Das Studium ist eine tolle Zeit, an und für sich. Man ist, für viele zum ersten Mal, auf Dauer getrennt von den Eltern und damit alleine und auf sich gestellt, ergo unabhängig. Es ist nicht nur eine Entdeckungsreise in Bezug auf andere (neue Menschen! Menschen, die man nicht schon 6 bis 7 Jahre kennt und deshalb auf’s Blut hasst!) sonder auch auf sich selbst. Man kann sich neu definieren, wenn man will, man lernt seine eigenen Stärken und Schwächen besser kennen, kurz, man wird erwachsen. Zumindest werden das die meisten. Hoffentlich. Ein bisschen.
Nicht zuletzt ist man völlig selbstbestimmt. Man kann sich, naja, konnte man früher, seinen Stundenplan relativ frei zusammenstellen, einen eigenen Rhythmus entwickeln, dem eigenen Workflow folgen. Du kannst nachts besser arbeiten? Kein Problem, die Uni-Bib hat bis um 24 Uhr auf! Du hast keine Lust oder Zeit zu kochen, du musst Hausarbeiten schreiben? Die Mensa bekocht dich auch in den Ferien! Du brauchst mindestens 11 Stunden Schlaf? Leg deine Veranstaltungen in den Nachmittag! Deine Kreativität kennt keine Grenzen und du haust ein Buch/Script/Single/Film nach dem anderen raus? Nimm dir ein Urlaubssemester! Kein Bock auf gar nichts und keine Lust was mit Nachdenken machen zu müssen? Studier’ doch BWL oder werde Lehrer*in! Okay, der letzte war fies.
Also: Das Studium, die große Freiheit! Und dann: Kacke.
Das Arbeitsleben. Die allermeisten von uns werden später wahrscheinlich nicht selbstständig vermarktete Kleinkünstler. Oder Profs. Sondern Arbeitnehmer mit mittelmäßig bezahlten Jobs, fünf Tage die Woche, von 9 bis 17 Uhr, Mittagspausen abgezogen, mit mindestens 20 Tagen Urlaub im Jahr. Und das tötet auf Dauer jede Motivation abends sich noch anderweitig zu betätigen. Glaubt mir, ich erlebe es gerade. Und es schmerzt.
Ich schreibe diese Kolumne eigentlich echt gerne, aber in letzter Zeit habe ich Abends immer weniger den Kopf, mich tatsächlich Galle spuckend über Dinge aufzuregen. Zum Beispiel Hipster. Oder die USA. Oder Privatisierungen. All diese Themen machen mich wütend, aber ich habe abends einfach keine Kraft mehr, mich tatsächlich ausführlich damit auseinanderzusetzen. Stattdessen: Ich mache das Problem zum Thema und liefere wieder eine eher langweilige Kolumne ab. Ein Trauerspiel.
Wir sehen: Das moderne Arbeitsleben tötet den Menschen innerlich ab. Wir sind zu kaputt, um uns zuhause noch groß geistig fortzubilden. Und die Arbeit macht ja nicht vor der Haustür halt. Kochen, Einkaufen, Müll rausbringen, putzen, waschen, Katzenklo säubern, all das muss nebenbei ja auch noch gemacht werden. Am Ende stehen wir Menschen da, jeglichen Sinnes beraubt, leere, geistlose Hüllen, die sich morgen lethargisch auf den Weg zur Arbeit machen, um sich einzureihen in die Staffeln derer, welche die kleinsten Rädchen des Getriebes antreiben. „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“, so lautete es im Bundeslied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins von 1863. Nur, heute wie damals wird ein stillstehendes Rad ausgewechselt, es könnte den Betrieb aufhalten. Zeit ist Geld! Selbst wenn diese Erkenntnis Fuß gefasst hat, selbst dann sind wir kaum dazu in der Lage, etwas dagegen zu tun, denn wir haben keine Zeit und sind müde. Die Kinder müssen morgen früh ja auch zur Schule.
Es ist also alles ein perfider Plan des kapitalistischen Systems an sich, unser revolutionäres Potential durch Arbeit und Eskapismus (in Form von sinnentleerter Unterhaltung) zu ersticken. Täglich bekommen wir vor Augen geführt, dass jeglicher Kampf sinnlos ist, dass alles aufbegehren nur im Verlust unser eigenen Sicherheit enden muss. Aber wenn wir ohnehin nicht mehr unser wichtigstes Gut haben, unser Selbst, unseren inneren geistigen Kern, ist alles, was wir verlieren können, doch nur unser materielles Hab und Gut! Haben wir das nicht mehr, dann können wir es doch einfach wieder neu kaufen! Also, was haben wir zu verlieren! Wehren wir uns dagegen, unser eigenes Grab schaufeln zu müssen! Machen wir Schluss mit der Lohnarbeitssklaverei! Werden wir zu den selbstbestimmten Wesen, zu denen wir nach dem Studium geworden sind! Werden wir zum wahren Souverän und bestimmten unser eigenes Leben, überlassen es nicht den schleimverschmierten, schmutzigen Pranken einiger weniger Konzerne! Revolution! Machen wir wieder eine Revolution und befreien uns von den Zuständen der vorgegaukelten Alternativlosigkeit! Lassen wir uns nicht länger vorführen und leben nach einer Grundlage, die wir uns selbst gegeben haben! Hören wir auf, anzufangen, sondern beginnen mit dem Jetzt!
Aber bitte erst am Wochenende. Vorher muss ich noch einkaufen, kochen, den Müll rausbringen und die Katze füttern. Morgen muss ich auch arbeiten, deswegen geh ich heute mal früh schlafen. Also, bis zur Revolution am Wochenende dann!
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