Kunst, egal in welcher Form, soll zur Diskussion anregen. Müssen wir über sie nicht mehr sprechen, dann ist sie tot oder zumindest hat sie ihr Ziel verfehlt. Ist sie nur ästhetisch ansprechend, kann mensch zwar ihre Art und Weise bestaunen, sie sich ins Wohnzimmer hängen oder auf semicoolen Partys mit dem hauseigenen Beamer an die Wand werfen, aber sollte das alles sein? Sollte sie nicht etwas Neues probieren oder Altes kritisieren, eine*n berühren oder abstoßen?

Dieser Streit ist wahrscheinlich so alt, wie die Kunst selbst und im Endeffekt hat jede*r sein oder ihr eigenes Verständnis davon. Eines bleibt aber festzuhalten Cloud Atlas, der neue Film der Wachowski Geschwister und Tom Tykwers, lässt einen nicht schweigend aus dem Kino gehen, sondern regt zur Diskussion an. Nicht zwingend wegen der erzählten Geschichte und ihrer transportierten Botschaft, die im Vergleich zum Visuellen fast simpel daher kommt, sondern wegen ihres interessanten, wenn auch nicht immer gelungenen Ansatzes eben diese zu erzählen.

via dannykboyed

Nun würden sich die drei Kreativen an der Spitze und der Autor des gleichnamigen Buches vielleicht empört zu Seite drehen, wenn ich hier von einer ‚fast simplen‘ Geschichte spreche. Und vielleicht sollte ich mich da korrigieren. Denn es ist keine Geschichte, die erzählt wird, sondern Geschichten, die auf komplizierte Weise miteinander verwoben sind und die letztendlich die gleichen Fragen aufwerfen, über Unterdrückung und Freiheit und das Schicksal des Einzelnen im großen Gefüge des Lebens, das nur ein kurzes Aufblitzen in der Unendlichkeit unseres Universums ist. In sechs verschiedenen Zeitebenen – drei in der Vergangenheit, eine in der Gegenwart und zwei in der Zukunft – werden diese kleinen, großen Storys erzählt. Der*die Zuschauer*in erfährt von einem Anwalt, der im 18. Jahrhundert mit der Sklaverei in Berührung kommt und gegen eine lebensbedrohliche Krankheit kämpft, genauso wie von einer Journalistin, die in den 70ern einem Skandal in einem Atomkraftwerk nachspürt. Wir tauchen ein in die Gedanken eines Komponisten und seinen Träumen, während wir gleichzeitig in einer postapokalyptischen Welt den Kampf eines Mannes mit sich selbst beobachten und einer geklonten Frau begegnen, die sich erstmals ihres Schicksals bewusst wird.

Mehr möchte und kann ich nicht über den Film sagen, nicht nur um den Spaß nicht zu verderben, sondern auch weil es schwer ist den Inhalt in wenigen Worten zusammen zu fassen. Sieht mensch doch hier vielmehr sechs Filme als einen einzigen. Die stattliche Länge von ca. drei Stunden, mit der der Film aufwartet, verwundert also nicht und sollte potenzielle Zuschauende auch nicht abschrecken. Denn es kommt nie Langeweile auf. Mensch sitzt erwartungsvoll im Kino und ertappt sich mehr bei der Angst, dass der Film zu früh zu Ende sein könnte, als dass er*sie ungeduldig auf die Uhr schaut. Von Beginn an wird zwischen den Zeitebenen gesprungen und in den ersten fünf Minuten fällt dieses Springen fast störend auf, aber a) gewöhnt mensch sich überraschend schnell daran und b) reißen einen schnell die großartigen Schnitte genauso wie die Einstellungen und die Kameraführung mit. Vor allem der Schnitt überzeugt ab der ersten Minute und lässt Cineast*inn*enherzen höher schlagen. Sie sind nicht nur fließend und gut gesetzt, sondern transportieren Ideen und Symbole. Es muss einfach gesagt werden: Rundum ist der Film visuell gelungen. Das fließende Erzählen, wie die Arbeit mit Symbolik und Bildern beherrschen diese drei Regisseur*innen im Schlaf.

Auch die Schauspielenden überzeugen, doch das sollte niemanden überraschen, denn schließlich ist der Film mit Tom Hanks und Halle Berry nicht nur in den Hauptrollen stark besetzt, bis in die Nebenrollen wird er von einem exellenten Ensemble getragen. Vor allem Hugh Grant und Ben Whishaw. entpuppen sich als die heimlichen Stars und lassen eine*n die ganze Zeit ungeduldig auf mehr hoffen.

Neben dem komplizierten Story Aufbau bietet aber wahrscheinlich die stark zum Einsatz kommende Maske des Films Diskussionsstoff, denn alle Rollen (in den unterschiedlichen Zeitebenen) werden von den gleichen Schauspieler*innen getragen. So sehen wir Hugh Grant nicht nur einmal als Bösewicht, sondern begegnen ihm gleich sechsmal in unterschiedlichen Gesichtern. Dieses Konzept, welches wahrscheinlich in erster Linie aus praktischen Gründen entstand um einen zu großes Cast zu meiden, birgt Potenzial, aber auch ein großes Risiko in sich. In erster Linie dient es aber dazu den Zuschauenden das Verständnis der Storys zu erleichtern. Dieser Ansatz geht auch auf. Die großen Paarungen mit den zwei zentralen Liebesgeschichten und dem immer wiederkehrenden Bösewicht und dem Vollstrecker erleichtern das Sehen des Films ungemein. Und auch wenn Halle Berry als weiße Jüdin Anfang des 20. Jhrd. überzeugend ist und einen fasziniert fesselt, so sind an anderen Stellen leider auch die Grenzen der Maske zu sehen. Dieser Umstand ist zwischendurch dann hin und wieder unfreiwillig komisch. Und gerade weil der*die Zuschauende weiß, dass stetig die gleichen Darsteller*innen zu sehen sind, lädt dieser Fakt die Zuschauenden nahezu ein nach Fehlern zu suchen und erschwert es hin und wieder sich voll und ganz auf das Konzept einzulassen.

Trotzdem muss gesagt werden, dass die ungemein starke Story und die Kraft der Bilder eine*n leicht über diese Fehler hinwegsehen lassen. Und so fällt es mir nicht schwer zu sagen, dass Cloud Atlas für mich zu einem der stärksten Filme des Jahres 2012 gehört. Bewegt verlässt mensch das Kino und sehnt sich nach Mehr in der Hoffnung das Tykwer und die Wachowskis in der Zukunft noch einmal zusammenarbeiten. Neben diesen Aspekten des Genusses, ist es aber auch die Freude über ein gelungenes und mutiges Filmprojekt, das von einem großen kreativen Team getragen wurde, die einen glücklich aus dem Kino gehen lässt. Die drei Regisseur*innen stehen hier nur symbolisch für die anderen Köpfe hinter diesem von Finanzierungsproblemen geplagten Film. Cloud Atlas zeigt, was eine Buchverfilmung leisten kann, nämlich Interpretation und Adaption. Diese Transformation von einem Roman zu einem multidimensionalen Medium regt auf alle Fälle zum Denken an über das Werk selbst, genau wie über das was das Kino bieten sollte und sich selbst schuldig ist –Gutes Erzählen, Mut und das Vertrauen, dass gute Ideen nicht immer sofort funktionieren müssen. Würde es aber nicht probiert werden, dann wäre das Kino nicht da wo es heute ist.