Neben dem ganzen Brimborium der Oscars, der Aufregung um Ben Affleck, der Hysterie um Lincoln und den Diskussionen um Django tummelt sich dieses Jahr ein Film unter den Nominierten, der so gar nicht in das Potpourri dieser Preisverleihung passt. Nicht weil er ungerechtfertigt einen Platz in der Kategorie Bester Film bekommen hat, sondern weil es sich um eine waschechte Indieproduktion handelt. Weder kannten wir den Regisseur, noch die Schauspieler*innen vorher und mit seiner reduzierten Geschichte und seinen starken Bildern sticht Beasts of the Southern Wild aus der Masse der Hochglanzproduktionen heraus. Es ist zwar nicht das erste Mal, dass es ein Film dieser Art soweit schafft, aber trotzdem sind es doch eher Filme wie Silver Linings, die wir bei der Königin der Filmpreisverleihungen finden – Filme, die wie kleine Produktionen anmuten, die auch mit deutlich weniger Geld als der gemeine Sommerblockbuster produziert wurden, die aber allein durch ihre Besetzung zeigen, dass es sich hier nicht um einen Überraschungshit handelt.
Beasts of the Southern Wild unterscheidet sich dabei in vielerlei Hinsicht zu dem oben genannten. Am stärksten fällt aber der bescheidene und sehr stark auf Bilder setzende Erzählstil auf. Es ist ein Film, der es schafft allein durch Bilder zu vermitteln, was geschieht und nur in wenigen Szenen durch Dialoge angetrieben wird. Dabei sticht vor allem heraus, dass die Protagonistin ein kleines Kind ist und wir somit die gezeigte Welt durch ihre Augen wahrnehmen. Die Story ist im Verhältnis zu den anderen Filmen schlicht und dreht sich um eine Gemeinde in den Tiefen Louisianas, die von einem Sturm heimgesucht wird. Im Zentrum steht die 6-jährigen Hushpuppy und ihrer Beziehung zu ihrem kranken Vater. Angereichert ist diese auf den ersten Blick traurige Geschichte durch fantastische Elemente, die die Geschichte von einem einfachen Drama unterscheiden.
Faszinierend ist, wie es dem Regisseur Benh Zeitlin dabei gelingt, Ereignisse des Films zu kommunizieren ohne in eine (dialogverseuchte) Erklärwut zu verfallen: So ist dem*der Zuschauenden bereits recht früh klar, dass der Vater Hushpuppy’s schwer krank ist, ohne das die Protagonistin diese Beobachtung schon selbst eingeordnet hat. Dieser Trend, die Bilder sprechen zu lassen, zieht sich durch den Film und zeigt gegenüber Silver Linings das andere Extrem exzellenter Filmkunst. So sehr Silver Linings durch seine Dialoge lebt und sich auf diese konzentriert, so sehr reduzierte Zeitlin das gesprochene Wort auf ein Minimum und arbeitet mit Symbolik und der Mimik und Gestik der Schauspielenden. Allein das wiederkehrende Voice-over Hushpuppys bildet dabei einen gesprochenen roten Faden.
Interessant ist durchaus, wie sich Hushpuppys Naturverbundenheit und Phantasie mit der Geschichte vermischt. So verbindet sich der kommende Sturm mit den Erzählungen der Lehrerin über die Eiszeit, die schmelzenden Polkappen und eingefrorenen Auerochsen. Diese drei Elemente bilden den Grundstock der bildlich aufgegriffenen Symbolik im Film. Gelingt es so auf der einen Seite gut die Bedrohung des Sturms und der Naturgewalten zu vermitteln, ist sie an anderen Stellen nicht überzeugend genug. Gerade der Handlungsstrang um die Auerochsen und dessen Auflösung am Ende des Films sind nicht konsequent und wirken so ein wenig wahllos. Dies ist der einzige Punkt, an dem der Film für mich scheitert, es gelingt ihm nicht die allgemein angestoßenen Fragen oder Probleme mit der eigentlichen Geschichte zu verbinden.
via Wikimedia Commons by DFoidl
So oder so ähnlich haben diese Auerochsen übrigens ausgesehen, auch wenn sie im Film an Schweine erinnern.
Beindruckend ist aber ohne Zweifel die schauspielerische Leistung der Hauptdarstellerin Quvenzhané Wallis, die mit ihren sechs Jahren so manch einen Profi an die Wand spielt. Ihre Darstellung der Hushpuppy ist authentisch, ehrlich und lebt von innerer Stärke. Vor allem gegen Ende des Films, wenn sie im Angesicht des drohenden Todes ihres Vaters Kraft beweisen muss, entwickelt ihre Darstellung die stärkste Durchschlagkraft und emotionale Dichte. Zusammen mit Dwight Henry gelingt es ihr in Beasts of the Southern Wild eine schwierige Vater-Tochter-Beziehung zu zeichnen, die zwar durch Liebe geprägt ist, aber gleichzeitig eine Rohheit innehat, die eine*n nicht vergessen lässt unter welchen Bedingung die beiden ihr Leben leben. Und gerade diese emotionale und intensive Dynamik lassen mich über den oben angesprochenen Kritikpunkt hinweg sehen.
Beasts of the Southern Wild ist ohne Frage einer der interessantesten Filme der diesjährigen Oscarverleihung. Allein der Umstand, dass es der Film soweit gebracht hat und sich zu den Nominierten zählen lassen kann, ist an dieser Stelle ein Wahnsinnserfolg. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass er in der Kategorie Bester Film gewinnt. Die Realität ist leider, dass so ein künstlerisch anspruchsvoller und verhältnismäßig leiser Film neben emotional und politisch aufgeladenen Produktionen wie Lincoln und Argo nicht bestehen kann. Das hat nichts mit seiner Qualität zu tun, sondern mit den Menschen, die die Abstimmungen treffen. Es ist aber auch nicht der Oscar für den Besten Film, der meiner Meinung nach an dieses kleine Indiejuwel gehen sollte. Benh Zeitlin steht mit Beasts of the Southern Wild für eine junge und neue Generation von Regisseur*innen. Neben ihm sind Größen nominiert, die schon gefühlte Tausend Oscars haben und genau deshalb, weil Zeitlin hier brilliert und Ben Affleck nicht mitnominiert ist, sollte er für dieses Werk die begehrte Trophäe als Regisseur bekommen. Leider, leider musste Spielberg aber Lincoln machen und deswegen bereite ich mich jetzt schon darauf vor am Sonntag nicht das Weinglas in den Fernseher zu schmeißen.
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