Ist der Blockbuster tot, frage ich mich manchmal in stiller Verzweiflung. Wann habt ihr das letzte Mal einen aufwendigen, hochwertig produzierten Film mit starken Charakteren gesehen? Wann ging es das letzte Mal nicht um CGI oder Explosionen? Zu selten sehen wir einen millionenschweren Film, der über das Visuelle hinausgeht; ein Umstand, der mich traurig stimmt. Denn was bringt uns all die Technik, wenn wir nicht wissen, sie bewusst einzusetzen. Nach dem Kinojahr 2012 hätten viele die obrigen Fragen mit Life of Pi beantwortet – eine der großen Ausnahmen, wenn es um visuell aufwendig gestaltete Filme geht. Auch 2013 hat eine solche Ausnahme: Gravity.

Wenn ich ehrlich bin, hat mich die Prämisse von Gravity nicht wirklich gereizt. Hätte ich den Film nicht rezensieren müssen, dann hätte ich ihn wahrscheinlich nicht einmal gesehen. Die Grundfragen des Films lassen sich dann auch schnell zusammenfassen: Was passiert wenn Menschen im All von dem Rest der Welt abgeschnitten werden? Versuchst du zu überleben oder gibst du dich der Situation hin? Wie der Trailer es uns verspricht, wird das Ganze in eindrucksvolle Bilder im Weltraum und wunderschöne Aufnahmen von der Erde eingebettet. Zwar wird Gravity auch nach dem Schauen niemals zu den Filmen gehören, die mich noch Jahre später begeistern werden, aber das ist eine Frage des persönlichen Geschmacks und hat rein gar nichts mit der Qualität dieses Werks zu tun. Denn ohne Unbehagen muss gesagt werden, dass es sich hier im wahrsten Sinne des Wortes um großes Kino handelt.

Das Weltall um des Weltalls Willen?

Von den opulenten und intensiven Aufnahmen darf man* sich aber nicht täuschen lassen. Auch wenn das All und der Umstand, dass unsere beiden Protagonist*inn*en Dr. Ryan Stone (Sandra Bullock) und Matt Kowalski (George Clooney) dort eine Katastrophe nach der anderen erleben, entscheidend für die Story sind,  handelt es sich bei diesem Film um eine Charakterstudie, in deren Zentrum Stone steht. Der Weltraum ist letztendlich austauschbar, der Überlebenskampf der Figuren nicht. Denn die Reaktion der Wissenschaftlerin, ihre Angst, Verzweiflung und ihr Mut sind es, die uns Alfonso Cuarón zeigen will.

Hätte man* diese existenzielle Fragen über den Menschen auch in einem anderen Kontext stellen können? Bestimmt. Zwar erscheint es zwischendurch fast schon frustrierend absurd, wieviel letztendlich im All schief läuft (und man* fragt sich, ob unsere Heldin nicht langsam genug durchgemacht hat), dennoch ist es nachvollziehbar, warum sich der Regisseur mit seinen Ko-Autoren für dieses Szenario entschieden hat. Denn wo sonst ist der Mensch so auf sich allein gestellt, wie in den unendlichen Weiten des Raums?

Via flickr by DonkeyHotey

weltraum

Um es mit Kowalskis Worten zu sagen: Ist es nicht wunderschön?

Kunst ist, was du draus machst

Der interessanteste Aspekt des Films bleibt, dass es ihm gelingt, eine intensive Charakterzeichnung mit opulenten Bildern zu verbinden. Ein bewusster emotionaler Einsatz von Musik, Geräuschen und Stille verbindet sich mit starke Schnitten und erinnerungswürdigen Kamerafahrten. Obwohl es gerade zu Beginn, als beide Protagonist*inn*en im Raum schweben, nur begrenzte Möglichkeiten gibt die Figuren in Szene zu setzten, gelingt es Cuarón problemlos Spannung und Schnelligkeit in den Film zu bringen. Gezielt wird zwischen Außenaufnahmen von den Astronaut*inn*en und Blicken aus ihren Helmen ins All gewechselt. Immer wieder spielt der Regisseur gerade mit diesen Außen- und Innenansichten der Hauptfigur und bringt uns damit die Emotionen Stones näher. Wenn sie sich hilflos im All dreht, drehen wir uns mit ihr und haben somit keine andere Wahl, als Teil dieser Erfahrung zu werden.

