Wissenschaft! Glorreiche Wissenschaft, wohin hast du uns gebracht und wohin wirst du uns noch führen? Wir leben in einer Welt, in der mensch nicht mehr Papier und Tinte verschwendet, um seine geistigen Ergüsse auszudrücken; in der mensch sich nicht mehr vor einer Grippe fürchten muss; in der ein von Menschen entworfenes Gerät auf dem Mars herumfährt und Steine per Laser zerbröselt, um deren Zusammensetzung zu analysieren; in der sich Menschen regelmäßig in ca. eine Tonne wiegende Maschinen setzen und diese auf über 100 km/h beschleunigen, nur um Brötchen holen zu fahren; in der mensch innerhalb von Stunden zu Orten verreisen kann, wohin man früher Wochen und Monate gebraucht hat. Wissenschaft, dir verdanken Menschen ihr Leben, ihre Existenz und ihren Broterwerb.

Dabei sind obige Beispiele in erster Linie aus den Naturwissenschaften hervorgegangen. Als Geisteswissenschaftler will ich die Errungenschaften dieses gemeinhin etwas vernachlässigten, wenn nicht gar belächelten Zweiges der Wissenschaft natürlich entsprechend würdigen. Die Schwierigkeit mit der Geisteswissenschaft besteht aber darin, dass sie im Allgemeinen Ergebnisse produziert, die nicht direkt greifbar sind. Eine Doktorarbeit zu den Filmen Tim Burtons mag kulturwissenschaftlich und -historisch bahnbrechend sein, die meisten Leute schmachten stattdessen lieber Johnny Depp an und sind sich des Einflusses des Burtonschen Stils auf das moderne Kino nicht bewusst. Die Geisteswissenschaften versuchen, die Zusammenhänge des menschlichen Lebens darzustellen bzw. zu verdeutlichen. Warum sind Gesellschaften, wie sie sind? Warum sind wir Menschen, wie wir sind? Warum hat jemand mit einem bestimmten Hintergrund Dinge so beschrieben, weshalb sehen wir das alle nicht so, oder eben genauso? Wenn man so will, dann produziert die Naturwissenschaft den Fortschritt, aber die Geisteswissenschaft stellt die Frage, wie sich dieser Fortschritt auf uns als Menschen, sowohl als Individuum als auch als Gruppe, auswirkt.


Hätten uns damals die Geisteswissenschaften gerettet? Wahrscheinlich! Wenn mehr Leute zuhören würden! Via Wikimedia Commons

Deshalb sollte die Bedeutung der Geisteswissenschaften auch nicht herab gespielt werden. Grundlegend unterscheiden sich Geistes- und Naturwissenschaft in der Produktion ihrer wissenschaftlichen Ergebnisse. Während mensch hier, im Reiche des Vagen und Abstrakten, sich auf die hermeneutische Methode verlässt (also so lange alles mögliche zu einem Thema liest, bis denn der Eindruck entsteht, dem Thema nichts neues mehr abgewinnen zu können, um das ganze dann zu einer neuen Aussage zu kombinieren), steht dort, im Land der handfesten, meßbaren Ergebnisse, das Experiment im Mittelpunkt allen wissenschaftlichen Bemühens. Der Sinn hinter dem Experiment ist dabei, mit einem bestimmten Versuch eine These zu beweisen und zwar so, dass der Versuch wiederholbar ist und unter gleichen Bedingungen auch das gleiche Ergebnis produziert. Ein oft etwas vernachlässigter Versuch, wahrscheinlich weil er ethisch etwas fragwürdig ist, ist der Selbstversuch. Hierbei stellt sich die Wissenschaftlerin oder, in meinem Fall, der Wissenschaftler selbst zu Verfügung, um eine bestimmte These zu beweisen.

Meine These in diesem Fall ist: Karlsberg Urpils schmeckt scheiße und jede*r, welche*r dieses Gesöff trinkt, kann einfach keinen Geschmack haben! Jede*r gute Geisteswissenschaftler*in lernt zu Beginn ihres Studiums, dass (nach Karl Popper), ein wissenschaftelnder Mensch auf bestimmte Voreinstellungen hinweisen sollte, welche das Ergebnis beeinflussen könnten. Auch ich unterwerfe mich diesem Diktum und muss darauf hinweisen, dass ich Karlsberg Ur-Pils seit dem ersten Schluck schrecklich fand und diese Meinung nach dem gerade laufenden Experiment auch nicht ändern werde. Das Zeug ist eklig!


