Jede Woche passieren Dinge, über die man sich aufregen kann. Und jede Woche passieren Dinge, über die man sich aufregen muss.
Als passionierter Aufreger übernehme ich gerne diesen Part für euch! Katharsis! Ich rege mich auf, damit ihr in Ruhe schlafen könnt. Mit einem Lächeln auf den Lippen. Und viel Wut im Bauch.
Nationalhymnen
Internationale Sportwettkämpfe. Es ist immer dieselbe Leier: Bevor irgendwas passiert, wird erst mal gesungen. Alle stehen auf, tun so, als ob sie singen könnten, vernuscheln die zweite Strophe, brüllen den Refrain fast und sind dann froh, wenn’s endlich losgeht. Im schlimmsten Fall singt jemand falsch und alle sind ein bisschen verwirrt. Warum geben sich Menschen das? Warum können wir nicht einfach ein bisschen Jazz spielen und dann ist gut? Wieso Nationalhymnen? Welchen Zweck erfüllt das? Die Spieler*innen patriotisch auf ihre Pflicht einzustimmen, den Gegner natürlich sportlich fair im Wettkampf zu besiegen um, ja, um was eigentlich? Den Sieg? Um zu beweisen, dass der/die ein*e Nationalsportler*in besser ist, als der/die andere? Und wenn das dann der Fall ist, war das nicht viel mehr der Verdienst der einzelnen Person bzw. der Mannschaft als der Nation, die letztlich nur genug Geld auf die Leute geworfen hat, die sich da jetzt abrackern? Aber vielleicht versteht ich das auch alles gar nicht, weil mir Sportwettkämpfe relativ am Arsch vorbei gehen. Was mir aber nicht am Arsch vorbei geht, dass ist die Qualität und der Inhalt von Nationalhymnen. Und hier versagt Deutschland phänomenal.
Weshalb, dazu weiter unten mehr. Erstmal kurz zur Funktion von Nationalhymnen: Diese Lieder entstammen oft dem Zeitalter der Nationalstaaten, also im Grunde seit dem 17. Jahrhundert. Viele Staaten haben ihre Hymne durch die nationalstaatlichen Revolutionen um die Mitte des 19. Jahrhunderts erhalten. So auch bekanntermaßen die deutsche Nationalhymne, gedichtet 1841, seit 1922 die Nationalhymne der verschiedenen deutschen Staatssysteme ausser der DDR. Aber zurück ins 19. Jahrhundert. Damals ging es ja darum, die von adligem Klein-Klein zerstrittenen Teile einer Nation, sei dies nun Deutschland oder auch Italien, in Form eines geschlossenen, im besten Fall halbwegs demokratischen Nationalstaates zu vereinen. Ein edles Ziel, an sich, und im Grunde nichts schlimmes. Problematisch allerdings ist, dass die stark nationale Einstellung vieler Lieder sich bis heute gehalten hat und angesichts der größten Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts, natürlich dem Zweiten Weltkrieg, dieser mal verhaltene, mal offensichtliche nationale Chauvinismus einen, gelinde gesagt, schalen Beigeschmack bekommt. Ebenfalls nicht ohne gewisses Rumoren im ethischen Zentrum eines jeden Menschen sollte das singen von Hymnen ablaufen, die zu Zeiten von Kriegen entstanden sind. So beispielsweise die Hymne der USA, deren dritte und vierte Strophe heute nicht mehr aufgrund „starker anti-britischer“ (so zumindest Wikipedia, s.o.) Tendenzen gesungen werden. Oder die französische Marseillaise, in der es heißt „Das unreine Blut / tränke unserer Äcker Furchen!“ und „Was! Ausländische Kohorten / Würden über unsere Heime gebieten!!“ usw., wobei ich gestehen muss, dass ich ein großer Fan der Blut-Zeilen bin. Immerhin ging es damals gegen die Kack-Monarchen Europas. Aber, zugegeben, so ganz koscher ist das natürlich trotzdem nicht.
