Humor ist so eine Sache. Ich glaube, bei keinem anderem Thema ist es so schwierig über politische Themen zu sprechen, wie bei diesem wichtigen Teil unserer Kommunikation. Denn seien wir ehrlich, Humor funktioniert fast immer über Klischees und von da ist es leider oft nicht weit bis zum Reproduzieren von Stereotypen. Natürlich kann mensch damit auch Schubladendenken in Frage stellen und kritisieren, aber leider geschieht dies meistens gerade nicht. Stattdessen grenzt mensch sich von anderen Gruppen ab und zieht das ihm*ihr Fremde durch den Kakao.

Nun lässt sich Humor schlecht verbieten – und ganz ehrlich, wer will das denn auch? Aber trotzdem sollten sich manche Menschen vor Augen führen, dass diese Facette unseres Seins kein Freischein ist Dinge mit Füße zu treten.

Besonders herausfordernd ist die ganze Sache aber, wenn mensch Kritik an humorvollen Dinge – egal ob Sketch, Film oder Artikel – übt, denn in der Mehrzahl folgt die Reaktion: Tja, du verstehst halt keinen Spaß! Wenn ein solcher Mensch auch noch feministisch ist, dann variiert dieser Satz auch schnell mal zu: Boa, halt doch deine Klappe du doofe*r Kampffeminist*in. Nichtsdestotrotz setze ich mich jetzt in dieses Minenfeld, denn was ich letzten Donnerstag in der Zeit gelesen habe, löste in mir alles zwischen Brechreiz und dem Bedürfnis Dinge zu zerschlagen aus.

by Lig Ynnek via flickr

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Dieses Bild beschreibt sehr gut meine Gefühlslage beim Lesen des Zeit-Artikels.

Die Wochenzeitung widmet sich dem seit #aufschrei wieder öfter in den ‚seriösen‘ Medien diskutierten Geschlechterthema (bei dem sich auch andere Journalist*innen in letzter Zeit nicht mit Ruhm bekleckert haben) mit dem Titel Schlecht, schlechter, Geschlecht und der folgenden Ankündigung auf der Titelseite der Druckausgabe:

Was macht Männer zu Männern und Frauen zu Frauen? Die Erziehung sagt die Genderforschung. Harald Martenstein findet: Das ist Unsinn! Eine Streitschrift

Das einzig sinnvolle, was dieser Artikel tut, ist, dass er uns kompakt auf sechs Seiten zeigt, was alles in der Berichterstattung Deutschlands schief läuft, wenn es um Feminismus oder die Geschlechterforschung geht. Und ja, das sind beides getrennte Themen, die sich zwar tangieren, aber trotzdem nicht in einen Topf gehören, aber ich will nicht zu viel vorne wegnehmen.

Der Artikel strotzt nur so vor negativen feministischen Stereotypen wie dem der radikalen Kampffeministin oder der notorischen Männerhasserin, auch wenn diese – clevere Weise – nicht explizit benannt werden. Durchweg werden Ergebnisse der Genderforschung marginalisiert und ins Lächerliche gezogen (in dem sie z.B. als Antiwissenschaft bezeichnet wird) und die ‚harten‘ Naturwissenschaften als richtige Forschung überhöht.

Ohne Frage schreibt Harald Martenstein gute Kolumnen, die unterhaltsam sind und schöne Formulierungen haben, aber dieser Tiefpunkt der deutschen Medienkultur über Geschlechterthematiken ist meines Erachtens einfach nur ein Beispiel für schlechten Journalismus. Persönliche Meinung vermischt sich mit subjektiver und einseitiger Berichterstattung, die im Gewand des humorvollen Schreibens daher kommt. Und auch wenn es sicherlich eine Reaktion wie die meine ist, die provoziert werden soll, so können bestimmte Aussagen so einfach nicht im Raum stehen bleiben.

Zentrales Thema ist der Konflikt zwischen dem Argument der ‚Sozialen Konstruktion von Geschlecht‘ und den Forschungsergebnissen der Biologie, die uns doch ganz eindeutig zeigen, dass Männer und Frauen eben unterschiedlich sind. Das ist fraglos ein hochinteressantes Thema, da es denn Grundkonflikt zwischen theoretischen Geistes- und Sozialwissenschaften (wie Philosophie oder Soziologie) und den ‚harten‘ Naturwissenschaften (Biologie) an einem konkreten Beispiel illustriert. Und Martenstein hat Recht, wenn die Ergebnisse dieser Forschungsrichtungen nicht immer auf den ersten Blick übereinstimmen. Während er aber die Ergebnisse der Naturwissenschaften relativ objektiv auf einer Seite aufzählt und dabei nicht weniger als sieben verschiedene Studien erwähnt (nur auf dieser Seite, im späteren Verlauf bringt er noch weitere), haben die Ergebnisse der „Genderfrauen“ (zwar verweist er am Anfang darauf, dass es hauptsächlich Frauen sind, nichtsdestotrotz werden Männer, die zu diesem Thema forschen, weitestgehend ignoriert) einen deutlich geringeren Anteil im Text, werden zum Teil nur angeschnitten und außerdem ‚kontextualisiert‘. Das heißt, wenn sie überhaupt Erwähnung finden, dann wird zu ihnen auch immer noch ein Schwung weitere, ‚nützliche‘ Informationen geliefert.

