An und für sich halte ich das Web 2.0 für wesentlich überschätzt. Das Konzept hinter dem Web 2.0 besteht ja im Grunde aus zwei Schlagworten: Interaktion (1) und damit verbunden User Generated Content (2). Interaktiv gestaltet sich die zweite Version des Internet durch die neue Möglichkeit, direkt Rückmeldung auf Inhalte zu geben, in Form von Kommentaren usw. Und gefüllt wird das Internet nicht mit kommerziellen oder hobbyistischen Angeboten, sondern von den Nutzerinnen und Nutzern selbst, in Form von selbst produzierten Videos, Blogbeiträgen, pseudowissenschaftlichem Geschreibsel und dergleichen mehr. Was dabei herauskommt, egal ob als Video oder in Schriftform, ist dabei meist nicht der Rede wert, bis hin zu abgründiger Peinlichkeit.

 Die Ironie dabei ist, dass wir Hanselinen und Hanseln von Darangehtdieweltzugrunde.net natürlich fett drin sind im Web 2.0-Nichtgeschäft. Was wir hier produzieren (und manchmal, wenn ich darüber nachdenke, weiß ich noch nicht einmal warum wir das ganze machen) ist mehr oder weniger User Generated Content par excellence und IHR, liebe Leserinnen und Leser, macht bei der ganzen Schose auch noch mit und kommentiert mal weniger, mal mehr fleißig, aber doch mit gewisser Regelmäßigkeit. Und das erfreut natürlich unser aller Herzen (also, vom Team jetzt) und auf diese Weise möchte ich also mal allen Kommentatorinnen und Kommentatoren ein tief empfundenes Dankeschön aussprechen. Dankeschön.
Anlass zu diesem für mich völlig untypischen Gefühlsausbruch ist eine für uns ungekannte Kommentar-Flut zu dem ja schon etwas älteren Berlin-Aufreger, die in der letzten Woche über uns hereinbrach. Gefreut hat uns das, vor allem, da wir gemerkt haben, dass wir zumindest nicht die ganze Zeit in die schwarze Leere des Internet hineinschreiben und -sprechen, sondern auch rezipiert werden. Das macht Mut.
Gleichzeitig hat mich das zum Grübeln gebracht, ob ich, wie eigentlich geplant, einen zweiten Berlin-Aufreger schreiben soll, nachdem ich jetzt wieder zurück bin aus dieser Stadt, um mich quasi ein wenig mit ihr zu versöhnen. Mit Betonung auf „ein wenig“. Nachdem man bei diesem Aufreger also von einem gewissen „Erfolg“ sprechen kann, böte es sich ja nur an, dieses anscheinend kontroverse Thema wieder aufzugreifen und mit einigen neuen Ideen anzureichern. Ich entschied mich, man achte auf die Titelzeile dieses Beitrags, dagegen. Denn ich bin ein Freund davon, gute Dinge (und dazu gehören auch bestimmte Meinungen) einfach mal stehen zu lassen. Man muss ja nicht immer gleich eine Fortsetzung fabrizieren oder einen Nachahmer schalten, nur weil etwas bestimmtes bei einigen Leuten einen kleinen Reiz ausgelöst hat.

So wie bei diesem jungen Mann. Via ImperfectEscape

Und damit wären wir bei einem Thema, das bei mir schon lange auf ein gewisses Unverständnis stößt und welches heute, beim lustlos-mittagessengesättigten rumzappen im Fernsehen mein sonst so ruhiges Gemüt erregt hat: Kochshows. Warum zur Hölle gibt es diese Sendungen in dieser Fülle täglich? Und wer schaut sich das an? Und warum?
Zunächst aber wie immer der Informationsteil: Kochsendungen sind keine Erfindung der ersten Milleniumsdekade. Der erste offizielle Fernsehkoch Clemens Wilmenrod (bürgerlich Carl Clemens Hahn) brutzelte 1953 erstmals im damaligen NWDR (Nordwestdeutschen Rundfunk) und selbst er griff in seiner fünfzehnminütigen Sendung auf die BBC zurück, die mit einem ähnlichen Konzept bereits 1937 auf Sendung gegangen war, also zu einer Zeit, als das Fernsehen noch im Experimentierstadium war (das TV fasste in Deutschland, kriegsbedingt, erst nach 1950 richtig fuß). Die erste „richtige“ Kochshow startete Alfred Biolek, der 1994 mit „Alfredissimo“ seine Talkwurzeln in das gemächliche Spätnachmittagsprogramm des WDR hinüberrettete. Sein Konzept bestand darin, sich einen prominenten Gast in die Studioküche einzuladen und mit diesem ein bestimmtes (teilweise vom Gast mitgebrachtes) Rezept auszuprobieren, nebenbei den Promi heftigst menscheln zu lassen und sich schließlich borderline zu besaufen, mit teurem Wein. Flankiert wurde diese erste Unterhaltungskochsendung von den serviceorientierten Kochsendungen in diversen Morgen- und Mittagsmagazinen.

