Unser Johannes hat mal die weisen Worte gesprochen, dass sich Reviews und Kritiken nicht für uns lohnen. Dafür sind wir ein zu kleines Team, das mit dieser Webseite (zur Sicherheit: noch) kein Geld macht. Es gibt viele, tolle Seiten in den Weiten des Internets und wer der englischen Sprache mächtig ist, der kann sich vor Meinungen kaum retten. Das heißt aber natürlich nicht, dass wir keine Meinung haben oder diese in die Welt posaunen wollen. Schließlich betreiben wir diesen Blog zu unserem Vergnügen und um unsere Ängste und Sor-, ähm, Interessen zu teilen.

Eigentlich wollte ich schon zu Beginn der letzten Woche einen Artikel zur deutschen Crossover-Band Kafvka teilen, die ich kürzlich als Vorband von Turbostaat gesehen habe. Daraus wurde dann nichts, weil ich gemerkt habe, dass die Band am 08.04.2016 ihr Debüt-Album veröffentlicht. Es erschien mir halbgar über die gerade noch gekaufte “Probe – Raum – EP” zu schreiben, wenn “Hände Hoch!” vor der Tür steht. Und dann sind noch viele weitere Dinge dazwischen gekommen. Das jüngste Event war ein Adam Angst-Konzert in Berlin, die unter anderem auf die Vergabe eines Echo-Preises an eine bestimmte Band zu sprechen kamen.

Frei.Wild werden von irgendjemandem prämiert

Letztes Jahr war es soweit. Frei.Wild haben sich offen gegen Fremdenhass ausgesprochen. Hurra! Alles ist wieder gut! Das von der Band übertragene Weltbild ist damit von jetzt bis in alle Ewigkeit nicht zu hinterfragen! Ob wir tatsächlich soweit gehen sollten, ist zum Glück weiterhin dem Einzelnen überlassen. Ich selbst kenne auch ein paar Gestalten, die gerne ein paar Songs von Frei.Wild hören, ohne diverse Werte gleich auf ihren Alltag zu übernehmen. Um Heimatstolz und andere Formen des Dazugehörens geht es im Endeffekt meistens, aber ich kann verstehen, wie letzteres Hörer anspricht, ohne dass man gleich rechte Flaggen wehen lässt. Die Wirkung und Verbreitung der Band in der Breite ist allerdings mit im rechten Spektrum zu verorten. Dass sie sich letztes Jahr offen dagegen ausgesprochen haben, ist schön für mich zu hören, entlässt die Band allerdings nicht aus ihrer jahrelangen Verantwortung, die sie großzügig ausgeblendet haben. Trotzdem besser spät als nie.

Ob Leute Frei.Wild hören sollen oder dürfen, ist für mich dabei keine entscheidende Frage. Solcherlei Diskussionen führe ich seit hitzigen Debatten über die Böhsen Onkelz nicht mehr. Adam Angst haben die Band selbst auch gar nicht mit Namen benannt. Und das ist auch nicht wichtig. Viel wichtiger ist, wer diesen Preis verliehen hat. Es wird Zeit, sich zu fragen, welche gesondert denkenden Menschen überhaupt auf die Idee kommen Frei.Wild zur Wahl aufzustellen. Ähnlich wie die Oscars ist der Echo seit geraumer Zeit kein Qualitätspreis, sondern eine Mischung aus Popularitätswettbewerb und Öffentlichkeitsarbeit. Ach, und natürlich Selbstbeweihräucherung.
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Wild in Freiheit – via Flickr by Mark Kent

Damit beantworte ich die Frage natürlich auch gleich selbst. Frei.Wild muss den Preis einfach erhalten, weil sie seit Jahren kommerziell erfolgreich sind. Seit “Gegengift” (2010) sind Frei.Wild ein Chartstürmer von denen ich immer noch kein einziges Lied wirklich kenne. Das liegt sehr wahrscheinlich an meinen Interessen und muss nichts heißen. Aber auch ein gewisser Herr Xavier Naidoo ist seit vielen Jahren erfolgreich. Er darf auch in vielen Fernsehsendungen mitwirken, die vernünftige Einschaltquoten vorweisen können. Und ursprünglich sollte er Deutschland bei Eurovision Song Contest (kurz: ESC) vertreten.

