Am letzten Donnerstag spielten die unglaublichen Ärzte in Trier und erfreuten ein vierstelliges Publikum. Wer dafür keine Karten bekommen hat, sich nicht um Karten kümmern wollte, wer auf so großes Konzertgedöns einfach nicht steht und es lieber ein wenig heimeliger und intimer mochte, der war woanders: entweder bei sich daheim unter der Decke oder im Café Kokolores. Dort spielte Spaceman Spiff mit seiner Band und bescherte einem zweistelligen Publikum ebenfalls einen erfreulichen Abend. Im Ernst, es war wirklich schön mit den drei Jungs auf der Bühne in dieser kleinen Lokalität. Unheimlich sympathische Menschen mit unheimlich guter Laune machen gespenstisch gute weil völlig unprätentiöse Musik.
Unprätentiös deswegen, weil besagter Spaceman Spiff sich in seiner Musik zwar Ernst nimmt, aber jederzeit bereit ist, über sich zu lachen und einfach Spaß zu haben. Immerhin, er hat es geschafft, vor dem wohl ernstesten Lied des Abends einen harten Lachanfall zu bekämpfen. Diese stellenweise Selbstironie äußert sich beispielsweise auch in seinem YouTube-Kanal: dieser trägt den unprätentiösen Namen „Sentimentale Scheiße“.

Spaceman Spiff und Band. Von links: Felix, Hannes, Johnny. Copyright: 2012 Dirk Mentrop/ Pixelworx

Inhaltlich geht’s bei der Musik des jungen Sprachakrobaten meist um melancholische oder emotionale Momente. Diese Momente entstehen oft aus einer Konfrontation von Erwartung mit der Realität, einer harten Erfahrung der Wirklichkeit für einen doch noch jugendlich-verklärten Geist. In „Hamburg“ geht es beispielsweise um den Neuanfang in einer fremden, großen Stadt und der Tatsache, sich selbst dort zu positionieren, eine eigene Identität zu entwerfen, wohingegen im altbekannten Herkunftsort dieser Schritt nicht mehr nötig ist. Dort war man bereits jemand.
Fraglos ist das eine gemeinsame Erfahrung vieler junger Menschen, die sich aus ihrem vertrauten Zuhause hinaus in die Welt begeben um dort nicht nur neue Freunde und Erfahrungen, sondern auch sich selbst zu finden. Für die politische Theoretikern und Teilzeit-Philosophin Hannah Arendt (oh ja, den Schwenk mach ich auch noch!) war gerade diese Fähigkeit einen „Anfang zu setzen“, etwas neues zu schaffen, Spontan zu sein, dies also war für sie eine zentrale Eigenschaft des Menschen. Und auch ganz persönlich berührt mich das alles, steht es mir doch in einer noch ungewissen aber viel zu nahen Zukunft bevor.

Eine persönliche Zukunftsvision, die viele andere junge Frauen und Männer in diesen Tagen ausleben dürfen. Denn ein neues Wintersemester bedeutet auch wieder viele neue Erstsemester an der Universität Trier, viele neue junge Menschen mit teilweise naiver Hilflosigkeit, die nicht wissen, wo ihr Seminarraum ist und was sie da eigentlich studieren („Irgendwas mit Medien?“). Erinnern wir uns alle kollektiv, wie spannend diese Zeit war: Ein Tsunami aus Neuem, Menschen, Wissen, Alkoholvariationen! Für viele das erste Mal eine eigene Wohnung, selbst Wäsche waschen und einkaufen, die Not, kochen zu lernen. Und dann das Geschlecht (das andere oder eigene, je nach Präferenz)! Verliebt sein, erste emotionale Grenzerfahrungen, One-Night-Stands, die zu zerbrochenen Freundschaften und neuen Lieben führen. Hach, welch großartige Zeit müssen diese Menschen haben!

