The short History of Wurst, Part I

Sehr geehrte Leserin, nur geehrter Leser,

ich freue mich, dass Sie den Weg auf diese unsere bescheidene Seite voller Pamphletismen gefunden haben. Und natürlich ganz besonders, dass Sie den nun folgenden Zeilen ihre Aufmerksamkeit schenken wollen. Es war die ohne Frage clevere Kombination aus einem urdeutschen Wort und einem Anglizismus: Denn es ist wohlbekannt, dass „joy“ aus dem frühen altniederdeutsch stammt und von dort aus den Weg, wohl vermittels Angeln und vor allem Sachsen, auf die britischen Inseln fand, wogegen Wurst aus dem altslawischen einwanderte und sich erst im 9 Jhdt. n. u. Z. in dem damals deutschsprachigen Raum festsetzte. Hätten Sie’s gewußt? Wohl kaum, ist nämlich falsch. Aber ich schweife ab.

Wurst! Darum soll’s gehen in den fortan regelmäßigen Abhandlungen zu einem Fleischgericht, wie es menschlicher nicht sein könnte. Welche Spezies sonst käme auf die wahnwitzige Idee, Innereien in Innereien aufzubewahren? Aber die Wurst ist nur der Ausgangspunkt für eine Erkundungsreise in die dunkle Halbwelt, in der sich Küche und Kultur treffen. Eine kulinarisch-kulturelle Weltreise soll es werden! Und ich habe die unvergleichliche Ehre, Ihr Reiseführer zu sein und Sie, ausgehend von den überraschend vielfältigen Erscheinungsart der Wurst, mit allerlei bunten Anekdoten und heiterem Wissen konfrontieren zu dürfen. Meine Güte, ich könnte kaum glücklicher sein!

Die bunte Welt der Wurst liegt also vor uns! Doch wo anfangen mit unserer gewissermaßen „kultinarischen“ Welterfahrung? Ich als gelernter Wissenschaftler und Wurstwarenfachverkäufer i. R. muss natürlich beginnen mit der Geschichte, danach Fragen wie alles begann, was zur Wurst geführt hat, und so weiter, es tut mir leid, es ist wie ein Zwang.

Was also bewog unsere Vorfahren, die erste Wurst herzustellen? Wer kam auf diese Idee? Warum gerade den Darm, mal ehrlich? Um diese Fragen zu klären, muss man sich wohl zurückversetzen in die ledrige Haut unserer ältesten Vorfahren, vor ca. 10 000 Jahren, irgendwo zwischen Afrika und dem Nahen Osten:

So ein Stamm Homo Sapiens ist recht klein, vielleicht 10 oder ein paar mehr Menschen, bewaffnet mit Speeren und später auch Pfeil und Bogen aus Steinspitzen. Die Männer sind Jäger, Frauen und Kinder Sammler, so wie wir es aus dem Geschichtsunterricht der Schule kennen, wobei das schon ganz schön heteronormativ ist. Nehmen wir also an, dass unser Beispielstamm auf tradierte Rollenbilder geschissen hat und stattdessen die Jäger*innen nach Eignung und nicht nach Geschlecht ausgesucht hat, natürlich genau wie die Sammler*innen. Aber ich schweife ab.

