Die Gastronomie ist ein seltsamer Betrieb. Kaum ein Berufszweig ist hat so vielen Menschen einen Job verschafft und bezahlt dabei seine Angestellten meist eher unangemessen. Kaum ein Berufszweig verschafft seinen Angestellt*inn*en so oft ein warmes Essen bei gleichzeitiger ungesunder (weil hektischer und meist fettreicher) Ernährung. Immerhin, ich glaube es gibt auch sonst keinen relativ friedlichen Job, der ein solches Gemeinschaftsgefühl zwischen den Arbeitenden schafft. Schließlich gibt es ja ein klares Feindbild Leitbild: Wir gegen für die Kundschaft. Außerdem: In einer Wurstfabrik arbeiten ist nicht attraktiver als hinter der Theke zu stehen.
Es war also heute bei meinem Gastro-Job, dass mir ein Artikel über Google Glass ins Auge gefallen ist. Ausgerechnet in der untechnologischsten Zeitung der Welt (übertrieben), dem Trierischen Volksfreund, las ich über die Vorstellung dieser Smart-Glasses auf der zurückliegenden Messe Google I/O. Die Entwicklung dieses Geräts war ja schon etwas länger bekannt, aber nun hab es erstmals einen nahezu fertigen Prototypen, der mittlerweile bei vielen Entwickler*inn*en auf der Welt angekommen ist und von diesen getestet werden soll.
Hipstergasmus! By Pensive Glance, via Flickr.com
Laut diesem Volksfreund-Artikel kann die Brille in der Grundausführung E-Mails abrufen und vorlesen (wobei fraglich bleibt, inwiefern man Adressen außerhalb von Google-Mail sinnvoll nutzen kann), Fotos und kurze Videos aufnehmen (mit welcher Auflösung ist fraglich), auf Google-Maps zugreifen sowie natürlich per Google eine Suche starten. Eingaben erfolgen per wischen am Bügel sowie einem Knopf zur Bestätigung. Da voraussichtlich die Steuerung neben dem Quasi-Touchscreen auch über Spracherkennung läuft, frage ich mich, wie sinnvoll diese Eingabeart ist, wenn neben mir gerade die U-Bahn einrauscht. Gut, weiter. Natürlich wird Google Glass auch auf Apps zurückgreifen, die uns aktuelle Schlagzeilen, von uns vorgefiltert, direkt vors Auge projizieren und natürlich können wir unsere Termine mit einer schönen Evernote-App organisieren, wobei der Volksfreund, ganz aufs Zielpublikum zugeschnitten, diesen Aspekt lieber mit einem Einkaufszettel austauscht.
Ich bin ja ein großer Freund technischen Fortschritts. Total gespannt warte ich auf diese glorreiche Zukunft, in der mein smarter Kühlschrank mir eine Einkaufsliste auf meine Smartwear (Jacke, Brille, Armbanduhr und so weiter) schickt und ich mir deshalb keine Gedanken mehr machen muss. Die Maschinen übernehmen das ja netterweise für uns. Dann leben wir in einer völlig vernetzten Welt (zumindest in den reichen post-industriellen Dienstleistungsgesellschaften), arbeiten allesamt an hippen Kreativjobs und haben „Feelgoodmanager*innen“, die uns mit Massagen und Yoga am Arbeitsplatz fit halten. Und natürlich eine hervorragende Work-Life-Balance, da unser Job gleichzeitig in unser Leben total integriert ist und wir mit jedem Schritt und jeder Handbewegung auch für unser eigenes kleines Start-Up arbeiten. Ich hab gestern übrigens meinen Hartz IV-Antrag abgegeben.
Und nirgends eine Katze, die mich hätte von der Arbeit ablenken können… By cseeman, via Flickr.com
Im Ernst: Wozu zur Hölle brauche ich ein fucking optisches Prisma, welches mir die Einkaufsliste in die Pupille einbrennt, wo ich doch sowas altmodisches und wesentlich intuitiver zu bedienendes Etwas nutzen kann wie Stift und Papier!? Warum glaubt mensch anscheinend, dass er/sie/es ständig über alles informiert sein muss und soll?! Muss ich wirklich jedes Kackereignis in meinem Leben digital festhalten und mit meinen „Freunden“ „teilen“?!!? Muss ich tatsächlich immer und überall erreichbar sein, und wenn ja, für wen denn bitteschön!??! Meine*n Arbeitgeber*in?!?!!? Oder für Google, die fröhlich alle meine Suchanfragen, Mails, News, Telefonanrufe, Photos, Videos und Einkaufslisten auf ihren Servern speichern, zur angeblichen „Optimierung der Dienstleistung“?
