Vor kurzem war George R. R. Martin in Hamburg und hielt dort ein öffentliches Interview mit dem Literaturkritiker Denis Scheck. Dort offenbarte er, dass die moderne Science-Fiction ihn nicht mehr interessiere, sei diese doch “zu düster” geworden. Es ist in der Tat auffällig, dass Science-Fiction heute kaum noch unabhängig von einer Dystopie gedacht – oder eher geschrieben werden kann. Es scheint fast, als hätten wir als Gesellschaft die Fähigkeit verloren, positiv und hoffnungsvoll in unsere eigene Zukunft zu blicken. Nicht die individuelle Zukunft (da haben wir alle zwangweise Optimismus), sondern die gesellschaftliche, technologische und politische Zukunft. Sind wir alle zu Schwarzseher*innen geworden?
Wenn der Cyberpunk die letzte große Innovation in der Science-Fiction war, so hat sich unsere Zeit noch nicht von dessen pessimistischer Zukunftsvision erholt: einer von Konzernen regierten Welt, in denen Menschen ihre Körper (bio-)mechanisch modifizieren und mit ihren Hirnen in die Matrix flüchten. Steampunk oder Dieselpunk mögen zwar recht neue Entwicklungen sein, blicken aber nicht in eine menschliche Zukunft, sondern entwerfen lieber eine alternative Vergangenheit der 1880er oder 1920er Jahre. Auch wenn der Cyberpunk bereits an die 30 Jahre alt ist: Seine Zukunftsversion scheint nicht weniger aktuell zu sein. Und warum auch nicht? Immerhin fürchten wir uns vor den undemokratischen Schiedgerichten von TTIP, rätseln über die Auswirkungen einer real existierenden “starken” KI oder bewundern den Fortschritt in der Prothetik.
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Allerhöchsten haben wir beim Blick in die Zukunft gemischte Gefühle. Erinnern wir uns an die Debatte um die Teilnahme von Oscar Pistorius an den Olympischen Spielen (und nicht den Paralympics): Es wurde gefragt, ob er mit seiner Prothese nicht einen Vorteil mit der Prothese gegenüber anderen Sportler*innen habe. Die Furcht vor dem Transhumanismus, davor, dass wir freiwillig unsere Körperteile mit mechanischen Komponenten verbessern um einen Vorteil zu haben, ist bereits gegenwärtig. Fortschritt ist nicht mehr unbedingt etwas Positives. Im Gegenteil: Die Zukunft scheint uns aufgrund ihrer Konflikte viel weniger erstrebenswert als der Status quo. Wer weiß schon, was die Zukunft bereit hält? Bestimmt nichts Gutes, so das verbreitete Gefühl.
Eine Gesellschaft aus Pessimisten? Wie anders war da doch der Fortschrittsglaube der 50er- bis 70er Jahre, dem Höhepunkt der modernen Science-Fiction. Wie Fantasyautor Martin beschreibt, ging es damals nicht um “Terrorismus, Internet oder Klimaerwärmung”, sondern um eine fantastische Zukunft, die uns Menschen neue Wege und Möglichkeiten eröffnet: Weltraumreisen, Kolonien auf fremden Planeten, uotpische Gesellschaftsentwürfe, die als Leitbild für die Gegenwart dienen sollten. Die Wissenschaft, so dachten unsere Eltern, würde eine bessere Welt für die Menschen schaffen, würde unsere heutigen Konflikte lösen und die Menschheit in ein neues, goldenes Zeitalter führen. Mutige Pioniere würden neue Grenzen erkunden, um uns allen einen verdienten Platz in diesem unendlich scheinenden Universum zu erobern.
Das Ende der Geschichte
Ist das naiv? Mitnichten. Denn diese Haltung zeugt von einem Glauben an den Fortschritt, daran, dass Menschen in der Lage sind, für ein übergeordnetes Ziel zu arbeiten, jenseits individueller Interessen. Aber diese Haltung ist uns verloren gegangen. Hören wir heute von Menschen, die ihre eigene wissenschaftliche Arbeit vorantreiben, können wir nur noch zynisch anmerken, dass diese Leute wohl auf Ruhm aus seien. Oder zumindest mehr Drittmittel. Wir glauben heute nicht mehr an übergeordnete Ziele, an eine positive Wirkung von Fortschritt, daran, dass es eine bessere Zukunft für alle Menschen geben kann. Die aktuelle Science-Fiction blickt entweder retrofuturistisch in die Vergangenheit oder arbeitet sich an gegenwärtigen Horrorszenarien wie einem globalen Blackout oder der Klimaerwärmung ab. Die Utopie ist irgendwann in den 1980ern klanglos verstorben.