So wird im Zusammenhang mit der Genderforschung an der Charité in Berlin auf ein Experiment aus den 60ern verwiesen, das einen grausamen Eingriff in das Leben eines kleinen Jungen beinhaltete (und sicherlich nicht die aktuelle Forschung wiederspiegelt). Oder Martenstein stellt uns eine Wissenschaftlerin (Hannelore Faulstich-Wieland) und einen ihrer Forschungsschwerpunkte vor ohne konkret darauf einzugehen, wie sie zu bestimmten Erkenntnissen gekommen ist oder was sie genau für Ergebnisse hervorgebracht hat. Stattdessen werden Mythen zu Jungenbenachteiligung reproduziert und es wird vage auf den Ansatz der ‚sozialen Konstruktion‘ verwiesen. Demgegenüber erfahren wir bei den bereits erwähnten ‚harten‘ Wissenschaften‘, wie die Größe der untersuchten Gruppe oder Versuchsabläufe aussehen.

by Uppity Rib via flickr

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Ach ja, die guten alten Zeiten als noch keine bösen Feminist*innen alle Illusionen zerstört haben. (/irony off)

Besonders dreist ist es aber zu behaupten, dass es keine Gegenstudien gegen die erwähnten biologistischen Untersuchungen, z.B. über die Wirkung von Testosteron oder räumliches Vorstellungsvermögen, gibt. Das ist schlicht und einfach falsch! Sowohl in Deutschland, als auch in den USA und anderen Ländern gibt es Biolog*innen und andere Wissenschaftler*innen, die genau diese Untersuchungen in Frage stellen und neue Forschungen gemacht haben. Eine der neuesten Publikationen sind z.B. Delusions of Gender oder Geschlecht. Aber auch in der Vergangenheit bis zurück in die 80er haben sich Frauen* und Männer* mit der Frage des biologischen Geschlechts auseinander gesetzt – keine Geisteswissenschaftler*innen oder Soziolog*innen, sondern Forschende der Biologie!

Beispiele dieser Natur finden sich in allen Abschnitten dieses Artikels. Unterfüttert wird das Ganze von Zitaten vorgestellter Genderwissenschaftlerinnen, die das Bild der bis in die Lächerlichkeit übertriebenen radikalen Feministinnen ins Gedächtnis rufen. Ich bin bekennende Feministin und stimme nicht damit überein, dass ein Kirchturm zu phallisch und damit männlich dominiert ist. Viele Wissenschaftler*innen und politisch aktive Feminist*innen sehen das genauso. Das hat die Ursache, dass nicht alle Forschende der Gender Studies und alle politischen Aktivist*innen einer Meinung sind, weil – oh Wunder – es sich nicht um eine homogene Gruppe handelt. Wenn mensch vier Historiker*innen nach dem besten methodischen Forschungskonzept für die Geschichte fragt, wird mensch fünf verschiedene Antworten bekommen. Genauso unterscheiden sich auch Studieninterpretationen bei Naturwissenschaften. Denn es sind MENSCHEN, die Forschung betreiben, die Studien konzipieren und die jeden Tag von Geschlechterklischees umgeben sind! Was an dieser Stelle bei Martenstein geschieht, ist schlicht und einfach Gleichmacherei.

Wo Polemik und Gleichmacherei herrschen, braucht es nur noch den Männerhass um einen Wissenschaftszweig durch den Dreck zu ziehen. Nach diesem Prinzip wird behauptet, dass „Genderforscherinnen“ ‚männlich‘ durchweg negativ verwenden, was ebenfalls nur zum Teil stimmt und bestimmt nicht auf jede*n Forschende*n zutrifft. Die Tücke liegt im Detail und das Detail wird hier wie so oft verschleiert. Denn wenn, dann geht es um Dinge wie männliche Privilegien oder den männlichen Habitus, der allen Geschlechtern schadet, weil er das Andere, das nicht männlich-heterosexuelle als nicht normal abstuft.

Die größte Nivellierung geschieht aber, indem Gleichstellungsbeauftragte mit Geschlechterforschenden in einen Topf geworfen werden. Natürlich beziehen sich diese beiden Felder inhaltlich auf einander, aber das eine ist immer noch ein Wissenschaft und das andere eine Stelle in einer Behörde oder sozialen Einrichtung. Es gibt einen signifikanten Unterschied zwischen Wissenschaft und Politik auch wenn diese sich oft beeinflussen. Genauso wie ein*e Arzt/Ärztin nicht mit einem*r Forschenden in einem medizinischen Labor gleichgesetzt werden kann.

Warum müssen sich Forschende der Gender Studies immer für ihren wissenschaftlichen Schwerpunkt rechtfertigen? Warum wird von einer*m Geschlechterwissenschaftler*in erwartet, dass er*sie alles weiß, dass er*sie sich in allen Disziplinen auskennt, während ein*e Soziolog*in sich nicht verteidigen muss, wenn er*sie nichts über Kunstgeschichte weiß. Und warum muss ich im Jahr 2013 diesen Artikel schreiben, weil die Zeit – eine der größten Zeitungen Deutschlands – anscheinend nicht fähig ist kritische Recherchearbeit zu leisten. Getarnt als humorvoller Artikel wird die Geschlechterforschung mit Füßen getreten, anstatt das zu liefern, was wirklich interessant wäre: Ein spannenden und kritischen Artikel, der zeigt, dass Wissenschaft immer im Wandel und Objektivität leider oft nur eine Idee ist. Wann werden Autor*innen von Artikeln wie diesem lernen, dass keine Wissenschaft besser als die andere ist und Forschung immer in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext gesehen werden muss?