Die Deutschen sind super gut im Erinnern. Den Geburtstag von Mutti, die Öffnungszeiten der 24-Stunden-Tanke oder dass wir ganz allein und ausnahmslos an beiden Weltkriegen schuld sind. Deutsche vergessen nicht so schnell. Wer an einem 11. September allerdings nichts mehr von Leid und Memoriam hören kann, der ist hier genau richtig.

Musik ist schließlich eine fachlich (glaube ich zumindest) anerkannte Bewältigung von Trauer. 11 Jahre nach den tragischen Ereignissen rund um die Twin Towers habt ihr also hoffentlich den Kopf frei für Freude. Ja, ganz richtig. Den Musikweihnachten fällt dieses Jahr (fast) auf meinen Geburtstag. Die Größen der Tonträgergesellschaft haben sich anscheinend verbündet, um ihre Alben Mitte September rauszuhauen und Menschen mit meinem Musikgeschmack in den Ruin zu treiben. Diese Woche also eine große Vorschau auf das, was uns in den nächsten Wochen erwartet, obwohl auch letzten Freitag wieder erhitzter Dung in die Plattenregale gekommen ist.

 

Der Ton der Zukunft

Moneybrother und Aimee Mann stehen in den Startlöchern, Mika erscheint in Frankreich schon zwei Wochen vor offiziellem Release und im Oktober ziehen dann noch Muse hinterher. Meine Güte, was ist denn hier los? Dazu kommt noch, dass der Mainstream-Markt mit den Namen Green Day und The Killers noch ordentlich Futter bekommt und Deutsch-Spaß-Hop-Fans rammen mir wahrscheinlich den nächst besten Laternenpfahl ins linke Auge, wenn ich nicht Blumentopf erwähne. Was passiert, wenn ich Korns anstehendes Live-Album unter den Tisch kehre, will ich mir gar nicht vorstellen. Die Strafe wäre wahrscheinlich nochmal bei “Rock en Seine” in den vorderen Reihen zu stehen (die unverschämteste Konzertbesuchermasse, die ich je erleben musste!).


Warum, Mika? Diese Musik droht im Saft des Stroms unterzugehen. Mal schauen…

Warum man sich über Mika und Muse freuen sollte, muss ich wohl niemandem mehr erklären. Hier dürfte jeder seine Meinung haben. Entweder mögt ihr den Zuckerpop Mikas und die Falsettstimme und Queen-Referenzen aus dem Muse-Lager oder ihr seid schon brav angefeindet. Interessanter sind da Moneybrother und Aimee Mann.

Moneybrother hört eigentlich auf den Namen Anders Olof Wendin und kommt aus Schweden. Da ist er auch völlig zu Recht eine Größe der Rock-Szene, der nicht mit gebügelter Coolness aus der Konserve à la The Hives (ich HASSE The Hives) macht, sondern mit allen Instrumenten, die er so vorfindet vorantreibende, schöne Musik macht. Ich hatte in Eschwege das Glück den guten Mann mit seiner Live-Band sehen zu können und er hat richtig Laune gemacht. Für Festivalfreunde: Er hat eine Stimmung hinbekommen, die sonst den Ska-Bands vorbehalten ist. Wenn ihr Bock auf Rock habt, der leicht ins Ohr geht, aber nicht völlig austauschbar ist, der sollte UNBEDINGT ein paar Hör(kost)proben versuchen.

So. Tief durchatmen. Heute plaudere ich mal aus dem Nähkästchen. Wem die Seite cdstarts.de ein Begriff ist, der hat vielleicht mitbekommen, dass ich dort in regelmäßigen Abständen Kritiken beisteuere. Wenn das Genre einer zu behandelnden Platte grob Singer/Songwriter ist, dann fällt in gleicher Regelmäßigkeit ein Name: Aimee Mann. Diese Frau ist der gefühlte Standard, wenn ich jemandem im Ohr habe, der mit Akustikgitarre und emotionalem Gesang punkten will. Völlig unfair und subjektiv, aber das Leben ist bekanntermaßen nicht gerade die Fairness in Person.


Soll wohl einen tollen Twitter-Acc haben… ich beschränk mich auf ihre Stimme

Seit ich den (fantastischen) Film “Magnolia” gesehen habe, ist Aimee Mann mein Maß der Dinge. Es gab eine Zeit, in der ich Damien Rice vorziehen wollte, doch dann denke ich an die unvergleichlich guten Tracks aus “Magnolia” zurück und will dieser Frau die Füße küssen. Unglaublich amerikanisch (und das ist wie beim Boss nur positiv gemeint) ist ihre Musik erdig, hat einen festen Stil (böse Zungen würden behaupten: eingefahren) und lässt sich gerne mal mehr als vier Jahre Zeit, um endlich ein neues Album heraus zu bringen. Durch meine Nebenbeschäftigung hab ich Sack das Glück beim Schreiben dieser Zeilen schon das neue Album “Charmer” hören zu können und es ist wieder alles da. Gemütliche Gitarren, Aimees beruhigende Stimme und tiefgründige Texte. Das Album ist schnell und geradlinig und kein Konzeptalbum wie noch ihre letzten beiden Alben. Das Album wirkt dadurch weniger intim, hat aber wie schon Springsteens letztes Werk einen unglaublichen Drive. Ihr wollt Aimee Mann? Auf Charmer gibt es sie wieder pausenlos und alles was sie ausmacht ist Programm! Nach knapp zwanzig Jahren Mann’scher Fantastik ist das genau das, was wir wollen. Ja, Green Day-Fans dürfen dieses Argument gegen mich verwenden.

