Bestimmt steckt keine böse Absicht hinter der Überschrift der Süddeutschen Zeitung “Broadway-Musical Hamilton Schauspieler belehren Mike Pence”, aber der Effekt ist nicht zu unterschätzen. “Jetzt reg’ dich doch nicht wegen eines kleinen Worts auf, Max”, ist eventuell ein Einwand. Dieser Einwand war schon immer und ist jetzt im Besonderen fahrlässig. In Amerika verfolgen wir eine aktive Spaltung von Bevölkerungsgruppen, die oft in “Arbeiterklasse gegen Elite” ihre Bezeichnung findet. Die Elite weiß alles besser. Die Elite beherrscht. Die Elite unterdrückt. Das ist das Verständnis jener, die nichts mit der Elite anfangen können.

Von einer “Belehrung” zu sprechen, ist nicht nur inhaltlich mehr als fragwürdig, sondern verstärkt das typische Bild. In den Augen der erzkonservativen Wähler sind die Schauspieler des Musicals natürlich linke Elite. Mit ihrer geschnörkelten Sprache, den hübschen Kostümen und extravaganten Gesten sind sie aufgrund der aktuellen (Fehl-)Kommunikation zwischen den Bevölkerungsteilen eine Personifizierung der linken Elite, der Social Justice Warrior, der Gutmenschen. Und diese Menschen “belehren” den demokratisch gewählten, zukünftigen Vize-Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika? Natürlich geht Menschen da der Hut hoch. Der zukünftige Präsident Donald Trump hat bereits per Twitter verlauten lassen, dass der Cast sich für den respektlosen Umgang mit Mike Pence entschuldigen soll. Wahrscheinlich, weil Donald Trump so wenig Geduld und Auffassungsgabe wie die meisten von uns mitbringt und lediglich Überschriften wie “Broadway-Musical Hamilton Schauspieler belehren Mike Pence” liest.

Das Problem ist, dass die Schauspieler des Hamilton-Musicals Mike Pence in keiner Weise belehren. Hier versammeln sich Künstler, die sich für Diversität einsetzen. Menschen, die anhand der Aussagen von Donald Trump ernsthaft besorgt sind, was die Präsidentschaft dieses Mannes für ihre und die Rechte ihrer Freunde bedeutet. Für Schwule, Lesben, Schwarze, Latinos, Transgenders, Frauen und weitere Bevölkerungsgruppen, die sich vor Trumps Aussagen und angekündigten Policen fürchten. Lest die Aussage selbst, die ich auf die Schnelle transkribiert habe. Wer eine grobe Übersetzung wünscht, guckt das Video beispielsweise bei der Süddeutschen.

You know we had a guest in the audience this evening. Vice-President elect Mike Pence, I see you walking out, but I hope you will hear us just a few more moments. There is nothing to boo here, ladies and gentlemen, nothing to boo. We are all here sharing a story of love. We have a message to you, sir, and we hope that you will hear us out. And I approach everyone to put out your phones and tweet and post so this message is being spread far and wide, okay? Vice-President elect Pence, we welcome you and we truly thank you for joining us here at ‘Hamilton – an American Musical”, we really do. We, sir, we are the diverse America who are alarmed and anxious that your new administration will not protect us, our planet, our children, our parents or defend us and uphold our inalienable rights, sir. But we truly hope our show has inspired you to uphold our American values and work on behalf of all of us, all of us. We thank you truly for [inaudible] this show. This wonderful American Story told by a diverse group of men and women of different colors creeds and orientations…

– Brandon Victor Dixon

Habt ihr euch die Zeit genommen, den kompletten Ausschnitt zu lesen? Vielen Dank. Das ist nicht ironisch gemeint. Das ist bitter nötig, denn nur so ist ersichtlich, dass hier eine Gruppe von Menschen den angesprochenen Mike Pence bitten, ihren Lebensweg zu akzeptieren. Mehr als alles andere ist diese Ansprache ein “plea”, eine Bitte. Eine Bitte, zu akzeptieren, dass jeder Mensch ein produktiver und gewinnbringender Teil der Gesellschaft sein kann. Eine Bitte, zu versprechen, dass alle Menschen, die in Amerika leben, den Schutz der Regierung genießen. Die Aussagen Trumps lassen die Schauspieler zweifeln und deswegen bitten sie im Namen ihrer Gleichgesinnten, dass Mike Pence eine weltoffene und progressive Gesellschaft duldet und stärkt.