Eklig! Sage ich und kann nicht aufhören, diesem Biere alles nur erdenklich Schlechte zu wünschen! Die Welt wäre eine bessere ohne Karlsberg Urpils! Via obscene_pickle

Wie kam es nun zu diesem Experiment: Meine ersten Ausgeherfahrungen in Trier waren geprägt von der erschütternden Erkenntnis, dass es in dieser Stadt zumeist nur drei Sorten Bier zu trinken gibt: Bitburger (bäh), Löwenbräu (doppel-bäh) und Karlsberg Urpils (bäh³). Wobei natürlich anzumerken ist, dass Löwenbräu und Karlsberg Urpils aus der gleichen Brauerei stammen und sich faktisch nicht unterscheiden. Damit kam ich also in die Bredouille, entweder ekliges Bier zu trinken oder Kölsch. Und ich entschied mich für Kölsch. Und nachdem meine Mitbewohner neulich einen ganzen Kasten (würg!) Karlsberg Urpils angeschleppt haben, brütete ich lange über ihre offensichtlichen geschmacklichen Defizite und entschied mich zu diesem Selbstversuch: Ich trinke einen halben Liter Karlsberg Urpils und versuche herauszufinden, warum genau dieses Bier zu schrecklich ist.

 Fangen wir mit der Flasche an. Ein übliches, bräunlich-zylindrisches Gefäß mit drei Etiketten. Der Flaschenhals wird gesäumt mit einem V-förmigen Etikett in Gold, Weiß und Grün, im Knick vom V findet sich, goldunterlegt, die Silhouette des Kopfes, der das Markenzeichen der Biermarke bildet. Ich konnte leider nicht herausfinden, wem dieser Kopf gehört, vermutlich irgendeinem Monarchen oder dem Gründer des Bieres, Christian Weber (verdammt sei seine saarländische Seele). Das große Etikett auf der Vorderseite zeigt uns dann, von kleinen goldenen und einem großen Grünen Streifen umrahmt, den übelkeiterregenden Markennamen: Karlsberg Urpils. Ein Name wie eine Drohung. Wir erfahren eine ominöse Zahl, 1878. Das Jahr der Gründung? Die Zahl der Seelen, welche der Teufel verlangte, damit dieser sein Segen für den Erfolg dieses Verbrechens in Bierform gab? Oder steckt mehr dahinter? Bilden wir die Quersumme aus den Zahlen, so erhalten wir 23! Die Illuminaten!? Das passt, überlegt man, dass das Saarland einige Zeit lang unter bayerischer Herrschaft stand! Und der Gründer der Illuminaten, Adam Weishaupt, war was? Genau, Bayer! Langsam schält sich eine Form aus dem Nebel des schlechten Geschmacks!

Aber das Etikett hält noch mehr für die aufmerksamen Beobachtenden bereit: „Gebraut mit Bier-Gefühl“ steht über dem Markennamen, unterbrochen vom goldfarbenen Profil des ominösen Karlsberg-Kopfes. „Bier-Gefühl“… bei dieser schrecklichen Wortkonstruktion läuft es jedem/jeder Muttersprachler*in kalt den Rücken runter. Was meinen diese Brauerei-Verbrecher damit? Dass sie Gefühl für Bier hätten? Wohl kaum, denn dann würden sie nicht eine solch ekelhafte Plörre ernsthaft als Bier verkaufen und sich beschämt in die Saar stürzen. Offensichtlich spielen sie mit dem Wort „Wir-Gefühl“. Aber wer ist dieses Wir? Versuchen sie damit eine „In-Group“ zu schaffen unter den Konsumenten dieses Sündenfalls, welche sich fast ausschließlich im Saarland finden lassen? Oder versuchen sie damit verzweifelt, ein alkoholisches Band zwischen der Saar und dem Rest Deutschlands zu knüpfen? Man kann diesem Bestreben nur „Viel Pech!“ wünschen, sind die meisten Saarländer doch nur durch Alkohol zu ertragen und wer will schon eine Nation aus Alkis? Doch es geht weiter.

