Als ich dereinst irgendwann im Frühjahr 2008 den Umschlag des Akademischen Auslandsamtes öffnete, war ich naturgemäß voller Spannung, ob ich denn in Schweden mein Erasmusjahr verleben durfte. Ich durfte nicht. Stattdessen hieß es für mich, mir eine Wohnung in Zürich zu suchen und dort ein Jahr lang Filmwissenschaften zu studieren, an der Universität des Kantons Zürich, die nicht die Eidgenössisch Technische Hochschule ist (weil erstere vom Kanton finanziert wird, letztere vom Staat). Ich hatte am Ende aber eine wahnsinnig tolle Zeit und viel Wissen über Filme angehäuft, letztlich war es vielleicht sogar besser für meine Leber, immerhin sind schwedische Studierende nicht gerade für ihre Abstinenz bekannt.

Als Magister Artium in Medienwissenschaft (und Politikwissenschaft) hatte ich in Zürich natürlich auch ein Auge auf die Presse und was diese so berichtete. Im selben Jahr, in dem ich besagten Umschlag aufriss, nur sehr viel später, berichtete die schweizerische Gratiszeitung „20 Minuten“ über ein Verbot von Energy-Drinks an einigen eidgenössischen Schulen. Tatsächlich fielen mir zuvor auch extrem viele Menschen, vor allem Jugendliche, mit Energy-Drink-Dosen und Flaschen auf, an denen sie mehr oder weniger genüsslich süffelten. Natürlich kannte ich damals schon Energy-Drinks ausgiebig, allen voran Red Bull, aber so richtig angefreundet hatte ich mich bis dahin noch nicht mit dieser Getränkesorte. In erster Linie, weil’s irgendwie bäh ist.

ethnical disgust_freebirdDas findet auch dieser Mensch vermutlich indonesicher Ethnie. By Freebird, via Flickr.com

Warum trinken Menschen das? Warum haben einige Leute anscheinend den Drang, sich dieses Zeug bis zum Get No die Kehle hinunterzustürzen? Geschmack? Leistungsfähigkeit? Und warum dann nicht lieber Tee?

Jugendliche haben einen sich wandelnden Bio-Rhythmus, der sie nachts lange aufbleiben und morgens wenig aktiv sein lässt. Insofern wäre es verständlich, wenn mensch das versucht mit diversen Mitteln (von kalter Dusche bis kaltem Kaffee) zu kontern. Aber die Menge, die heutzutage an Red Bull, Magic Man, Black Panther und Club Mate (Pffff… Hipster!) konsumiert wird, von einer einzelnen Person und innerhalb eines Tages, scheint mir bedenkliche Formen anzunehmen. Ich kann mir nur vorstellen, was die Gründe dafür sein können:

In unserer Welt, dominiert vom Zeitdruck und Leistungswahn, fehlen vielen Menschen die kleinen Momente des Innehaltens und der Ruhe. Von allen Seiten stürmen Anforderungen auf uns zu: Lerne dies! Arbeite hier! Kaufe das! Reise dorthin! Nimm auch du teil an jenem Gedöns, dass andere tun und du nicht unbedingt tun musst, aber es macht sich zumindest gut auf dem Lebenslauf und du willst doch einen super Lebenslauf haben immerhin willst du ja auch was ordentlichen arbeiten nachher und viel Geld verdienen um Dinge zu kaufen die du nicht willst und nicht brauchst aber so läuft das alles nun mal nicht wahr undschaumalhiereinEichhörnchen!

european squirrel_jorund MyhreLangsam aber sicher wird ja das europäische (rote) Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) vom eingewanderten Grauhörnchen (Sciurus carolinensis) verdrängt. By Jörund Myhre, via Flickr.com

Jedenfalls: Es wird ja von niemandem mehr erwartet, dass mensch sich Zeit nimmt. Alles geschieht schnell, unter Druck und am besten gleichzeitig mit anderen Sachen. Klar, den Druck machen wir uns zum Teil selber, weil wir Sachen bis um letzten Moment aufschieben. Aber wenn wir dann auch noch Energy-Drinks zu uns nehmen, in der Hoffnung, diese Hausarbeit jetzt einen Tag vor Abgabe doch endlich mal fertig zu stellen, dann geraten wir in eine Spirale aus Druck und Drogen. Statt eine unangenehme Stresssituation im vorneherein zu vermeiden, versuchen wir deren Auswirkungen zu mildern, indem wir (vermutlich) leistungssteigernde Mittel zu uns nehmen, mit deren Auswirkungen wir letzten Ende nicht zufrieden sind, weil sie nur dafür sorgen, das wir schaffen, was wir schaffen müssen, und nicht etwa so etwas wie Qualität sicherstellen. Denn seien wir ehrlich: Jede Arbeit, die unter massivem Zeitdruck entsteht, ist nie das, was sie hätte sein können.

Und dann gibt es da noch die Theorie, dass wir uns konstant mit Taurin, Glucuronolacton, Inosit, Koffein und/oder Guaraná befüllen, um unsere Körper in einem beständigen Stresszustand zu halten. Dadurch stumpft unser Körper aufgrund der andauernden Flut von Stresshormonen gegen diese ab und wir finden unser unerträglich hektisches Leben plötzlich erträglicher. Insofern wären Energy-Drinks also eigentlich sogar kontraproduktiv in dem Sinn, als dass sie uns davon abhalten, tatsächlich unzumutbare Zustände unseres Lebens zu ändern. Oder es gilt einfach, nach einer durchzechten Nacht den nächsten Arbeitstag zu überstehen, ohne sich vor Selbsthaß völlig zu blockieren. Kann auch sein.

blockade runner_villagelincaDann nämlich bräuchte mensch dringend einen Blockadebrecher. By Villagelinca, Via Flickr.com

Natürlich nutze ich auch hin und wieder Red Bull und Konsorten, um mich auf langen Autofahrten wachzuhalten. Die Massen an grünem und schwarzen Tee, auf die mein Körper während des Schreibens meiner Magisterarbeit klar kommen musste, hat er mir wahrscheinlich noch nicht verziehen. Aber Tee ist eben auch nur das: getrocknete Blätter und heißes Wasser, wohingegen Energy-Drinks eine wilde Mischung aus diversen künstlichen und natürlichen Chemikalien darstellen, deren Auswirkungen auf den menschlichen Körper teilweise nur vermutet werden können. Auch wenn Tee und Kaffee in dieselbe Kerbe schlagen wie Energy-Drinks: Gesünder sind die pflanzlichen Alternativen allemal.

Wo wir gerade bei pflanzlich sind: Kakao wirkt ebenso anregend. Tatsächlich haben Menschen im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert Kakao morgens getrunken, erst später kam der Kaffee. Und nebenbei ist Kakao in Tafelform unheimlich großartig! Also Leute, esst mehr Schokolade! Zumal die wohl kaum in Schweizer Schulen verboten werden wird.