Und gerade weil wir alle diese Erfahrungen auf die ein oder andere Weise gemacht haben, habe ich und viele andere ältere Semester nur einen Wunsch: Bitte geht uns damit nicht auf den Sack. Es ist scheiße-anstrengend, euch liebe Erstis abends angetrunken grölend durch die Straßen ziehen zu hören. Es ist extrem schwer, euch eure alkoholgeschwängerte Unverschämtheit nachzusehen, wenn ihr der Meinung seid, nachts um 22 Uhr Leute lauthals darauf aufmerksam machen zu müssen, dass sie in der Fußgängerzone Fahrrad fahren (was nach 19 Uhr übrigens erlaubt ist, vielen Dank). Leute, wohlgemerkt, die wesentlich länger in Trier gewohnt, studiert und insgesamt auch länger gelebt haben als ihr.

Captain Party und ich sind einer Meinung: Nicht cool! Via corygrunk

Und letztlich zehrt eure Begeisterung für, nun, alles hart an den Nerven derer, die ganz ähnliche Erfahrungen wie ihr gemacht haben und wissen, dass alles, was ihr erlebt, letztlich gar nicht so toll und individuell ist, wie ihr glaubt. Ihr seid so voll von euch selbst, dass ihr gar nicht merkt, wie ihr andere Leute vor den Kopf stoßt, nun da ihr glaubt, die Weisheit mit Löffeln gefuttert zu haben (glaubt mir, ich kenne das Gefühl). Je enthusiastischer ihr nun seid, um so schlimmer wird es sein, wenn ihr erfahren müsst, dass Menschen auch kacke sind, dass die Uni (vor allem für euch, liebe Bacheloretten und Bachelors) ziemlich anstrengend ist, dass ihr keinen Welpenschutz genießt, dass ihr auf auch selbst angewiesen seid und hoffnungslos untergeht, wenn ihr erwartet, dass euch jemand an die Hand nehmt. Und dazu kostet der Uni-Sport seid diesem Semester auch noch Geld! Kurz und gut: Euer Enthusiasmus wird spätestens nach dem zweiten Semester verpuffen wie Staub in einem hoffnungslos überhitzten Heißwasserboiler.

Und für Menschen wie mich, für welche die Uni ein vertrauter Ort ist, mit vertrauten Gesichtern, wird es immer schwerer, Verständnis für euch aufzubringen. Ihr kommt hierher, fühlt euch geil und als die Herrscher*innen der Welt, dabei dringt ihr in MEINE Uni ein, stellt euch in MEINEN Platz in der Mensaschlange, besetzt MEINEN Computerarbeitsplatz, leiht euch MEINE Bücher aus und kackt in MEINE Kloschüssel! Warum das alles meins ist? Weil ich hier viel länger bin und deshalb viel mehr Rechte habe als ihr, darum!
Okay, das ist natürlich völlig übertrieben. Aber es ist tatsächlich so, dass die Universität mit jedem Semester immer fremder wird, je mehr unbekannte Gesichter sich dort herumtreiben. Und das macht meinen langsamen Abschied nicht leichter, habe ich diese Uni doch mit all ihren Problemen und liebenswerten Eigenheiten über die Jahre lieb gewonnen.

Scheiß Melancholie. Via Gregory Jordan

Deshalb, liebe Erstis, schaltet einen Gang zurück und übt euch in einem kleinen bisschen Demut. Gegenüber den „alten Leuten“, die hier noch immer rumhängen, gegenüber all den Menschen, die ihr mit euren Fragen überfordert und nicht zuletzt gegenüber euch, denen noch so viel bevorsteht. Aber später, wenn ihr dann selbst euren Hut nehmt und Trier den neuen Erstis überlasst, dann erinnert euch zurück und erkennt, was ihr tatsächlich gelernt habt: Dass ihr nämlich in der Lage seid, aus euch heraus einen neuen Anfang zu setzen. Das zeichnet euch als wirkliche Menschen aus und den Enthusiasmus für diesen Neuanfang solltet ihr nie verlieren. Und falls doch, vielleicht hilft ein wenig Musik, euch wieder daran zu erinnern.