Unter dem drohenden „Urpils“ finden wir noch drei Schlagworte: „Frisch, würzig, herb“. Aha, denkt sich der/die erfahrene Trinker*in, ein Eindruck vom Geschmack des Bieres. Zum Geschmack kommen wir später, zunächst will ich die inhärenten Widersprüche dieses Triumvirats der leeren Versprechungen aufdecken. Frisch: Was bitte kann an einem Bier aus der Flasche denn frisch sein? Es ist doch gerade das Gegenteil von frisch, nämlich alt, stand wahrscheinlich schon Monate in einem Kasten, bevor der/die unglückliche Käufer*in sich vergriff und dieses sogenannte „Bier“ kaufte. „Würzig“ ist auch eher ein schlechter Witz, denn beim Bier ist die einzige in Deutschland erlaubte Würze eben Hopfen (der sich im übrigen auch zu nichts anderem eignet als Bier zu brauen) und Malz. Haben wir es also mit besonders viel Hopfen und Malz zu tun? Das folgende Adjektiv, „herb“, soll darauf einen Hinweis geben. Aber worin unterscheiden sich beim Bier Würze und Herbheit? Ist „würzig, herb“ nicht doppelt gemoppelt im Falle von Pils? Ein Blick auf die adrett drappierten, goldfarben eingefassten Kreise am unteren Etikettende versucht, das Rätsel zu lösen: „Mit dem guten Mass [sic!] an Magnum Hopfen“ steht dort, eine Hopfendolde umrahmend. Was bitte ist Magnum Hopfen? Zwar gibt es eine Sorte Bitterhopfen mit Namen „Hallertauer Magnum“, aber ist dies auch dasselbe wie Magnum Hopfen (man beachte auch das Fehlen eines Bindestriches!)? Oder gehört der Magnum Hopfen in das gleiche Reich der Legenden wie die „Piemont-Kirsche“ und der Weihnachtsmann? Das Etikett auf der Rückseite der Flasche gibt einen kleinen Tipp: Dort steht „Hopfenextrakt“ unter den Inhaltsstoffen, wir haben es also nicht mit dem besten aus dem Magnum Hopfen zu tun, sondern lediglich mit einem Extrakt (flüssig) aus verschiedenen Billighopfensorten. Aber was will man auch von einem Bier aus dem Saarland erwarten?


Das Saarland. Annäherungsweise. Via Verleihnix

Kommen wir zum springenden Punkt: Dem Geschmack. Geschmack ist immer ein besonderes Erlebnis, vom Öffnen der Flasche bis zum finalen Schluck und dem Abgang. Schon zu Beginn versagt das Urpils auf ganzer Linie. Der Kronkorken löst sich nicht mit einem zufriedenstellenden Zischen von der 0,5-Liter Flasche, sondern ich höre ein kurzes, verzweifeltes Gurgeln und dann fällt das Amalgam aus Blech und Gummi lustlos von der Flasche, als wäre es froh, nicht mehr mit dem Inhalt in Berührung kommen zu müssen. Es schwant einem Böses. Riecht man an der Flache, so strömt einem der bekannt abgestandene Geruch entgegen, den Bier, allen voran minderwertiges, so an sich hat. Nun gut, geben wir dem Bier eine Chance und füllen es in ein Glas. Die Schaumbildung, immerhin, ist befriedigend, aber die Farbe… Pissgelb, durchsichtig, kaum Spuren von Charakter. Kein „kühles Blondes“ ist dieses Bier. Eher eine stinkende Urinlache in der Gosse des weltweiten Brauereigeschäfts. Aber genauso, wie man ein Buch nicht nach seinem Einband beurteilen soll, so will ich mich beim letzten Urteil ganz auf das Wesentliche, das gustatorische Erleben zu konzentrieren. Ich nehme ein paar Schlucke aus dem Glas und muss feststellen: Zu Beginn ist es nicht ganz eklig. Erst schmecke ich nichts, dann füllt die Kohlensäure meinen Mundraum und betäubt alles kurz. Zugegeben, ein guter Trick. Aber er hilft nicht gegen diese Note von absterbenden Geschmackszellen, welche nach dem Schluck im Mund verbleibt. Und plötzlich, forscht man dort etwas nach, tut sich ein Abgrund auf: Plötzlich wird die Zunge überschwemmt von einer Kakophonie aus Muff, Bitterkeit und Industrieabwässern, aus Metall, Staub und schlechter Luft. Ich bin erschüttert und zugleich voller Demut: Wie kann ein Bier von so vielen Leuten getrunken werden und dabei so einfach und abgrundtief schlecht sein? Und gleichzeitig so hervorragend das Saarland geschmacklich repräsentieren? Zum einen will ich den Damen und Herren von der Karlsberg-Brauerei Homburg mein Beileid aussprechend, dass ihr Bier wohl mit zu den Dingen gehört, die der Mensch am liebsten erbricht. Zum anderen möchte ich ihnen gratulieren, dass sie es geschafft haben, ein Bier zu erschaffen, dass den Menschen und ihrem Land so gerecht wird.

 Natürlich, ich will und kann nicht behaupten, dass dieses Experiment objektiv war. Aber probiert es doch bitte selbst. Niemand, der oder die jemals auch nur ein kleines bisschen für Bier übrig gehabt hat, kann allen Ernstes behaupten, „Karlsberg Urpils“ würde schmecken. Niemand, die oder der jemals auch nur etwas Gutes, etwas mit Geschmack und Charakter getrunken hat, kann nachvollziehen, warum dieses sogenannte Bier erfolgreich ist. Deswegen trinke ich, nach dem Sturz in den Abgrund des deutschen Brauereiwesens, einen Bier gewordenen Lichtblick: Pilsner Urquell.

Der biergeneigten Leserschaft sei übrigens noch diese hervorragende Dokumentation von ZDFZoom nahegelegt, der die Misere der deutschen Bierindustrie offenlegt.