Die menschliche Evolution ist auch heute noch Gegenstand von Kontroversen, abgesehen natürlich von so lächerlichen Debatten wie Kreationismus und dergleichen. Es geht viel mehr um die interessante Frage, inwiefern wir Menschen eigentlich genetisch für das Leben, dass wir heutzutage führen, verstanden natürlich im Lebenskontext der modernen, westlich orientierten Dienstleistungs- und Überflussgesellschaften, geeignet sind. Denn die paar hunderttausend Jahre, die wir Menschen der Gattung Homo Sapiens auf dem Kerbholz einritzen konnten, haben nicht ausgereicht, um uns körperlich und psychisch auf ein Leben als Sachbearbeiter*in im Katasteramt der Stadt Trier vorzubereiten. Nichts gegen Sachbearbeiter*innen, aber ich stelle mir so einen Job nicht unbedingt so spannend vor wie die Treibjagd auf Mammuts, wenn auch mit Sicherheit weniger gefährlich und mit ausgewogener Ernährung (ausser jemand weiß natürlich, wie gut oder schlecht die Kantine des Trierer Katasteramtes ist). Fakt ist jedenfalls: Genetisch sind wir Menschen weitgehend noch Steinzeitfrauen und -männer, mit denselben geistigen und physischen Anforderungen wie noch in der letzten Eiszeit, allerdings mit weniger Haaren und besseren Zähnen. Unsere Körper sind für lange Fußmärsche und körperlich anstrengende Arbeit ausgelegt, nicht für das dumpfe Herumhacken auf Computertastaturen oder ergebnislose Diskussionen um Kreationismus.

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Obwohl ich es schon cool gefunden hätte, eines dieser Wesen in Realität gesehen haben zu können. Via Photomatt28

Und unser Hirn ist eigentlich auf ein Leben in einer Familiensippe gepohlt, nicht auf die romantische Existenz der Einzelkämpferin für das Gute im Menschen. Das schlägt sich natürlich auch nieder in der Art und Weise, wie wir heute zusammenleben. Denn während uns Vorvorvorvorvorvorfahren noch mit drei oder mehr Generationen und Familienlinien unter einem Dach oder zumindest in einem Dorf gewohnt haben, und noch im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert es üblich war, das man mit mehreren Menschen in einem Bett schläft, so ist die Idee von Privatsphäre und „dem eigenen Zimmer“ ja eigentlich eine Erfindung des bürgerlichen Zeitalters. Denn Privatsphäre gab es eigentlich nur mit der Magd oder dem Knecht auf dem Heuboden oder im Gebüsch, weniger daheim und in der Stadt, mit ihren bedrängten Lebensverhältnissen und den dünnen Wänden, schonmal gar nicht. Verständlich also, dass mit steigendem Wohlstand nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa und Nordamerika das Bedürfnis nach einem „eigenen Bereich“, versinnbildlicht im Ausspruch „My Home is my Castle“, so hoch wurde. Privatsphäre ist für uns somit sozusagen zu einem selbstverständlichen Luxus geworden. Aber was ist nun, wenn dieser Luxus nur in Form von zwölf Quadratmetern mit Fenster und Tür zu haben ist?

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Wahlweise auch mit Klimaanlage, wie hier in Macau. Via Mardruck

Als Student*in gerät mensch fast zwangsweise in die Situation, in einer Wohngemeinschaft zu leben, wenn auch viele sich danach wieder für ein Einzelzimmer mit kleinem Balkon und Wohnklo entscheiden. Denn die finanziellen Möglichkeiten für Studierende sind fast durchweg eher begrenzt und so entschließen sich natürlich viele, ihrer romantischen Seele den Vorzug zu geben, um als „armer Studierender“ in einer Wohngemeinschaft zu leben. Dabei bilden WG’s einen seltsamen Zwitter zwischen der nuklearen Familie des bürgerlichen Elternhauses und dem mittelalterlichen Heerhaufen. Während man mit einer begrenzten Zahl an Menschen beiderlei Geschlechts unter einem Dach lebt (nukleare Familie), so steht man doch allerhöchstens in einer freundschaftlichen – aber nicht verwandtschaftlichen! – Beziehung zu seinen Mitbewohner*innen (Heerhaufen). Das führt dazu, dass mensch ganz offensichtlich vor Augen geführt bekommt, warum der Homo Sapiens nicht in der Lage ist, mit anderen Menschen zusammenzuleben: Wir sind schlicht zu faul.