Dass er am Ende aufgrund von Beschwerden aus der Gesellschaft durfte, weil er sich durch ausländerfeindliche Aussagen selbst einen Shitstorm beschert hat, ist erneut nur Nebensache für mich. Stattdessen ist das Muster des Erfolgs für die politisch und gesellschaftlich blinden Entscheidungsträger transparenter denn je. Es sollte keinen wundern, werden bestimmt einige anmerken. Und das stimmt natürlich. Am Ende können sich die Musiker immer mit künstlerischer Freiheit und Redefreiheit rechtfertigen. Das ist auch richtig so. Es liegt aber an den Außenstehenden darauf zu reagieren. Xavier Naidoo darf sagen, was er möchte. Frei.Wild dürfen singen, was sie wollen und wenn sie Verantwortung übernehmen wollen: um so besser. Nur wenn sie selbst oder mit ihnen verbundene Parteien glauben, dass sie in einem Vakuum fern ihrer Handlungen und Produkte handeln können, dann hackt es wohl, um frei nach Judith Holofernes zu zitieren.

Kafvka, die doofen Gutmenschen

Und jetzt ist es natürlich ganz klar, was die Agenda des bösen Max ist. Erst auf konservativen Aussagen herumreiten und dann eine Band feiern, die im linken Spektrum angesiedelt ist. Damit wäre dann auch gleich geklärt, dass ich ein unbezahlter Diener der Lügenpresse bin. Bevor also einigen die Ader an der Schläfe platzt, könnt ihr beruhigt aufhören zu lesen. Ihr habt recht. Alles ist gut. Viel Spaß damit.

Ich werde hingegen noch eine Weile Spaß mit Kafvka haben. Und das kommt auch aus der Überraschung. Wenig überraschend waren wir Turbostaat wegen im Beatpol in Dresden. Bei der kurzen Vorrecherche musste ich nur lesen, dass es irgendwie Crossover-Rap sein soll. Nun, im Notfall hätte ich mir ein Bier geholt. Aber jede Band sollte eine Chance bekommen und obwohl Franz Kafka, der mit F und auf den Stickern der Band, ebenfalls nicht mein Liebling ist. Entgegen der Erwartungen sind Kafvka etwas ganz Anderes, als ich es erwartet habe.

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Markus Kavka, der andere Namensvetter!? – via Flickr by Schröder+Schömbs PR_Brands

In meinen Augen sind sie eine Band, die sich einig ist, dass sie Rage Against The Machine richtig knorke finden, aber nicht ganz auf den Humor verzichten wollen. Interessanterweise heißt das allerdings nicht, dass die Band sich den Humor aufzwingt. Lieder wie “Lampedusa” und “Satt Geboren” sind nicht weniger wütend und engagiert als Adam Angsts “Splitter Von Granaten” und beziehen deutlich Position zu politischen und gesellschaftlichen Fragen. Da erlaubt kein Augenzwinkern Abschwächung oder wird sich mit ironischen Beleidigungen aufgehalten. Hier sind Vergleiche mit Rage Against The Machine absolut positiv gemeint. Von solcher Musik kann es nicht genug geben.

Das heißt aber nicht, dass die Späße in “Alles Außer Fans” und Co. ein laues Lüftchen erzeugen. Nicht-Hörern des Stils wie mir macht es die Band gleich ein ganzes Stück zugänglicher und man kommt sich nicht ausgeschlossen vor, nur weil man kein Hände-Schwinger ist. Das ist angenehm und für den guten Zweck habe ich nach einer halben Stunde gerne einen auf Checker gemacht. Die Schamesröte wollte dabei nicht wirklich aus dem Gesicht, aber das kann bei einem Konzert zum Glück eh keiner sehen. Lieber stelle ich mich ein wenig dumm dran, statt auf diese Band zu verzichten.

Featured Image via Flickr by Rafael Edwards