Du musst etwas Anderes tun. Du bist dumm und naiv, wenn du nicht machst, was wir dir sagen. Das sind Belehrungen. Jemanden zu sagen, dass zwei plus zwei vier sind, ist durchaus eine Belehrung, aber diese bezieht sich auf Fakten. Der Streit um Menschenrechte ist in Amerika und in nahezu allen Ländern der Erde aber eine Glaubenssache, weswegen Fakten oft außen vor bleiben. Unsere Bundeskanzlerin “tut sich schwer [mit der rechtlichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare bei der Adoption von Kindern]”, weil Sie, aus welchen Gründen auch immer, es nicht für richtig hält. Das sei ein “kontroverses” Thema und ist am Ende ein Themenfeld, das bei Entscheidungen weitestgehend frei von Fakten bleibt. Der Hamilton-Cast belehrt nicht, sondern setzt sich für die Gleichheit gewisser Gruppen ein.

Der Journalismus steht in der besonderen Pflicht, dass Inhalte vernünftig, reflektiert und verständlich wiedergegeben werden. Wir haben in Deutschland genug Blätter, die sich aus offensichtlichen Gründen dagegen wehren. Der kommerzielle Erfolg gibt diesen Verlagen und Blättern recht, auch darüber müssen wir im Bilde sein. Wer glaubt, dass Überschriften wie “Broadway-Musical Hamilton Schauspieler belehren Mike Pence” keine Auswirkung auf die Außendarstellung haben, hat den berüchtigten Schuss nicht gehört. Dass die gebildete und meist als links bezeichnete Elite auf konservative Werte herabschaut, ist ein fest bestehendes Vorurteil. Ein Vorurteil, dass auch die weise gewählten Worte des Hamilton-Casts nicht umkehren, wenn wir schreiben, sie “belehren”.

Ich hingegen stehe dazu, dass ich mit diesem Beitrag belehren möchte. Ich versuche darauf hinzuweisen, dass die Wortwahl durchaus eine Rolle spielt. Ich streite oft und leidenschaftlich über die Entwicklung von Sprache und auch intern im Team herrschen große Differenzen. Das liegt bei mir daran, dass ich das Gefühl habe, dass viele Menschen ihre eigene Muttersprache in den Grundfesten nicht verstehen und unabsichtlich schaden anrichten. Während wir sprechen, passiert das. Uns fehlen die Worte, wir verhaspeln und versprechen uns. Das ist menschlich. Doch wer seine Gedanken in Schriftform zum Ausdruck bringt, hat eine besondere Verpflichtung. Journalisten verdienen ihren Unterhalt mit dem geschriebenen Wort und bei all ihrer Übung ist es wichtig, dass sie ihre Erfahrung mit dem Umgang mit der Sprache Lesern zur Verfügung stellen.

Allein die Überschrift “Broadway-Musical Hamilton Schauspieler belehren Mike Pence” ist eine völlige Verfehlung dieses Qualitätsanspruchs. Wir lesen eine Überschrift, die an eine Falschaussage grenzt. Wir versagen mit solchen Botschaften auf den einfachsten Ebenen der Kommunikation. Wenn der nächste Konservative ruft, dass die vermeintlichen Linken und die vermeintliche Elite und die vermeintlichen Besserwisser, weiß wieder keiner, woran das liegt. Niemand ist perfekt, auch ich hätte mich eloquenter ausdrücken können, hätte effektiver zum Punkt kommen können. Ich möchte das versuchen. Ich möchte meine Fehler minimieren. Die Frage ist, Süddeutsche Zeitung, macht ihr mit? Die Frage ist, Journalisten, macht ihr mit? Die Frage ist, lieber Leser, machst du mit?

Featured Image via Flickr by Tina Saey