von geistiger Klarheit Barack Obama wiedergewählt und Nordkorea hat auch Reformen angekündigt. Es leuchtet also noch ein Licht der Hoffnung am Horizont, auch wenn dieses verklärt ist von dunklen Wolken, geformt aus Ignoranz, Egoismus, Gewalt und Umweltzerstörung. Aber wenn wir ehrlich sind, ein Jahr ist kein Zeitraum, grundlegende Dinge zu ändern. Alle Änderung allerdings beginnt mit einem ersten Schritt und diesen ersten Schritt kann nur eine Person machen. Du, liebe Leserin und lieber Leser. Du kannst Dinge in deiner Umgebung verändern, wenn du es schaffst ein Vorbild zu sein. Sei mutig, sei entschlossen, sei laut, wenn es sein muss, wenn es darum geht, Unrecht aufzuzeigen. Und es geht nicht um Unrecht, dass dir widerfährt, denn du, liebe Leserin und lieber Leser, hast es verdammt gut. Dein weiches Bett und dein dreilagiges Klopapier werden dich vom Unrecht dieser Welt genügend ablenken können. Es geht um das Unrecht welches den Menschen geschieht, die sich nicht dagegen wehren können. Die armen Frauen und Männer in afrikanischen Minen, welche tagtäglich von Industriechemikalien vergiftet werden. Die armen Kinder, welche jeden Tag in Südamerika, aber auch in Indien und Russland verhungern müssen, weil wir eine Auswahl zwischen zehn verschiedenen Brotsorten haben wollen, um nur eine zu essen. Die armen Schweine und Rinder, die jeden Tag auf ihren Transporten verenden, nur damit wir auch ja genug Fleisch zum Grillen haben und nicht den Preis dafür zahlen müssen, der eigentlich angemessen wäre. Aber sei nicht nur laut angesichts dieses Unrechts! Sei laut, mit mir und vielen anderen zusammen, wenn es darum geht Ignoranz und Blödheit anzuprangern, egal ob sie von beschränkten Politikern, religiösen Fanatikern oder einfach selbstgerechten Nachbarn kommt.
Eine natürlich völlig friedliche Demonstration für Religionsfreiheit. Via Sir EDW
Natürlich, auch wenn noch so laut geschrien und noch so oft auf die Straße gegangen wird, an den grundlegenden Mechanismen dieser Welt kann niemand einfach etwas ändern. Denn zuviele Leute profitieren davon, dass eben nicht alles gerecht und richtig zugeht. Was wäre auch die alternative? Sozialismus? Anarcho-Syndikalismus? Eine wohlwollende Diktatur? Die Bildung von Räten? Das wirklich frustrierende ist doch, dass kaum jemand heutzutage eine Alternative sieht. So festgefahren sind wir in unserer Gesellschaft, dass wir nicht mehr dazu in der Lage sind, über den nächsten Gehaltsscheck hinaus zu denken. Daraus ausbrechend können wir nur, indem wir versuchen unseren Verstand einzusetzen. Nachdenken. Eine Sache versuchen aus verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten, um zu einem wirklichen Verstehen zu kommen. Und uns dann ein Urteil zu bilden, nur um anschließend bereit zu sein, dieses wenn nötig auch zu ändern. Verständnis für andere Menschen und ihre Blickwinkel zu haben, aber gleichzeitig eine Vorstellung davon zu pflegen, dass gewisse Sachen universal sind, beispielsweise die Anwendung des menschlichen Verstandes. Kritisches Denken nennt man das dann, glaube ich. Und wenn wir tatsächlich etwas ändern, etwas besser machen wollen, dann müssen wir dieses kritische (Nach)Denken pflegen und verbreiten, unsere Mitmenschen dazu anhalten, sich auch mal näher mit bestimmten Thematiken zu beschäftigen. Noch nie war dies so leicht wie heute. Die schwierigste Aufgabe ist es dabei, dieses Denken zu vererben, sicherzustellen, dass mensch nicht der Einzige ist, der so denkt. Denn letztlich ist eines sicher: Wir werden irgendwann sterben und dann gibt es nur noch unsere Kinder. Und wir müssen unter allen Umständen dafür sorgen, dass unsere Kinder nicht einfach mit kapitalistischen Scheuklappen durch die Gegend laufen und alles nur noch nach Nutzwertkriterien beurteilen. Wir müssen unseren Kindern Verstand anerziehen. Nur dann können wir wirklich auf eine bessere Zukunft hoffen als jene, auf die wir zuschreiten. Und hey, Kinder zu zeugen ist immerhin eine spaßige Sache.
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