Die Neunziger. Damals war die Welt noch einigermaßen in Ordnung. Die Mauer war gefallen, die Sowjetunion hatte sich aufgelöst und die USA schienen die Guten zu sein – irgendwie auf ihre Art. Und mittendrin entstand dann auch noch diese elektronische Tanzmusik, welche mit bisher ungekannten Klängen und völlig nervigen Bässen unsere Ohren bezauberte. Zum Glück aber gab es einige halbwegs mutige Leute, welche diese Idylle nicht ganz geglaubt haben und ihre eigene Welte etwas in die Zukunft extrapolierten. Heraus kam das Genre Cyberpunk, mit William Gibson als seinem bekanntesten Vertreter (ja, ich weiß, es begann alles schon in den Achtzigern…). Und aus dem Cyberpunk entstand ein bemerkenswertes Pen&Paper-Rollenspiel, welches auf eine Mischung aus diesem neuen und einem alten Genre setzte: der Fantasy.

Bei besagten Rollenspielregelwerk handelt es sich um Shadowrun. Dort werden Cyberpunk-Themen wie die Matrix, Konzerne, Kybernetik, Hacking usw. verbunden mit typischen Fantasy-Elementen: Zwerge, Elfen, Orks und Trolle, dazu kommen noch Magie, Geister und ätherische Zwischenwelten. Eigentlich klingt das ja nach einem ziemlich spannenden Mix (auch wenn mensch es meiner Meinung nach bei Shadowrun ein bisschen mit der Magie übertrieben hat) und hervorragend geeignet für Videospiele. Umso verwunderlicher ist es, dass es bisher nur drei nennenswerte Shadowrun-Videospiele gab: Jeweils eins für den SNES und den Mega Drive, sowie eins für PC und Xbox 360. Ein weiteres Spiel im Shadowrun-Universum erschien exklusiv in Japan als CD-Addon für den Mega Drive und soll hiermit aufgrund seiner Obskurität keine wirkliche Rolle spielen.

segacd_injuIch weiß noch, wie ich versucht habe, meine Mutter zu überreden, dass sie mir das CD-Addon für den Mega Drive schenkt. War wohl besser so. By inju, via Flickr.com

Die älteste und gleichzeitig bekannteste Version ist wohl jene für den (das?) Super Nintendo. Erzählt wird die Geschichte von Jake Armitage, der eigentlich tot sein sollte, darüber hinaus an Amnesie leidet und nun herausfinden muss, warum er noch lebt und wer oder was ihn eigentlich umbringen sollte. Das Ganze verläuft ziemlich linear und mensch interagiert SNES-untypisch mit einer Art Mauszeiger, über welchen mensch übrigens auch seine Gegner angreift. Ingesamt etwas hakelig bietet das Spiel zumindest eine interessante Story, welche das Amnesie-Thema glücklicherweise auch ordentlich umsetzt.

Die meiner Meinung nach beste Umsetzung des Shadowrun-Themas hat der Mega Drive erfahren. Die Steuerung und das Design ist hier etwas direkter als bei der Version für Nintendos Konsole. Das Besondere (und für mich typische für ein Shadowrun-Spiel) war die große Freiheit: Es gab zwar eine Hauptstory, aber mensch war zu keiner Zeit gezwungen, ihr zu folgen (außer mensch wollte das Spiel auch mal abschließen). In bestimmten Locations gab es sogennante Mr. Johnsons, die euch mit Aufträgen, im Shadowrun-Dialekt „Runs“, versorgt haben. Diese waren zufallsgeneriert, liefen aber meist nach dem selben Muster ab und hatten ganz unterschiedliche Schwierigkeiten. Bei Runs gegen die Konzerne mussten meist Daten und Päckchen beschafft oder Mitarbeiter „abgeworben“ werden. Da kam es meistens auf klandestines Vorgehen an, bei Matrix-Runs hingegen brauchte mensch gute Fähigkeiten am sogenannten Cyberdeck (weil 1994 Laptops noch nicht so populär waren).

Den Vogel schoss Microsoft dann mit seiner Shadowrun-Interpretation ab. Ein Multiplayertitel mag im totalvernetzten Shadowrun-Universum noch Sinn machen, aber ein Team-Shooter? Aus der Ego-Perspektive? Warum musste dafür diese Lizenz herhalten? Was dachten sich die Entwickler*innen bei der Umsetzung? Über die Qualität des Spiel kann ich nichts sagen, aber ganz ehrlich: Es gibt keinen Grund dieses Spiel heutzutage zu spielen. Im Gegensatz zu den Konsolenvorgängern.

shadowrun dice_badcat13Ein Vorteil jeglicher Computerrollenspiele: Keine Würfel. Speziell weil das bei Shadowrun echt ausarten kann. By BadCat13, via Flickr.com