Doch getragen wird der Film zu großen Teilen von Sandra Bullock. Sie bringt Stone so intensiv auf die Leinwand, dass wir ohne Probleme mit ihr leiden, weinen und uns freuen können. Auch wenn Clooney eine gewisse Präsenz im Film hat, so ist diese verschwindend gering im Vergleich zu seiner Kollegin. Sie ist diejenige, die hier neue Fassetten zeigt, während Clooney zum hundertsten Mal den charmanten Rebellen ins Leben ruft. Bullock zeigt uns das Bild einer starken, aber gebrochenen Frau, die das große Trauma ihres Lebens – den Tod ihrer Tochter – noch nicht überwunden hat. Bedenkt man*, dass wir oft nur Ausschnitte ihres Gesichts sehen oder sogar nur ihre Stimme hören, wenn sie im Raumanzug ums Überleben kämpft, dann ist diese Leistung umso beeindruckender.

Zwischen Wahnsinn und Lebensnähe

Dennoch war es die Figur der Stone, die an mancher Stelle kritisiert wurde. Zwar bestreitet niemand die Qualität des Films, aber nicht selten wurde eingeworfen, dass eine so labile Frau niemals von der NASA ins Weltall geschickt werden würde. Diese Beobachtung ist in erster Linie ungenau. Zweitens ist es traurig, dass gerade eine weibliche Figur (wieder) so interpretiert wird. Denn auch wenn Stone eine traumatische Erfahrung hat, die ihren Überlebenswillen zunächst bremst, so erscheint sie zu keiner Zeit labil oder unfähig. Offensichtlich ist sie eine begnadete Wissenschaftlerin, die auf Grund ihrer Fähigkeiten Teil der Mission ist.

Als nach einer Explosion die Trümmer eines Satelliten Stone und ihre Kollegen treffen (der Auslöser der Katastrophe) ist ihre Reaktion in erster Linie menschlich. Wie jede*r andere empfindet sie Angst, in einem Szenario, dass niemand vorhersehen konnte. Bedenkt man* zusätzlich, dass Stone auf ihrer ersten Weltraummission ist, dann ist ihre Angst und ihre temporäre Hilflosigkeit ebenfalls eine verständliche Reaktion. Erst in vollkommener Isolation und kurz vor dem unvermeindlich erscheinenden Tod erfahren wir, was sie bisher zurückgehalten hat. Cuarón zeigt uns keinen labilen, sondern einen vom Leben gezeichneten Charakter, eine Frau, die im Moment der Gefahr sich selbst als größte Feindin gegenüber steht.

Via flickr by djtomdog

sb

Mit Angela Jolie die Frau für eine solche Rolle.

Während fast jeder tiefer angelegte männliche Charakter eine vergleichbare emotionale Narbe in sich trägt, ist es aber eine weibliche Figur, die das Label ‘verrückt’ oder ‘labil’ aufgestempelt bekommt. In fast jedem Film, der den Anspruch hat eine Charakterentwicklung zu zeigen, muss der*die Held*in sich selbst finden, seine eigenen Schwächen oder eine Trauma überwinden. Bezeichnen wir eine solche Figur, die männlich ist, als labil? Nein. Wird dem männlichen Protagonisten nicht explizit eine mentale Krankheit zugeschrieben, wird er als lebensnaher oder dramatischer, vielleicht auch dunkler, Charakter betitelt. Cuarón gibt uns in strukturell dunklen Zeit für Frauen im Kino (trotz einiger Ausnahmen) eine weibliche Figur, die genau diese Art der Wandlung vollzieht, die im Angesicht des Todes ihren Lebenswillen findet und geht damit einen kleinen Schritt weiter in die Richtung eines gleichberechtigten Kinos.

Der Retter des Mainstreamkinos?

Obwohl Cuarón das Weltraum-Szenario fast ein bisschen zu sehr ausreizt, gelingt es ihm, mit Gravity ein beeindruckendes Beispiel für hochwertiges Blockbusterkino vorzulegen. Mit seiner gelungenen Kombination aus visuellen Hinguckern, gezieltem Musikeinsatz und einem starken Schauspiel setzt der mexikanische Regisseur zur Ehrenrettung des großen Kinos an. Zusätzlich zeigt er uns, dass gute Bilder nicht zwingend eine schlechte Story mit sich bringen müssen. Ist der Blockbuster also tot, frage ich ein zweites Mal und kann beruhigt mit ‘Nein’ antworten. Leider zeigt das Jahr 2013 aber, dass er immer noch zu den bedrohten Arten gehört.