Vor 16 Jahren erschien der Retter des Computerrollenspiels: Baldur’s Gate (auf 5 CD-ROMs, später dann glücklicherweise auf DVD). Retter deshalb, weil Baldur’s Gate damals das etwas angestaubte Prinzip des schrittweisen Dungeon Crawlings – welches momentan ja wieder durch das exzellente Legend of Grimrock 2 auflebt – verwarf und durch eine lebendige Oberwelt, meistens faszinierende Charaktere und eine flüssige Kampfmechanik ersetzte. Dem gleichen Prinzip folgend entstanden dann weitere Meilensteine des Computerrollenspiel-Genres: Planescape: Torment und die beiden Icewind Dales. Zusammengefasst werden diese PC-Perlen als die Spiele der Infinity-Engine bezeichnet.

Und dann? Tja, dann kam auch erstmal nicht soviel, aber immerhin wieder mehr gute Rollenspiele. Deswegen erregten Bioware, die Macher von Baldur’s Gate, viel Aufsehen, als sie ankündigten, ein neues Fantasy-Rollenspiel zu machen: in 3D, in ihrer eigenen Welt mit eigenem System. Vor allem letzteres war interessant, denn die klassischen RPGs der Infinity-Engine basierten alle auf der Pen&Paper-Vorlage von Dungeons & Dragons sowie dem Forgotten-Realms-Kampagnensetting. Der Titel sollte ein “spiritueller Nachfolger” von Baldur’s Gate werden. Angekündigt wurde das Ganze unter dem etwas generischen Namen Dragon Age.

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cat costume_Roxanne ReadyEs gab sogar Katzen und Drachen. Nur keinen Katzendrachen. Schade.

Als Dragon Age: Origins (so der volle Titel) dann 2009 erschien, ging es irgendwie an mir vorüber. Ich hatte mit Begeisterung Baldur’s Gate gespielt und Weihnachten 2000 fast ausschließlich damit verbracht, mein Englisch mit Baldur’s Gate II aufzupolieren (da sage noch jemand, Spiele bilden nicht!). Ich hätte mich also eigentlich auf Dragon Age: Origins freuen sollen, aber ich hatte damals wichtigere Dinge in meinem Leben. Erst als in irgendeinem Steam-Sale vor ein, zwei Jahren die “Ultimate Edition” angeboten wurde, gab ich dem Spiel eine Chance.

Immerhin hatte Bioware mit Mass Effect gute Arbeit abgeliefert und die “dunkle” Fantasywelt, in der Dragon Age spielen sollte, klang ebenfalls interessant. The Witcher hatte gezeigt, dass auch Dark Fantasy ziemlich gut sein konnte und überhaupt bin ich bunter Feen und grüner Orks in der Fantasy etwas überdrüssig. Ausserdem: Dragon Age hatte ziemlich gute Bewertungen abgestaubt:

Mein Eindruck war leider ein anderer. Das Spiel hatte mich nach ein paar Stunden mehr geärgert als gefesselt. Darunter litt auch mein Schreibtisch und diverse Tee-Tassen, die meine Konfrontation mit Dragon Age leider nicht überlebt haben.

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cats on desk_elycefelizKatzen hätten Tassen und Tastatur gerettet! Für mehr süße Katzen bei frustrierenden Spielen!

Ich bekam Selbstzweifel wegen des Spiels. Es hatte doch alles, was ich mögen müsste, dachte ich mir. Eine coole Story, interessante Charaktere, eine Welt voller Geschichte und Geschichten, “erwachsene” Themen… bis auf ein bekanntes Rollenspielsystem war alles dabei. Warum mochte ich dieses Spiel nicht, obwohl es von aller Welt bejubelt wurde? War ich einfach zu schlecht, verdammt nochmal?

Zum Glück habe ich dann die Reviews zu Dragon Age gelesen. Und war beruhigt: Fast alle Tests bemängelten bestimmte Aspekte des Spiels, fast jeder Test ein unterschiedliches. Zusammengenommen bilden diese Kritikpunkte relativ gut die Aspekte des Spiels ab, die mich nerven und zur Weißglut gebracht haben.

Fangen wir mit der Welt an. Wie gesagt wurde Dragon Age: Origins als “erwachsenes” Fantasy-Rollenspiel angekündigt und sollte so der bunten Fantasy-Disneyland-Welt der gewohnten Settings Paroli bieten. Zweifellos hat Dragon Age eine düstere Atmosphäre, aber für meinen Geschmack versucht es nicht genug, anders zu sein. So bleibt zum Beispiel der Rassismus der Menschen gegenüber Elfen aufgesetzt, die Menschen entschuldigen sich teilweise für ihre Vorurteile meiner Elfen-Schurkin gegenüber. Nie habe ich das Gefühl, dass die Herkunft meines Charakters eine wirkliche Rolle spielt. Die Zwerge sind vielleicht verschlossen, aber niemand begegnet mir in Orzammar mit ernsthaftem Misstrauen oder Feindseligkeit. Die “Dunkelheit” der Welt ist nicht konsequent genug geschrieben. Da helfen auch keine Blutspritzer auf den gewohnt übertrieben entworfenen Rüstungen.

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card box armor_drewpropsSo sehen die Rüstungen bei Dragon Age aus. Annäherungsweise.

