Ich komme nicht umhin, seit dem Ende meines Studiums (und schon seit dem Anfang vom Ende) etwas am studentischen Leben zu vermissen. Es ist nicht die offensichtliche Freiheit der Lebensweise, es ist auch nicht die beständige Konfrontation mit neuen Inhalten und Denkweisen. Ich vermisse WG-Partys, auch wenn ich selbst darüber überrascht bin, das so mal zu sagen. WG-Partys waren und sind toll, weil man auf engem Raum (je enger desto besser) sehr schnell neue Menschen kennenlernt und vor allem in einer Stadt wie Trier immer auf mehr oder weniger bekannte Gesichter trifft, was dem ganzen ein familiäres Gefühl verleiht. Letzteres natürlich nur, wenn man nicht zu den Großstadtkindern gehört, die mit nahezu faschistischem Stoizismus an ihrem eigenen Ideal der Anonymität festhalten wollen und sich von ihren Bekannten offensichtlich eingeengt fühlen. Ein positiver Moment bei WG-Party ist immer das Abdriften in die unmöglichsten Diskussion, seien es nun ernste Themen wie die geopolitischen und -strategischen Auswirkungen der französischen Intervention in Mali oder engagierte Erörterungen über die wunderbar bekloppte Eigenschaft der deutschen Sprache, Wörter wie Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz (gibt’s wirklich) zu erschaffen. Um neben den sinnlos sinnvollen Diskussionen und dem schlechten Bier auch etwas zu knabbern zu haben, findet man auf Partys nahezu immer Kartoffelchips. Sie sind quasi das Grundnahrungsmittel einer Party-Gesellschaft (und einiger „sozial schwacher“ Jugendlicher).
The Breakfast of Champions! Via katapulsemusic
Die Beliebtheit der in Fett ausgebackenen Kartoffelscheiben stieg erst knapp neunzig Jahre nach ihrer Konzeption sprungartig an, als mensch herausfand, wie diese Dinger ordentlich industriell zu würzen sind. Die ersten beiden Geschmacksrichtungen waren dabei Käse und Zwiebel sowie Salz und Essig, welche nach leider nur wenig aufschlussreichen Recherchen meinerseits wohl noch immer die am meisten verkauften Geschmacksrichtungen darstellen. Allerdings gibt es dabei natürlich regionale Unterschiede. Während beispielsweise in Großbritannien die ursprünglichen Varianten äußerst beliebt sind, steht man in den USA auch auf Barbeque-Würze und in Deutschland würde ich wagen zu behaupten, dass am ehesten Paprika auf die Chips gestreut wird. Seit den 1950er Jahren erfreuen sich Kartoffelchips ungebrochener Beliebtheit und die verschiedenen Hersteller haben sich ihre Marktnische erobert und verteidigen diese meist sehr erfolgreich. Obwohl trotz der ach so hoch gelobten Vielfalt und des Wettbewerbs fast die gesamte weltweite Lebensmittelindustrie von genau zehn Unternehmen kontrolliert wird.
Die Gesetze des Marktes diktieren aber auch das ständige Streben nach Innovation und Fortschritt, was in vielen Bereichen sinnvoll ist. Nur im Bereich der Kartoffelchips hat dies zu Ereignisse geführt, welche einem an den Geschmacksrezeptoren sowohl der R&D-Abteilungen der Hersteller als auch der konsumierenden Masse zweifeln lassen.
„Schinken“, „Chakalaka“, „Currywurst“, „BiFi-Geschmack“ und nicht zuletzt „Pommes Rot-Weiß“ sind dort selbstzufrieden in den Regalen platziert und warten auf den irrigen Käufer oder die geistig beeinträchtigte Käuferin, um diese mit neuen Geschmackserlebnissen zu locken. Oh diese Sirenen der Lebensmittelindustrie, versprechen sie den unbedarften Fahrer*innen auf dem Meer der Konsumartikel die würzigsten Verheißungen, nur um sich dann beim ersten Bissen mit ihren chemischen Geschmacksstoffen und fragwürdigen Zusätzen auf die Zunge des oder der armen Käufer*in zu stürzen um einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen, auf dass der oder die so geschundene Proband*in nie wieder den Geschmack von ranzigem Fett und Pseudo-Ketchup vergessen möge! Welch teuflisches Unterfangen dieser Natternbrut an Lebensmittelingenieur*inn*en!
Aber im Ernst, was soll das? Warum muss man Kartoffelchips den Geschmack von Currywurst geben? Oder von BiFi (und damit riskieren, alle in der Nähe durch den eignen Mundgeruch zu verprellen)? Und wer hatte die bescheuerte Idee, Kartoffelchips nach Pommes Frites mit Ketchup und Mayo schmecken zu lassen, als könnte man einen Chip nicht einfach in diese süße Tomatensoße tunken? Schmeckt der Kartoffelchip nicht genug nach Kartoffel, dass man ihn mehr nach Pommes schmecken lassen muss? WARUM, FUNNY FRISCH? Was hat dich geritten? Und warum kaufen das Menschen? Können die nicht einfach zur nächsten Pommes-Bude gehen um ihre Gelüste zu stillen?
Belgien ist nie soweit weg. Verdammt, jetzt habe ich Hunger. Via mi_hi
Während ich hier aber derart lamentiere, geht der Wahnsinn weiter. Lay’s, ein großer us-amerikanischer Chips-Hersteller, verpasst seinen Chips den Geschmack von Hühnchen und Waffeln, Knoblauchbrot oder scharfer Thai-Soße. Und ein Blick auf die regionalenVariationen auf der englischen Wikipedia-Seite offenbart die Reichweite an Geschmacksrichtungen ausserhalb meines Einzugsgebietes. Wer hätte beispielsweise gedacht, dass die Kanadier*innen ihre Chips mit dem Geschmack von eingelegtem Gemüse bevorzugen?
Aber ich bin noch nicht überzeugt. Wer kauft denn bitte Chips mit BiFi-Geschmack mehr als einmal? Die meisten werden anhand der Zutatenliste und nicht zuletzt der Würzung die Nase rümpfen und beim nächsten mal wieder in heimischen Gefilden fischen. Ein Beweis dafür sind nicht zuletzt die WG-Partys. Bisher habe ich noch kaum jemanden darüber diskutieren hören, dass die Chips auf dieser Party aber besonders toll nach Kürbissuppe oder sowas schmecken. Dort gibt es meist die gute alte Paprika-Würze. Und die ist einfach unschlagbar.
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