Wer hat in einer WG gelebt und sich nicht über einen vollgestopften Abfluss geärgert? Oder die ungewaschenen Töpfe vom „Ich hab ein paar Freunde zum Kochen eingeladen, ist doch okay, oder?“, in denen die Käsesauce geruchsintensiv noch ein bisschen nachreift? Oder die mehr oder weniger rhythmischen Geräusche korpulierender Pärchen von nebenan? Dadurch, dass wir quasi mit Fremden zusammenwohnen, können wir Menschen sehr gut unserer egoistischen und daher faulen Seite das Feld überlassen, auf dass sich das Gewissen in Ruhe der Lieblingsserie widmen kann. Würden wir mit der Familie noch zusammenwohnen, gäbe es eine mehr oder weniger klare Ordnung und bestimmte Regeln, die wir als Kind erlebt haben, und an welche wir uns halten (müssen). Sonst treten ja Sanktionen in Kraft, sei es Schimpfe von Mutti, Haue von Papi oder kein Taschengeld von den Großeltern. In einer WG gibt es kaum Sanktionsmöglichkeiten gegen egoistische (faule, vergessliche, es kommt auf’s selbe raus: die Töpfe bleiben ungespült…) Mitbewohner*innen. Soll man eine „Putzkasse“ einrichten, wo doch alle kein Geld haben? Einen „Putzpranger“, wo doch der Haussegen eh schief hängt und alle deutlich sehen, was der Rest schon lange geahnt hat (Alois bringt immer den Müll runter, putzt aber den Flur nicht, die Sau!)? Die Lösung dafür wäre, für jede Kleinigkeit eine Regel oder Übereinkunft zu treffen, denn was für die eine selbstverständlich ist, hat der andere noch nicht gemacht: Ja, wir spülen die Töpfe nach dem Essen, Ja, zum Badsaubermachen gehört auch die orangenen Streifen bei den Fliesen zu entferenen, Nein, Haare im Abfluss sind nie okay, UND WENN EINER VON EUCH PENNERN NOCHMAL MEINEN TEUREN SCHNAPS ANRÜHRT BRINGE ICH EUCH UM!

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MIT EINER ROSTIGEN KETTENSÄGE! Via Martin Whitmore

Aber da dies zwangsweise sehr anstrengend für alle ist (und manch eine*r sich durch die ganzen Regeln irgendwie eingeschränkt fühlt), bleibt oft nichts anderes übrig, als ein paar Grundregeln festzulegen, auf ein gewisses Maß an Anstand zu hoffen und den Restärger herunterzuschlucken. Manchmal hilft natürlich auch offene Kommunikation: „Also, ich glaube uns allen ist das Thema etwas unangenehm, aber könntet ihr vielleicht etwas weniger laut stöhnen, beim nächsten Mal? Ich bin letzten um halb vier Uhr nachts aufgewacht, das war nicht so schön.“ Denn letztlich: wenn mensch sich nicht beschwert und nur passiv-aggressiv gegen Mülltonnen tritt, ändert sich auch nichts. Ein Trost bleibt aber doch: Angesichts der bisherigen Geschichte der menschlichen Lebensumstände kann mensch feststellen, dass, egal ob Steinzeitjäger*innen oder mittelalterlicher Heerhaufen, geklappt hat’s irgendwie immer.

P.S.: Mit Gruß an meine WG: Ich hab euch lieb!