Morgen ist es soweit, die Preisverleihungssaison erreicht mit den Academy Awards ihren vorläufigen Höhepunkt. Wenn ich auf die letzten drei Wochen Filmfieber zurückblicke, dann fällt mir vor allem auf, dass ich zufälliger Weise genau die richtige Reihenfolge für das Anschauenden der Filme gewählt habe. Denn nachdem ich mit Bildspektakeln wie Django Unchained eingestiegen bin, habe ich mich langsam aber sicher immer mehr auf die anspruchsvolleren Werke des vergangenen Jahres hingearbeitet. Mit Beasts of the Southern Wild waren wir endgültig in der Kategorie Drama und damit bei künstlerisch anspruchsvollen Produktionen angekommen. Aber seien wir ehrlich, keine*r meistert diese Kategorie (seit Jahrzehnten) so sehr wie der Österreicher Micheal Haneke.
Sein neustes Werk Liebe zeigt dabei nicht nur ein unglaubliches Gespür für Bilder und Emotionen, sondern präsentiert alle Charakteristika deutschsprachiger Filmkunst. Das liegt ganz klar daran, dass sich Haneke nicht scheut große und komplizierte Themen in den Blick zu nehmen. Kammerspielartig wirft der Film elementare Fragen über Liebe und das Alter auf und schreckt auch nicht vor sensiblen Thematiken wie Sterbehilfe zurück. Angenehm ist, dass der Regisseur und Drehbuchautor weiterhin seinem Stil treu bleibt. So lässt sich beispielsweise Musik (wie schon beim Das Weiße Band) fast gar nicht finden und erklingt nur dann, wenn sie in der Geschichte selbst zum Einsatz kommt.
Ähnlich wie bei Beasts of the Southern Wild wirkt die erzählte Geschichte auf den ersten Blick sehr schlicht und kann in einem Satz zusammengefasst werden: Wir sehen ein altes Ehepaar (Anne und Georges), das mit der Krankheit der Ehefrau kämpft. Dabei ist Liebe nicht nur der ruhigste aller nominierten Filme, sondern hat auch den reduziertesten Cast. Dieser Umstand ermöglicht dem Zuschauenden sich voll und ganz auf die Emotionen und Abgründe der erzählten Geschichte einzulassen und gibt nicht nur dem Drehbuch, sondern auch den beiden Hauptdarsteller*innen den Raum zu glänzen.
Neben dem bewussten (Nicht-)Einsatz von Musik und der eindringlichen schauspielerischen Leistung von Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva sind es aber die Einstellungen selbst, die das Werk stark machen. Ohne Furcht zeigt uns der Film Menschlichkeit in all ihren Facetten, scheut nicht vor emotionalen Abgründen zurück und verliert sich nie in Oberflächlichkeit. Am beeindruckensten ist es zu sehen, wie es Haneke gelingt seine übliche filmerische Herangehensweise auf die in Liebe gezeigten emotionalen Themen zu transformieren. So hat er schon vor Das Weiße Band in Funny Games gezeigt, dass es ihm gelingt Gewalt in all ihrer Schrecklichkeit zu thematisieren. Der*die Zuschauende sieht nie die Gewalt selbst, sondern nur ihr Ergebnis und die emotionalen Spuren, die sie hinterlässt. In gleicher Art nährt er sich hier dem Thema Liebe. Obwohl Anne und Georges nur ganz selten zärtlichen körperlichen Kontakt haben, spürt der*die Zuschauende stetig die unerschöpflich wirkende Verbundenheit der Beiden. Doch so sehr wie die Liebe in den Augen der beiden zu sehen ist, so sehr wird uns mit Unbarmherzigkeit der zunehmende Verfall Annes und das Leid der beiden gezeigt. Wir sehen in Georges‘ Wille Anne bis zum Schluss zu pflegen, wie sehr Liebe Selbstaufopferung ist. Im selben Atemzug wird uns dann vorgeführt, dass das gleiche Gefühl den Ehemann langsam in die Verzweiflung treibt. Und das sind letztendlich die zentralen Fragen dieses Werks: Was bist du bereit für deine*n Liebste*n zu tun und aus welchen Gründen?
Haneke zeigt (wie andere deutschsprachige, aber auch europäische Filmemacher*innen), dass es sich auszahlt Einstellungen die Möglichkeit zum Wirken zu geben. Immer dann wenn mensch denkt, dass er*sie es nicht mehr aushält und das Leid Georges oder Annes in jeder Faser seines*ihres Körpers spürt, hält er noch eine Minute länger drauf. Der Mut diese langen, ruhigen Bilder zu zeigen zeichnet Liebe aus. Dabei gelingt es Haneke die Tiefen des Zuschauers zu erreichen. Der Film rührt zu Tränen ohne das der Akt des Weinens befreiend ist. Die Hoffnungslosigkeit, die sich im Film aufbaut, sitzt noch immer in meinen Knochen und ich habe lange nicht so eine anrührende und bedrückende Szene gesehen, wie die, in der Georges in der verzweifelten Suche nach Nähe eine gefangene Taube umarmt.
via flickr by Denis Defreyne
Wartet auf die Taube! Spätestens dann heult ihr so jämmerlich wie ich.
Liebe ist ein einmaliges Beispiel einfühlsamer und schonungsloser Filmkunst und hat seine Nominierungen in allen Kategorien mehr als verdient. Leider ist es aber in seiner Art ein zutiefst europäischer Film, der wahrscheinlich neben den amerikanischen Größen (Argo und Lincoln) untergehen wird. Haneke liefert nicht nur ein Drama, das mir nicht mehr aus dem Kopf gehen wird und dessen ausgelöste Emotionen ich noch in Monaten spüren werde, er zeigt auch, dass er in seinem hohen Alter noch wandlungsfähig ist. Egal, was morgen Abend passiert: Seht diesen Film! Denn das ist Kunst, wie sie sein sollte – visuelle schön, aufwühlend und bereichernd.
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