Im Jahr 1992 dann veröffentlichte der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama sein Buch vom “Ende der Geschichte”. Liberale Demokratien, so seine These, haben den Widerstreit zwischen radikalem Liberalismus und Totalitarismus quasi als Synthese gewonnen und werden nach dem Fall des letzten großen totalitären Systems der Sowjetunion die einzige Alternative als Regierungsform darstellen. Das Fehlen einer Alternative, die Vorstellung, es gebe ja nur einen wirklich machbaren Weg, ist uns vor allem in Deutschland spätestens seit 2005 ziemlich gut bekannt. Angesichts der Griechenlandkrise und dem Spar-Diktat in Deutschland und der EU ätzt sich die Alternativlosigkeit durch alle politischen Schichten und hinterlässt nur eine stinkende Säurespur.
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So wie dieses nette Wesen. Sympathisch!
Wundert es da, dass wir auch in unseren eskapistischen Fantasien nicht mehr an eine Alternative zum Heute glaube können? Eine utopische Zukunft ist für unsere alternativblinden Gesellschaften schlicht nicht mehr zu begreifen, weil sie anscheinend völlig im Gegensatz zur Erfahrungswelt steht. Unserer Erfahrung nach würden wir beispielsweise den Mars nur besiedeln, um Rohstoffe zu sichern oder irgendwelche Kapitalinteressen zu erfüllen, nicht, um neue Grenzen und Lebenswelten für Menschen zu erobern. Es ist umso trauriger, wenn in einer Demokratie, deren Zweck ja gerade der Wettstreit um verschiedene Alternativen zur Herstellung von Allgemeinwohl ist, nur in einer Einbahnstraße gefahren wird. Letztlich geht es bei Demokratie, bei Politik ja immer um Zukunftsentwürfe von Gesellschaften, um die Verwaltung des Jetzt, damit eine Perspektive auf das Morgen entsteht. Aber gerade diese Perspektive ist von einem breiten Horizont mit verschiedenen Landschaften zu einem kleinen Tal geworden, aus dem scheinbar nur ein Pass herausführt. Wir können also nicht mehr in die Zukunft sehen, weil die Berge zu hoch sind.
Deshalb sind Utopien für uns unmöglich geworden: Wir glauben nicht mehr daran, dass das Morgen eine Alternative bieten kann, die für ALLE Menschen annehmbar ist. Wettbewerbs- bzw. Leistungsgesellschaften wie die liberalen Demokratien sind vielleicht per se gar nicht fähig, ihren Bürgerinnen und Bürgern eine Utopie zu bieten, denn “Verlierer” sollen in diesen Gesellschaften keinen wirklichen Platz haben. Dabei brauchen wir aber einen positiven Blick in die Zukunft, denn sonst verlieren wir doch alle Gründe, uns morgens noch aus dem Bett zu quälen. Warum sollen wir denn noch aufstehen, wenn wir bereits wissen, wie die nächste Woche aussieht? Das menschliche Leben ist ein ewiges Versprechen auf ein besseres Morgen und jede Gesellschaft, die dieses Versprechen nicht einlösen kann, muss irgendwann scheitern.
Utopien sind doch möglich
Die Hoffnung ist aber noch nicht ganz verloren. Vereinzelt gibt es noch Entwürfe, die sich gegen die Dystopie-Flut stemmen. Die Videospielreihe Mass Effect geht beispielsweise von einer erfreulichen Prämisse aus: Die Menschheit lernt, mit Überlichtgeschwindigkeit zu reisen, vereint sich politisch (zumindest mehr oder weniger), trifft auf ander außerirdische Völker, mit denen es nach einigen “Missverständnissen” friedlich zusammenlebt. Erst durch eine externe Bedrohung, wird die Welt von Mass Effect ins Chaos gestürzt.
Ein anderes Beispiel ist die Mars-Trilogie von Kim Stanley Robinson. In klassischer SF-Manier und mit viel Recherche schildert Robinson die Besiedlung des Mars, von den ersten hundert Bewohnern bis zum Abschluss des Terraforming. Im Zuge der Mars-Eroberung wird der menschliche Alterungsprozess überlistet, ein Weltraumlift gebaut und Dom-artige Städte errichtet. Es wird also die Überwindung bestimmter menschlicher Probleme geschildert. Diese Lösungen schaffen zum Teil wieder neue Probleme, aber die Grundstimmung bleibt doch optimistisch.
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So wie dereinst Frank Frazetta, als er Battlestar Galactica illustrierte, 1978
Trotzdem: Die Befürchtung bleibt, dass wir als Gesellschaft gar nicht mehr in der Lage sind, positiv in die Zukunft zu schauen. Dann bleibt nur noch die Angst vor Morgen, die Flucht in das Jetzt – oder die Vergangenheit. Das konstatiert auch George R. R. Martin: Seine Fantasy-Reihe “Das Lied von Eis und Feuer” sei auch deshalb so erfolgreich, weil den Leserinnen und Lesern die Zukunft zu düster wäre und eine fantastische Vergangenheit daher attraktiver, so der Autor.
Allerdings: Keine Zukunft ist auch keine Lösung.
01/07/2015 at 19:55
Relevanter Artikel: http://diezukunft.de/essay/buch/wo-bleibt-das-positive
01/07/2015 at 20:02
Danke für den Hinweis!