Und nun: Die Deutsche Nationalhymne. Wir alle wissen, dass die ersten beiden Strophe eher nicht so toll sind und deswegen singen wir sie auch nicht und wollen allgemein damit nichts zu tun haben. Der gelernte Historiker wird dabei natürlich den oben angerissenen Kontext der deutschen Nationalbewegung bemühen und darauf verweisen, dass das unselige „Deutschland, Deutschland über alles, / über alles in der Welt“ keinen nationalen Chauvinismus (okay, vielleicht ein bisschen, aber hey, andere Zeiten und so…) sondern das bestreben, einen einigen Staat (Einigkeit, Recht und Freiheit etc.) über die damals bestehende Kleinstaaterei zu stellen. Und das mit den Ortsangaben („Von der Maas bis an die Memel, / vom Etsch bis an den Belt“)… naja, das ist heute natürlich quatsch. Vor allem, weil die meisten Leute eh nicht wissen, was der Etsch ist und der Belt ist. In Ordnung, von mir aus. Auch dass der erste demokratische Staat auf deutschem Boden, die Weimarer Republik, das Lied für sich auserkoren und inbrünstig intoniert hat, mag klargehen, immerhin hatte man gerade den Weltkrieg hinter sich und war ziemlich fertig und auch ein bisschen verzweifelt. Zumal die Kleinstaaterei noch immer nicht ganz aufgehört hatte damals. Aber dann, tja dann kamen blöderweise diese doofen Nazis. Ab 1933 wurde nur noch die erste Strophe gesungen (ja, genau die mit dem über alles und so, aber hey, andere Zeiten…) und anschließend das Horst-Wessel-Lied (Kampflied der SA) gegrölt.
Nachdem Weltkrieg, Tyrannei, eine, naja, unermessliche Anzahl an Morden und Gewalttaten, unzählige zerstörte Leben und schließlich diese Sache mit den Juden vorbei waren, stand die Bundesrepublik Deutschland 1949 vor dem Problem, zwar völkerrechtlich anerkannt zu sein, aber kein Lied zu haben, dass man eventuell bei internationalen Sportwettkämpfen spielen könnte. Deswegen verständigten sich Bundeskanzler Adenauer und Bundespräsident Heuss per Briefwechsel (Like a Sir!) darauf, demnächst doch wieder die „alte“ Hymne zu spielen, aber vielleicht ohne die ersten beiden Strophen. Die erschienen anscheinend nicht mehr so passend.
Aha.
Hallo?
Geht’s noch?
NAZIS!
FUCKING NAZIS!
Es ist mir scheißegal, ob die damals nur die erste Strophe gesungen haben, es ist mir scheißegal, dass der historische Kontext betrachtet werden muss, es ist mir scheißegal, ob man damals eine andere Alternative hatte oder nicht! Was mir nicht egal ist, dass man damals ein Lied zur Nationalhymne bestellt hat, dass verdammt nochmal von FUCKING SCHEIß NAZIS gesungen wurde!
Der Verweis auf den historischen Kontext ist absolut hinfällig, denn immerhin hat es seinen verdammten Grund, dass man die ersten beiden Strophen nicht singt! Und wegen der ALTER, ECHT JETZT, NAZIS (!) dreht sich mir auch immer wieder der Magen um, wenn ich diese Melodie in einem offiziellen Anlass hören muss.
Zumal man damals einfach eine neue Hymne hätte schreiben können. So wie die DDR. Natürlich ist deren Nationalhymne ideologisch aufgeladen, sogar soweit, dass die Regierung der DDR seit den 1970ern darauf verzichtet hat, den Text von „Auferstanden aus Ruinen“ singen zu lassen. Angesichts von Textzeilen wie „Alle Welt sehnt sich nach Frieden, / Reicht den Völkern eure Hand.“ oder „Laßt das Licht des Friedens scheinen, / Daß nie eine Mutter mehr / Ihren Sohn beweint.“ muss ich einfach feststellen, dass die DDR zumindest textlich die bessere Nationalhymne hatte. In ihr wird nämlich deutlich, dass hier ein Staat besteht, der versucht aus seinen (ziemlich umfangreichen) Fehlern wenigstens offiziell zu lernen, zumindest so tut als ob. Aber die BRD, damals, hatte anscheinend nichts besseres zu tun als sich zu denken „Och, die Kontinuitäten zwischen einem Regime, dass Millionen von Menschen umgebracht und ein Land in den Abgrund gestürzt hat und unserer schönen, neuen Bundesrepublik sind sowieso so zahlreich, da können wir auch gleich die Nationalhymne von damals nehmen. Da müssen die Leute sich nicht umgewöhnen.“ Dankeschön.
Ich wäre ja dafür, dass die Bundesrepublik Deutschland langsam aber sicher mal eine neue Nationalhymne bekommt, wenn man schon nicht auf sowas verzichten kann. Mein Vorschlag als Komponisten: Rammstein. Dann würde auch ich internationale Sportwettkämpfe schauen. Zumindest, bis es losgeht.
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