Und dann, ja dann ging alles ganz schnell. Die erste Generation der TV-Showköche wie Ralf Zacherl oder Tim Mälzer plapperten, schnitten, hackten, würfelten was das Zeug hielt und versuchten wenigstens noch ansatzweise, hilfreiche Tipps zu geben. Aber das wurde wohl bald zu langweilig und schließlich stießen die kompetetiven Programme radikal in den Formatemarkt vor. „Das Kochduell“ (VOX), „Das perfekte Dinner“ (VOX) und sein Promi-Ableger, „Die Kocharena“ (auch VOX), „Die Topfgeldjäger“ (ZDF), „Unter Volldampf“ (wieder VOX), „Die Küchenschlacht“ (ZDF), „Das Fast-Food-Duell“ (Sixx), die Sachen mit Jamie Oliver (auch auf Sixx) und vielleicht auch „Lanz kocht“ (ZDF und nebenbei ziemlich irreführend, aber ich nehme mal an „Lanz lässt kochen“ klang den Programmleuten zu blöde). Das sind die Wettbewerbsprogramme, die gelaufen sind oder noch immer laufen. Hinzu kommen dann noch so Sachen wie „Die Küchenprofis“ oder „Rach – der Restauranttester“. Es ist ja mittlerweile soweit, dass in den öffentlich rechtlichen Programmen jeden Tag gekocht wird, im ZDF-Nachmittagsprogramm gleich zweimal. Und wie immer ist es nicht die Sendung an sich, die mich stört, sondern die schiere Masse.

Das sogenannte “Kamikaze-Gesicht” gehört bei japanischen Köchen zur Abschlussprüfung. Via taminator

Wer braucht denn so viele Kack-Kochsendungen, jetzt mal im Ernst? Wie viele unterschiedliche Gerichte müssen diese Leute denn noch kochen, bevor wir als Publikum nicht mehr ungläubig vor der Mattscheibe hängen und uns wundern, wie Frau Wagner oder Herr Lichter es mal wieder geschafft haben, aus zwei Fischstäbchen, einer Tomate und drei Reiskörnern ein Lachparfait zu zaubern. Ja, danke, wir wissen Bescheid, diese Menschen können kochen. Dazu noch besser als wir, besser als wir jemals werden könnten, wahrscheinlich, zumindest denke ich mir das, während ich darauf warte, dass die Tiefkühllasagne im Ofen warm wird. Warum soll ich also diesen Menschen zuschauen? Warum soll ich Amateuren zuschauen, die gegen Profis antreten, nur damit sich eine der beiden Parteien am Ende auf sich selbst masturbieren kann? Das ist doch sinnlos, zumindest in der Masse, in welcher diese Sendungen auf uns Zuschauer*innen niederstürmen! Warum brauchen wir diesen Überfluss an Sendungen über eine der banalsten aber gleichzeitig wichtigsten menschlichen Tätigkeiten? Das ist doch alles genauso zu viel, wie das Essen, welches dort tagtäglich gekocht wird. Wer ist das eigentlich alles anschließend? Oder schmeißen die das weg und beheizen die künstliche Nahrungsmittelknappheit auf diesem Planeten noch mehr?

Und überhaupt: Kochsendungen als Entertainment, ohne einen Servicecharakter (also bar jeder Lerninhalte), sind eigentlich völlig sinnlos. Denn wir können ja nur sehen, was dort gebraten, gedünstet, gedämpft, gegrillt oder flambiert wird. Wir können nicht riechen, geschweige denn schmecken. Es bleibt also die pure Optik und jeder, der schon mal in der Küche gearbeitet hat, der weiß: Das Anrichten einer Speise ist sehr wichtig, aber wenn’s dem Kunden oder der Kundin nicht schmeckt ist’s auch scheiße. Aber das Anrichten wird für uns Zuschauer*innen ja letztlich zum einzigen Indikator, ob das denn jetzt auch gut ist, was da beim Schwenken und Rühren und Herumlavieren herausgekommen ist. Der Geschmack – wenn ich kurz daran erinnern darf: der Grund warum man kocht, ist, damit’s schmeckt – gerät dabei in den Hintergrund. Die Kochshow führt das Kochen also eigentlich ad absurdum.

Dieses Bild und ich, wir haben irgendwie eine besondere Verbindung. Sagt auch Captain Party. Wir beiden finden das nicht so gut. Via corygrunk

Kochshows sind somit ein extrem gutes Beispiel, wo ein erfolgreiches Konzept quasi bis zum Erbrechen wiederholt und variiert wurde, bis wir im Fernsehen förmlich zugeschissen werden von Essen (womit ich den Bezug zur Einleitung hergestellt hätte). Kochen bis zum Kotzen also. Dabei ist kochen, ist ordentliches Essen mit seinen verschiedenen Geschmäckern und seinen gustatorischen Erlebnissen eine der schönsten Sachen, die wir Menschen aus Versehen hervorgebracht haben. Schade. Aber immerhin, ich finde meine Überleitung ziemlich genial. Und ganz ehrlich: Kochshows (oder „Kochdokusoaps“, wie die TV Spielfilm „Das perfekte Promi-Dinner“ betitelt) sind mir noch immer lieber als dummdödelige Scripted Realitiy-Sendungen.