Tja, und das war’s leider auch mit der Geschichte der Shadowrun-Spiele. Sogar das deutsche Fantasy-Rollenspiel Urgestein Das Schwarze Auge hat es da zu mehr und rühmlicheren Inkarnationen gebracht. Wahrscheinlich wollten sich das Serien-Schöpfer Jordan Weisman und sein Team bei Harebrained Schemes nicht gefallen lassen und starteten deshalb vor über einem Jahr eine Kickstarter-Kampagne, um Shadowrun wieder auf die Bildschirme (zumindest PC-Bildschirme) der Welt zu holen. Ich war damals begeistert von der Vorstellung, endlich wieder in die stimmungsvolle Welt von Shadowrun abzutauchen, weshalb ich das Projekt mit 15 Nuyen Dollar unterstützt habe, was im Nachhinein bei einer Gesamtsumme von etwas über 1,8 Millionen US-Dollar lächerlich wenig ist. Wie dem auch sei, am 25. Juli war es soweit: Shadowrun Returns wurde zum Download via Webseite und Steam freigeschaltet. Shadowrun ist wieder zurück, aber auch zurecht?

Man muss dazu sagen, dass die Entwickler*innen bereits früh zu verstehen gegeben haben, dass sie in ihrem Verständnis weniger ein wirkliches Spiel programmieren, sondern viel eher einen Baukasten mit Starter-Anleitung. Folgerichtig ist das wichtigste Element bei Shadowrun Returns auch nicht das Spiel, sondern der Editor, der vorab an bestimmte Backer verteilt wurde. Ebenso folgerichtig ist die mitgelieferte Kampagne, „Dead Man’s Switch“ auch nur eine Story unter vielen, welche mensch mit Shadowrun Returns erleben soll. Das macht es umso schwerer, ein zumindest subjektiv gerechtes Urteil über das Spiel zu fällen, schließlich kann sein, das manch findige Modder*innen die Schwächen, welche ich im Spiel ausmache, in ihren Kampagnen ausmerzen können.

shadow run_alexander essAuch eine Form des, ähm, Schattenlaufs. By alexander.ess, via Flickr.com

Zunächst aber zu offensichtlicheren Dingen: Die Grafik ist nicht unbedingt auf höchstem Niveau. Die Hintergründe sind 2D, lediglich die Spielfiguren sind in polygonarmen 3D gehalten. Dafür sind die Figuren aber gut voneinander unterscheidbar und die gemalten Hintergründe und Gegenstände sehen sehr hübsch und stimmungsvoll aus. Mensch merkt allerdings, dass die Grafik eher, wie auch von Seiten der Entwickler*innen angekündigt, für das „klassische“ Shadowrun der 2050er Jahre geeignet ist, weniger für den modernisierten 2070er Hintergrund mit seiner allgegenwärtigen Augmented Realitiy und dergleichen. Für Laien heißt das: weniger Hologramme, mehr Kabel und Neonlicht. Aufgrund des verhältnismäßig geringen Budgets und der doch recht kurzen Entwicklungszeit kann ich die angestaubte Grafik allerdings gut verschmerzen.

Das Spieldesign hält sich eng an die Pen&Paper-Vorlage. Mit Karmapunkten kann mensch sich seinen Charakter selbst zusammenbauen, indem er die Punkte in sechs Grundwerte (Body, Strenght, Quickness, Intelligence, Willpower, Charisma) steckt, welche wiederum verschiedene Untergruppen (wie Feuerwaffen, Nahkampfwaffen, Hackerfähigkeiten, Magie etc.) besitzen. Ein klares Levelsystem gibt es somit nicht, der Kauf von Werten kann quasi jederzeit erfolgen. Wie in Computerrollenspielen leider üblich, fallen dabei die rollenspielerischen Elemente leider etwas unter den Tisch und viele Talente konzentrieren sich auf ihre Auswirkungen im Kampf. So nutzt einem Charisma nur wenig, wenn mensch nicht gleichzeitig einen geisterbeschwörenden Schamanen oder eine Schamanin spielt. Und das Spiel könnte ein paar mehr Erläuterungen geben, welche Änderungen sich wie auswirken. Denn momentan sollte man das Regelwerk der Papiervorlage zumindest in Grundzügen kennen, um eine Vorstellung vom eigenen Spielcharakter entwickeln zu können. Schließlich kennt nicht jeder wichtige Spielbegriffe wie Decking oder Rigging.

serious hacking_theeferWenn die Leute damals gewusst hätten, dass die Zukunft tatsächlich so aussieht. By theefer, via Flickr.com

Die Ausrüstungs- und Upgrademöglichkeiten eures Hauptcharakters sind auch nicht unbedingt vielfältig. So habt ihr in Bezug auf Cyberware zumindest in der Hauptkampagne oft nur die Möglichkeit zwischen einer Basis- und einer Fortgeschrittenenversion. So verleihen euch die Basis-Cyberarme mehr Lebenspunkte, die Alpha-Cyberarme darüberhinaus noch einen Bonus auf eure Stärke. Die Waffen und Outfits müssen alle gekauft werden, klassisches Loot gibt es kaum. Outfits verleihen euch unterschiedliche Boni auf Werte und eure Rüstung, Waffen unterscheiden sich hauptsächlich im austeilbaren Schaden. Groß mit Schalldämpfer oder Smartlinks (womit ihr die Waffe direkt in euer Hirn schalten könnt… Cyberpunk!) könnt ihr die Waffen allerdings nicht ausstatten.