Der tapfere Jäger*innen-Trupp hat nun ein Tier erlegt, vielleicht ein Reh (Capreolus Capreolus) oder einen afrikanischen Büffel (Syncerus Caffer). Was tun, mit diesem Tier? So verschwenderisch wie heute („250 Gramm vom Rauchschinken, bitte“) konnte man damals nicht sein, viel zu prekär war die Lage unseres Stammes: wer konnte schon sagen, wann das nächste Tier erlegt würde, und welches es wohl sein täte. Vielleicht ein Mammut (Mammuthus) oder doch nur ein Wildkaninchen (Oryctolagus cuniculus)? Man weiß es nicht, und gerade deshalb galt alle Aufmerksamkeit unseres Stammes bei der Inspizierung der Beute auf Zweitverwertung. Jungsteinzeitliches Recycling, sozusagen, der moderne Mensch heißt ja nicht umsonst so. Fleisch wurde also gegessen, gebraten, gegrillt, geräuchert, nicht zwangsweise in dieser völlig wertneutralen Aufzählung. Aber auch das beste Fleisch verdirbt, deswegen war es nur logisch, dass sich unsere Vorfahren Gedanken über die Konservierung ihrer Beute machten. Denn mit Sicherheit lässt sich sagen, dass die Wurst ganz zu Beginn ein Mittel zur Haltbarmachung war, dass gleichzeitig große Vorteile in der Lagerung mit sich brachte. Die gewöhnliche Wurst lässt sich ja hervorragend stapeln, aufhängen, nebeneinanderlegen und, nun ja, essen. Und das beste ist wohl: Die Wurst im Naturdarm lässt sich im ganzen verzehren, es bleibt kaum Abfall zurück. Falls doch: Naturdarm ist kompostierbar! Der moderne Mensch erstaunt immer wieder. Aber ich schweife ab.

Fakt ist, dass zur Wurstherstellung nicht nur die Grundstoffe Fleisch und Darm benötigt werden, sondern auch Mittel zur Konservierung. Die frühesten Mittel waren dabei Salz und Rauch. Salz wurde aber wahrscheinlich erst bei der Sesshaftwerdung des Menschen wirklich bedeutend, zu arbeitsintensiv ist der Abbau des Salzes aus natürlich Vorkommen, als dass einfache Jäger*innen und Sammler*innen dies hätten ausführlich nutzen können. Bleibt das Räuchern. Dafür wird im einfachsten Fall nur ein großes Feuer und ein Gestell zum Aufhängen der schmackhaften Fleischzylinder benötigt.

Dank umfangreicher Recherchen meinerseits können wir auch faktengestützte Vermutungen (sog. „Guesstimates“, welch schrecklicher Neologismus) anstellen, welche Tiere damals in ihren eigenen Darm gestopft wurden und dabei wahrscheinlich peinlich berührt waren oder alternativ auch den ganz eigenen Zynismus des Weltgeistes verdammt haben. Denn neuesten Funden, meine Quellen stammen aus dem Jahre 1974, zufolge waren die ersten domestizierten Tiere höchstwahrscheinlich Schaf (ca. 8500 v. u. Z.) und Ziege (ca. 7500 v. u. Z.), erst danach kam das Schwein (ca. 7000 v. u. Z.). Somit waren es wahrscheinlich in erster Linie Schaf- und Ziegenwürste, an denen sich die frühen Menschen gütlich taten.

Wahrscheinlich ist auch, dass die Wurst entstanden ist als Notlösung, falls ein harter Winter oder ein verregneter Sommer für Missernten sorgten und somit die Ernährungslage kritischer werden konnte. Und bevor man Opa brät, genehmigt man sich lieber eine nicht ganz so zähe Wurst. Allein das Vorhandensein solcher Abscheußlichkeiten der Wurstfamilie wie Blutwurst und dergleichen weist darauf hin, dass seit jeher der Bedarf besteht, alles, aber auch wirklich alles an einem Tier zu verwerten.

Ein pikantes Detail am Rande: Därme wurde früher vor der Erfindung des Latex-Kondoms auch als Präservative benutzt (die älteste Erwähnung von Präservativen für Männer stammt aus dem Jahr 1605, aber den Menschen kennend und sein Drang, nicht noch ein Maul stopfen zu müssen, lässt darauf schließen, dass es Kondomvorgänger schon seit den ersten Hochkulturen gab). Denkbar ist nun eine zugleich lustige und groteske Begebenheit, bei der ein Mann feststellen durfte, dass Därme nicht nur schützen, sondern auch haltbar machen. Denken Sie sich gerne was dazu aus!

Das nächste mal: Die Wurst in der Antike!