Womit wir beim Datenschutz wären. Was hält Google davon ab, auch nur unerkannt im Hintergrund eine Gesichtserkennung laufen zu haben, die alle Photos und Videos abscannt, aus welchen Gründen auch immer? Was ist mit dem Recht am eigenen Bild, wenn jede*r Penner*in mehr oder weniger unerkannt mein Bild aufzeichnen kann, ohne meine Erlaubnis? Wozu brauche ich diesen riesigen Haufen an Datenmüll eigentlich für mein Leben? Inwiefern verbessert das ganze mein Dasein, außer dass ich für vielleicht anderthalb Jahre ein verdammt cooler, wenn auch dezent lächerlicher Kerl bin, der das neueste Technikspielzeug hat, bevor der Hype, der alte Spaßvogel, die nächste Sau durchs Dorf treibt, auf dem Marktplatz schlachtet und gratis gebratenen Schinken verteilt, nur um damit gehörig auf seine bereits dreimal gebrochene Nase zu fliegen, da unsere Feelgoodmanager*innen uns allen eine vegane Wohlfühldiät nach Attila Hildmann verordnet haben? Selbst Sergei Brin, seines Zeichens Mitbegründer von Google und Großhoncho über Zukunftsschnickschnack bei seinem Konzern, sieht auf Dauer mit seiner Techno-Monobrow eher scheiße aus.
Mann ey. Wir machen uns doch langsam allesamt abhängig von Technik, die wir irgendwann nicht mehr kontrollieren können. Irgendwann ersetzten dann Navis alle Straßenschilder und wir wundern uns dann, warum wir nicht in Trier, sondern in Saarburg ankommen (vertippt!). Irgendwann sagt mein Kühlschrank mir zwar, das Milch fehlt, aber ich vergesse dann Nudeln zu kaufen, weil mein Vorratsschrank noch nicht technologisch mit dem Kühlschrank aufgeholt hat. Und schließlich erhöht meine Krankenversicherung meinen Beitrag, da die automatische Urinkontrolle in meinem Klo einen erhöhten Alkoholwert festgestellt habe und ich somit gegen die „Wellness-Vereinbarung“ verstoßen habe. Im Übrigen: Die Augmented Reality habe ich in dieser Zukunft ganz schnell abgeschaltet, da mir statt einer milden Frühlingsinformationsbrise ein wilder Taifun aus personalisierter Werbung entgegen klatscht.
Gegen personalisierte Werbung helfen leider keine Regenschirme. Gegen unpersönliche Taifune schon. By Tulane Publications, via Flickr.com
Wann hören wir auf, immer „das neueste“ über den Klee zu loben und fangen an, kritische Nachfragen an ein Produkt zu stellen, angefangen mit „Warum brauche ich das“ und beendet mit „Inwiefern verbessert dieses Produkt unser aller Leben“? Wir können doch zudem nicht ernsthaft glauben, dass Google schon nichts schlimmes mit all dem vorhat, was es nutzen könnte. Wir können unser digitales und zunehmend auch unser reales Leben in die Hände einiger bestimmter Konzerne legen, und nebenbei hoffen das alles schon glatt geht. Wir machen uns zu Sklaven der Technik und der Konzerne, die uns immer wieder mit diesen Spielzeugen versorgen.
Ich wette mit euch: Wenn Google Glass dann in einem Jahr rauskommt, dann werden die wenigsten die Dinger kaufen (ich habe da meine Quellen). Denn, blödes Aussehen hin oder her, solange ich das Teil nicht tragen darf, während ich anderen Leuten ihr Essen serviere, ist es genauso nützlich wie das, was diese smarten Brillen ersetzen sollen: das smarte Telefon. Nur eben in total nervig
Leave a Reply