Dann: die Kamera. Die hängt meist zu nah am Geschehen dran und mensch kann nie weit genug heraus zoomen, um einen ordentlichen Überblick über die angepriesenen “taktischen Kämpfe”, über Figuren und Feinde zu bekommen. So muss mensch umständlich von Charakter zu Charakter springen um ihnen Anweisungen zu geben. An dieser Problematik merkt mensch auch, dass Dragon Age: Origins in erster Linie für Konsolen entwickelt und im Nachhinein erst auf PC portiert wurde. Die taktischen Kämpfe werden dabei eher mit der Kamera ausgefochten als mit den Gegnern.

Während die Kamera “nur” nervt, verhagelt mir das Loot-System den Spaß. Ein wichtiger Teil des Rollenspiels, egal ob auf Papier, PC oder Playstation (und den anderen), ist die Ausrüstung, die im Idealfall mit der Stärke der Spielercharaktere skaliert, vielleicht sogar bestimmte Boni gewährt. Oder wenigstens zu einem guten Preis verkauft werden kann. Nichts davon ist in Dragon Age der Fall. Die meiste Ausrüstung, die mensch findet, ist relativ unnütz und bringt nicht viel Geld ein. Gute Ausrüstung muss mensch teuer kaufen, wobei die Betonung auf teuer liegt. Denn die magischen Sachen kosten meist mehr, als mensch scheinbar jemals bekommen wird, da das Spiel mit materiellen Belohnungen geizt. Und dann ist da noch dieser Rucksack: Die Itemanzahl ist beschränkt, mensch kann nicht beliebig viel einsammeln, sondern muss haushalten oder sich für teures Geld größere Rucksäcke kaufen. Das führt wieder dazu, dass nicht genug Geld da ist, um sich die dringend benötigte Ausrüstung zu kaufen. Hinzu kommt dann noch, dass nicht immer klar ist, ob die gefunden Ausrüstung stärker ist als die eigene. Ist Red Steel jetzt besser als Veridium? Und was ist Veridium überhaupt? Sowas wie Mithril? Oder heißt das Zwergenstahl?

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cat armour_Scotto BearKatzenrüstung. Aus dem besten, was die Zwergenschmiede hergeben!

Diese Aspekte werden nicht erklärt. Genauso wenig wie das Charaktersystem. Zwar versuchen einem die Tooltips Hinweise zu geben, aber so richtig weiß mensch nie, ob einem beispielsweise die erhöhte Stärke jetzt wirklich hilft. Macht es beispielsweise Sinn, mehr Punkte in Geschicklichkeit zu stecken? Oder ist der Anstieg so marginal, dass es reicht, es auf dem Ausgangswert zu lassen und lieber in Stärke oder Ausdauer zu investieren? Das Spiel versteckt seine harten Zahlen (Trefferwahrscheinlichkeit, Schaden, sogar Lebenspunkte) ziemlich gut und mensch muss auf gut Glück und Intuition seine Charaktere hochleveln. Ein Rollenspiel muss nicht unbedingt in eine Excel-Kalkulation ausarten, aber es sollte doch wenigstens nachvollziehbar sein, welche Folgen die eigenen Entscheidungen haben.

Das ist ja immerhin nicht ganz unwichtig, da ein Großteil des Spiels aus Kämpfen besteht. Und meine Fresse, diese Kämpfe. Ich habe ja noch nie so wirklich verstanden, warum bei klassischen RPGs wie “Baldur’s Gate” immer wieder geschrieben wurde, die Kämpfe seien “taktisch”. Denn letztlich lief es dort darauf hinaus, dass man ein wenig geschummelt hat (Stichwort: “Attack the darkness“) oder sich alle auf einen stürzten. Wenig anders gestaltet es sich auch bei Dragon Age. Die einzige Taktik besteht oft nur darin, den Gegner zu Tode zu lähmen. Da das auch die Gegner versuchen, entstehen ziemlich unfaire Situationen, in denen mensch den eigenen Charakteren kurz vor dem Tod den Befehl gibt, sich zu heilen, was diese dann aber nicht können, weil sie just zuvor gelähmt werden. Der Verlust einer Figur wirkt umso stärker, da nur vier Personen mit in die Gruppe genommen werden können. In solchen Fällen kann mensch eigentlich direkt wieder auf den Neu-laden-Knopf drücken. Diese Ohnmacht frustiert hochgradig und hat zu einer fiesen Delle in meinem Schreibtisch geführt.

Delle_Schreibtisch_kleinIch bin nicht unbedingt stolz darauf

Ich habe noch viel mehr Kritikpunkte, aber das sind zumindest meine drängendsten. Im Grunde ist es doppelt Schade, dass Dragon Age in diesen Bereichen (und in meinen Augen) so unzulänglich ist. Denn mit Mass Effect hat Bioware zuvor bewiesen, dass sie eine gutes Rollenspielsystem mit einer actionreichen Mechanik verknüpfen können. Ausserdem ist das Mass-Effect-Universum angenehm detailliert und unterscheidet sich in manchen Punkten vom gewohnten SF-Einerlei. Warum also muss Dragon Age: Origins da so aus der Bahn schlagen?

Trotz all der Mängel: Irgendwann will ich Dragon Age schlagen. Ich werde es durchspielen, auch wenn das heißt, dass ich mir einen neuen Schreibtisch kaufen muss. Denn ich gebe die Hoffnung trotz allem nicht auf, dass unter den Lagen frustrierendem Designs nicht doch noch ein kleiner, funkelnder Edelstein steckt. Allerdings ein sehr grober und ungeschliffener Edelstein. Wenn nicht, nun ja, dann hab ich immernoch die Enhanced Edition von Icewind Dale. Und einen dringenden Grund, meinen Schreibtisch zu ersetzen.