Rennt mensch normalerweise auf den Karten in einer isometrischen Sicht in Echtzeit herum, schaltet das Spiel im Falle eines Kampfes in den Rundenmodus. Der spielt sich aber in der gleichen Perspektive ab und ein bisschen wie das neue XCOM. Eure Charaktere haben (zu Beginn), zwei Aktionspunkte und können hinter Möbeln oder anderen Hindernissen in Deckung gehen. Das heisst, ihr könnt enweder laufen und angreifen, zweimal angreifen oder extra weit laufen. Da sich die Umgebung leider nicht drehen lässt, wird das Steuern eures Runnerteams bisweilen etwas hakelig, speziell wenn Wände oder Gegenstände die Sicht auf den in quadratische Raster unterteilten Untergrund verdecken. Zudem würde ich jeder und jedem raten, bei den Optionen den „double click“ zu aktivieren, weil mensch sich sonst sehr schnell verklicken kann.

cat pc_@jyonnnnWas mensch in den Neunziger nicht vorraussah: Die Begeisterung des Internet mit Katzen. Und vice versa. By @Jyonnnn , via Flickr.com

Hauptsächlich wird das Spiel durch die Text- und Dialogboxen voran getrieben. Die einzelnen Textoptionen sind dabei immer sicht- aber nicht immer anwählbar. Fehlen beispielsweise bestimmte Talente, so bleiben diese Boxen ausgegraut. Meist scheint dies aber kein Problem zu sein, da oft diese Sonderaktionen oft nur eine Verkürzung des eigentlichen Dialogs zur Folge haben. Zumindest scheint dies in der Hauptkampagne der Fall zu sein. Insofern stellt sich damit die Frage, wie nützlich Eigenschaften wie Charisma sind, wenn sie keinen wirklichen spielerischen Zweck erfüllen. Ein nerviges Detail: Während die Textboxen über den ansprechbaren Personen ständig zu sehen sind, verschwinden die Marker für Interaktionen auf der Karte nach einiger Zeit wieder und nur ein rumfuchteln mit dem Mauszeiger aktiviert diese wieder.

Aber die größte Schwäche des Spiels ist meiner Meinung nach seine Linearität. Die Karten sind klein, höchst linear und oft nicht wieder zu betreten. Das macht Nebenquest ziemlich rar und obendrein auch schnell gelöst, denn zusätzliches Geld und Karma lässt sich meist auf derselben Karte abstauben. Echte „Runs“ gibt es auch nur wenige. Die einzige wirkliche Wahlmöglichkeit, die sich im Laufe der Hauptkampagne auftat, war die Wahl zwischen einem Run gegen einen Konzern, um Geld zu bekommen, oder einen anderen Run, um die Story weiterzuführen. Das führt dazu, dass der Spielablauf ganz schnell schematisch abläuft und mensch letztlich immer wieder dieselben Dinge tut. Da hätten größere, abwechslungsreichere Karten mit mehr Interaktionsmöglichkeiten dem Spiel wirklich gut getan. In diesem Punkt, dem Umfang der schlauchartigen Karten sowie der Linearität des Spielablaufs, war ich tatsächlich enttäuscht.

disappointed_heimlich ehrlich chinaskiUnd ich nur so: “Och nö…” By Heimlich Ehrlich Chinaski, via Flickr.com

Es ist in gewisser Weise ironisch, das Shadowrunner*innen oft diejenigen sind, die sich, bewusst oder unbewusst, gegen die Arbeit als Konzernsklavin oder -sklave entschieden haben, um sich ihre Freiheit zu bewahren. Das Spiel kann diese Freiheit, zumindest in der Hauptkampagne, an kaum einer Stelle umsetzen. Es ist natürlich denkbar, dass Modder*innen und Editor*inn*en hervorragende Kampagnen entwerfen, welche diese Kritikpunkte zumindest ansatzweise ausmerzen können. Aber es kann nicht Sinn einer Kickstarterkampagne sein, am Ende nicht ein gutes Spiel zu haben, sondern nur die Möglichkeit eines guten Spiels. Denn: Ein wirklich gutes und empfehlenswertes Spiel ist Shadowrun Returns nicht. Es hakt an manchen Ecken und es geizt mit Rückmeldungen zum Spielablauf. Es sollten sich aber alle, die jetzt Lust auf den Shadowrun-Hintergrund bekommen haben oder ihn schon kennen, sich wenigstens ein Let’s Play vom Spiel anschauen und selbst entscheiden. Die Chance hat das Spiel auf jeden Fall verdient.

Trotz aller Kritik an Shadowrun Returns bin ich froh, dass es dieses Spiel gibt. Nicht nur, weil ich den Hintergrund von Shadowrun mag, da dieser eine angenehme Abwechslung zum Fantasyeinerlei der meisten Rollenspiele bildet. Es freut mich auch, weil es ein Kickstarterprojekt ist, welches es zur Veröffentlichung geschafft hat und somit beweist, dass Crowdfunding im Videospielebereich trotz diverser Fehlkalkulationen und Verschiebungen tatsächlich funktionieren kann.