Was den Katholizismus angeht, bin ich etwas zwiegespalten. Zum einen ist es ganz ein einfach ein christlicher Glaube und mir damit einfach etwas zu fern, als dass ich es gut finden könnte. Allerdings halte ich dem Katholizismus zu Gute, dass er relativ klare Regeln und Verantwortlichkeiten aufweist, im Gegenzug beispielsweise zum Protestantismus (im weitesten Sinne, also alles was weder katholisch noch orthodox ist). Dort ist im Rahmen der BTO (biblisch-theologischen Grundordnung) quasi alles erlaubt, wenn es nur mit Jesus zu tun hat. Das beste Beispiel dafür ist die schier unübersichtliche Anzahl an Kirchen und Glaubensbekenntnissen in den Vereinigten Staaten, wo jede Straßenecke ihre eigene Bibelauslegung hat. Dies führt dazu, dass es protestantische Richtungen gibt, die noch absurder und dogmatischer in ihren Glaubensinhalten ausfallen, als die katholische Kirche es sich jemals zu träumen gewagt hatte, erst Recht unter dem ehemaligen Neo-Inquisitor Joe Ratze (a.k.a. „The Ratze“, Papst a. D.). Die Herren im Vatikan sind schließlich nicht auf die glorreiche Idee gekommen, die Evolutionstheorie von sich zu weisen und stattdessen auf „Intelligentes Design“ oder ähnlichen Blödsinn zu setzen.

Eine weiter Eigenart des Protestantismus ist seine latente Spaßfeindlichkeit, immerhin könnte in jedem Lachen auch das unabwendbare Schlittern in den Höllenschlund lauern! Besonders Preußen tat sich in seinem Misstrauen gegenüber jeglichem Frohsinn und Unordnung im Allgemeinen hervor. Dort witterte man ja hinter jedem Witz eine Verlotterung der Sitten, wenn nicht gar die so gefürchtete Wehrkraftzersetzung, und stürzte sich deshalb, in Ermangelung eines ordentlichen Krieges, während des Kaiserreiches (und auch nach dem viel zu unordentlichen Krieg in der Weimarer Republik) in den Kampf gegen „Schmutz und Schund“. Natürlich, die katholische Kirche ist auch nicht unbedingt für ihren Humor bekannt (speziell nicht in Bezug auf sich selbst), aber immerhin wissen die Leute, wie man mit einem reich geschmückten Kircheninnenraum Eindruck schindet. Und nicht zuletzt gibt es da ausschweifende Feste, die vor der Fastenzeit gefeiert werden, in denen jede*r dazu aufgefordert ist, mal richtig die Sau oder das Schwein rauszulassen, bevor der fleischlose Alltag der Fastenzeit Einzug in den Stuben der Katholiken hielt. Genau, es geht um Karneval.

Karneval hat mich traumatisiert. Aufgewachsen in direkter Nähe zu einer lokalen „Karnevalshochburg“, hieß es für viele meiner Mitschüler*innen an Altweiberdonnerstag (oder wie immer das dort genannt wird) nach Ende des Unterrichts, sich in den dortigen Straßenkarneval zu stürzen. Anscheinend weniger um Spaß zu haben und Freunde zu treffen, sondern viel eher, um sich am darauffolgenden Tag darüber auszutauschen, wieviel Alkohol man getrunken, wie oft und wo man sich erbrochen und mit welchen Frauen oder Herren so rumgeknutscht hat. Ich wollte mir das einmal näher anschauen und konnte, als ich dann in den Straßen dieser Kleinstadt durch ein Meer von Glasscherben watete und vereinzelte Menschen sah, die sich entweder durch verschiedene Körperöffnungen erleichterten oder betrunken in Hauseingängen herumlungerten, die allgemeine Begeisterung nicht wirklich nachvollziehen. Nur eins wurde mir klar: Alkohol gehört zum Karneval wie das Ausrufen von Worten wie „Helau“ oder „Alaaf“, die ausser für den inneren Zirkel der Eingeweihten jede Bedeutung verloren haben. Also fast wie „Frohes Neues“ zu Silvester.

