Ich kam neulich wieder in den Genuss (und das ist nicht ironisch gemeint) meine dreijährige Nichte zu sitten. Da meine Nichte außer Toben am liebsten Bücher vorgelesen bekommt und sehr gerne “Kindermusik” (aka Geschichtenlieder) hört, werde ich gerade wieder regelmäßig mit Märchen konfrontiert. Wie jede*r Erwachsene, der*die sich ein bisschen mit den Gebrüdern Grimm und anderen Vertreter*inn*en der Märchenschreibekunst auseinander gesetzt hat, sollten mich die vermittelten Bilder nicht schocken. Wenn Hacken abgeschnitten, Kinder im Wald ausgesetzt und Tiere verschlungen werden, gibt es nicht selten Momente bei denen man* merkt: So ganz zeitgemäß ist das nicht mehr. Aber das ist natürlich alles kein Problem für den modernen Buchhandel. Märchenbücher gibt es in allen Formen und Größen; Für Einjährige und Erstleser genauso wie für Wissenschaftler*inn*en und Sammler*inn*en, die sich lieber mit den Originaltexten auseinandersetzen oder sich an den über die Jahrhunderte entstandenen Illustrationen erfreuen.
Doch auch wenn man* Grausamkeiten in den grimmschen Märchen (und um ein solches soll es heute gehen) zensieren kann, so bleiben traurigerweise viele Kritik würdige Sachen zurück. Als Feministin sind es natürlich vor allem die Geschlechterbilder, die mich sofort anspringen. Schon in den ersten Zeilen von Schneewittchen, wird einem fast übel. Denn hier kommen so ziemlich alle negativen Frauenklischees zusammen. Sei es die Stiefmutter, die ihre Adoptivtochter nicht liebt, sondern sie vielmehr um ihre Jugend beneidet oder das gute alte Prinzip Frauen auf ihre Schönheit zu reduzieren. Auch das Ende erscheint einem fast gruselig, wenn der Prinz zu den Zwergen sagt, dass er ihnen den Sarg abkaufen will (auch wenn die Zwerge das ablehnen). Ein Klassiker bleibt bis heute auch, dass Schneewittchen nur deshalb von den Zwergen aufgenommen wird, weil sie im Gegenzug den Haushalt schmeißt, nähen und kochen kann.
Image by Stefan Schubert
Die perfekte Frau: schön und begabt im Haushalt (/irony)
Nun ist mein Anliegen nicht Schneewittchen zu verteufeln. Noch weniger, diejenigen, die noch immer zu den Gebrüder Grimm greifen und sie vorlesen. Denn selbst wenn man* sich als Einzelperson dagegen entscheidet, diese Art von Inhalten zu vermitteln, dann merkt man schnell wie fragil die Blase der eigenen politischen Überzeugung ist. Egal ob es Geschenke der Familie sind oder die Büchersammlung der Kita, ab einem gewissen Punkt kann man* sich dem gesellschaftlichen Gedächtnis nicht entziehen. Und was soll man* auch tun, wenn das Kind mit großen Augen vor einem*r steht und sagt: „Bitte vorlesen!“
Altes Format, neuer Inhalt?
Egal ob Prinzessinen- und Piratenbücher oder rosa und blaue Spielsachen – Jede*r, der*die mit Geschlechtersterotypen ein Problem hat, wird in seinem Rahmen das möglichste tun, um einen Gegenpol zu schaffen oder andere Geschlechterbilder anzubieten. Eine Variante ist zum Beispiel neue Geschichten zu erzählen, die diese Bilder vermeiden oder zumindest im Rahmen des Möglichen das Dargestellte zu kontextualisieren. Zum Beispiel eine Prinzessinnengeschichte ohne Glitzer und Rosa.
Einen solchen Versuch hat zum Beispiel Marc-Uwe Kling mit seiner Geschichte Prinzessin Popelkopf gewagt. Seine Kritik richtet sich allerdings nicht primär gegen Geschlechterbilder (obwohl er auch hier einen Beitrag leistet), sondern gegen die Glorifizierung des Adels. Obwohl ich großer Fan des Autors (und insbesondere seiner Känguru-Trilogie) bin, bleibt mir aber nur festzuhalten, dass ihn der Gedanke ehrt, aber die Ausführung verbesserungswürdig ist. Denn liest man* das Buch, dann bekommt man* den Eindruck, dass hauptsächlich die Erwachsenen Spaß mit dem Buch haben, denn es gibt keine wirkliche Identifikationsfigur für die kleinen Zuhörer*inn*en. Prinzessin Popelkopf ist der Inbegriff der dummen Adligen, die mehr auf Stand, Aussehen und Reichtum gibt, als auf innere Werte. Dabei gibt es keine klassische Moral. Am Ende wird sie Königin Grützkopf und es wird ein Bogen zu unserer heutigen Zeit geschlagen, in denen die Grützköpfe noch immer die Welt regieren.
Auch wenn das Buch auf einer Humorebene Kinder ansprechen mag (sie kommen ja alle in die Phase, in der ecklige Worte lustig sind), so fehlt der Geschichte eine wirklicher Ansatzpunkt für Kinder. Prinzessin Popelkopf bekommt keine Möglichkeit sich zu bessern, sondern muss sich einfach ihrem Schicksal ergeben. Am Ende bleiben Pipi-Kacka-Humor und der gehobene politische Zeigefinger. Das ist vor allem traurig, weil der Grundgedanke ein guter war.
Natürlich gibt es bereits verschiedene Projekte, die sich besonders mit Märchen beschäftigen. Aber was tun, wenn das Kind diese vielleicht nicht mag oder nicht so schön findet oder wenn die Mühlen der Geschlechterklischees bereits gut laufen? Für mich sind dies die Momente, in denen mir bewusst wird, was für eine Sisyphosarbeit der Feminismus ist, denn man* kämpft eben nicht gegen einzelne große Themen, sondern gegen ein kompliziertes Geflecht aus sich ineinander greifenden Problemen. An dieser Stelle weiter zu machen ist nicht immer leicht, aber wie eine Freundin von mir vor kurzem so schön gesagt hat: Wenn man einmal das Licht gesehen hat, dann will und kann man nicht mehr in der Dunkelheit leben.
An dieser Stelle also das erste Mal ein Artikel von mir mit offenem Ende: Wie macht ihr das und wie geht ihr mit diesem Problem um?
Featured image by Georgie Pauwels
Leave a Reply