 

Der gute Ton

Anna Aaron? Noch nicht gehört? Machen wir es kurz: Wenn euch eine Aimee Mann nicht genug Experimente (mehr) liefert, dann ist die junge Baslerin die perfekte (aktuelle) Alternative. Ohne den ganz krassen Entdeckergeist einer Kate Bush bietet Aarons Album “Dogs In Spirit” von Pop-Rock bis Mystik-Hymne alles, was ihr euch wünschen könnt. Wer erstmal nur den großen Zeh in unbekannte Gewässer tunken will und nicht auf catchy Melodien verzichten möchte, der sollte sich dieses Album nicht entgehen lassen (wenn das Geld denn ausreicht).


Ziehen Sie sich warm an, Frau Mann… und klatschen gehört abgeschafft… SPACKEN!

Olympia hat uns zudem gelehrt, dass David Byrne noch lebt. Ich verbinde den Mann immer damit, dass eines seiner Stücke mal ein Beispielmusik-Track auf dem vorinstallierten Windowss XP war. Aber wenn man ein wenig objektiver an die Sache rangeht, dann hat Herr Byrne – ähnlich einer bereits genannten Frau Bush – viel für die Musik-Szene getan. Auf “Love This Giant” ballert der Altmeister zusammen mit St. Vincent ein paar echt – ich muss so schreiben – geile Pop-Songs (meiner Mutter sträuben sich die Haare bei diesem Wort). Wie da Töne aneinandergeklatscht werden und Gesamtkunstwerke entstehen, ist einfach nur beeindruckend. Es ist wie Björk in hörbar! Nicht falsch verstehen. Ich habe großen Respekt für die Isländerin, aber sie hat längst den Kontakt zum Boden verloren und verwöhnt unsere Ohren (meiner Meinung nach) einfach zu selten mit einer guten Melodie. David Byrne hingegen hat allein mit “Who” all seine schwächeren Werke der jüngeren Vergangenheit entschuldigt.


Chapeau, monsieur Byrne. Dass ich auf meine alten Tage noch ein Fan werde… wer hätt’s gedacht?

Über Stereolove, die einfach so klingen, wie U2 heutzutage klingen sollte (ich verweise dabei nur auf die Single “This Is It”), will ich gar nicht so viele Worte verlieren. Genau wie die guten Live-Aufnahmen Korns kann man die Empfehlung so stehen lassen. Da ist The XX schon interessanter. Und warum? Weil sie nichts gemacht haben. Im Gegensatz zu vielen anderen Bands, die beim Zweitalbum auf die Fresse fliegen, haben The XX “Coexist” geschaffen, um wahrlich mit ihrer Hörerschaft koexistieren zu können. Es gibt viel Emotion, viel Minimalismus und wunderbare Hooklines. Neu erfinden tun sich die Londoner keineswegs. Anstatt dessen verfeinern sie, was sie auf dem Debüt schon geboten haben. Same old, same old, aber für Album Nummer zwei mehr als nur beachtenswert. Die guten Tracks und Ideen sind ihnen noch nicht ausgegangen.


Kopfhörer auf und Gänsehaut bekommen

Und die Liste der Empfehlungen will einfach nicht enden. Wer allerdings auf keinen Fall übergangen werden darf, sind die Mol-Rocker von Woven Hand. Mit einer Schippe Folk drin werden wuchtige Klanglandschaften auf die Hörer losgelassen, die sich gewaschen haben. Wem die Auswahl also bisher zu poppig war, der findet hier zumindest Tonwände vor, die so mancher Prog-Band Ehre machen würden.


Jerusalem, Jehova, Abraham und Co. sind die berühmten Gaststars via Lyrics. Man kann die Band aber auch ohne religiöse Fanatik hören

Ton-Salat

Also Vorfreude plus eine fantastische Release-Woche ergeben eine Flut an Empfehlungen und nächste Woche wird es kaum weniger. Und ich habe diese Woche Namen wie Bob Dylan und Billy Talent unter den Tisch fallen lassen! Dagegen wird aber für alle Menschen mit weiterem Sprachhorizont auf das morgige Release von “Landmark” hingewiesen. So heißt das neue Album meiner japanischen Vorzeigerocker der Asian Kung-Fu Generation. Auch die letzte Hymne konnte sich hören lassen und stellt in Sachen Gefühl viele West-Bands in den Schatten. Eigentlich traurig, wenn ich bedenke, dass es bei Weitem nicht ihr bester Song ist.

Ich für meinen Teil kann nächste Woche also kaum erwarten und verabschiede mich hektisch mit den Worten von John F. Zoidberg: Woop woop woop woop… woop!

P.S. Ich bitte den exzessiven Gebrauch von CAPSLOCK zu entschuldigen.


Bin ich voreingenommen, wenn es um Ajikan geht? Sehr wahrscheinlich! Schlechter macht das ihre Songs aber nicht