Je länger ich Karneval beobachte, desto größer wird meine Abneigung. Für mich ist Karneval Spaßfaschismus, Fröhlichkeit auf Knopfdruck, Lachen im Gleichschritt und insgesamt alles, was für mich Humor und Lustigkeit nicht ist. Aber für viele Karnevalist*inn*en ist diese Feier vor der Fastnacht ein Höhepunkt des Jahres und (wahrscheinlich) ihres Lebens. Weil ich es wohl nie verstehen werde, will ich mich nicht zu sehr auf die „Fünfte Jahreszeit“ einschießen, sondern einen bestimmten Aspekt herausgreifen, der (hoffentlich) auch unter hartgesottenen Faschingsfans einige Kontroversen hervorruft: Das bereits oben angedeutete Verhältnis zum Alkohol.

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Wenn es um Alkohol geht, darf Captain Party nicht fehlen! Via corygrunk

In Trier gab es, nach den Auswüchsen des letzten Jahres, den Versuch, zumindest am Altweiberdonnerstag (nicht am Rosenmontag und an anderen Tagen, wohlgemerkt…) die Innenstadt alkoholfrei zu halten. Entsprechend wenig Leute erschienen dann bei der feierlichen Übergabe des Stadtschlüssels an den Trier Prinzen. Ganz wahrscheinlich lag dieses magere Feierergebnis an der Tatsache, dass viele Närinnen und Narren nicht ohne Alkohol feiern können und wollen. Worin besteht aber dann der Sinn einer großen Karnevalsfeier, wenn es den meisten Teilnehmer*innen nur ums Saufen geht? Mir ist die Diskussion um die regelmäßigen Alkoholexzesse nicht erst aus Trier bekannt, sondern bereits aus meiner Schulzeit, wo sich die Lokalpresse darüber echauffierte, dass Zwölfjährige im Stadtbrunnen beinahe ertrunken wären, weil sie nicht mehr klar denken konnten. Seit jeher dreht sich die Reflexion dieser Tatsachen aber nie um den Karneval als Fest selbst, auf das Verhältnis zwischen Narrentum und Alkoholgenuss. Immer wird, offen oder verdeckt, auf die Assi-Eltern gezeigt, welche ihre Kinder nicht ordentlich erziehen und ebenjene deshalb sich härtest die Kante geben. Dass der Karneval selbst die Leute zum kollektiven Alkoholrausch sozialisiert und niemand dies hinterfragt, das ist doch der eigentliche Skandal. Denn oft genug sind es die ach so gut erzogenen Mittel- und Oberschichtskinder, die derart über die Strenge schlagen. Deren soziales Netz ist nur enger geknüpft, so dass die ihren Rausch öfter daheim ausschlafen können als im Krankenhaus oder der Polizei.

Ich will keineswegs Abstinenz predigen. Im Gegenteil, Fastnacht/Fasching/Karneval ist wie viele Drogen eine Art kontrollierter Kontrollverlust, den wir Menschen wahrscheinlich brauchen, um nicht völlig durchzudrehen. Deswegen gehen Drogengebrauch und ausgelassene Feste auch weit in der menschliche Geschichte zurück (Bacchanalien, Saturnalien, Orgien, Mescalin bei den Indios, Wein und Bier in der Kirche, Pilze in Stammeskulturen usw.). Heutzutage haben wir aber so viele Möglichkeiten der Ablenkung, des Eskapismus, daher müssen wir uns nicht sklavisch an Feste halten, um unseren Frust oder unsere Freude wegzutrinken und zu feiern. Denn niemand, auch nicht die katholische Kirche, kann uns heute noch vorschreiben, wann, wie und wo wir fröhlich zu sein haben. Auch wenn archaische Gesetze wie das Tanzverbot dies versuchen.