Diese Kolumne ist für mich immer wieder eine kleine Gratwanderung. Zum einen soll sie ja durchaus persönlich gestaltet sein, immerhin rege ich mich hier ja auf und nicht jemand anders. Aber wie mich die ersten Ausflüge ins Internet gelehrt haben, ist es nicht immer toll, persönliches von sich preiszugeben, schon gar nicht auf einer öffentlich zugänglichen Webseite wie unserer hier. Der Knackpunkt ist also: Wieviel erzähle ich von mir, wieviel halte ich versteckt? Und interessiert das, was ich erzähle, die Menschen überhaupt? Dann wiederum: Wenn’s daraus ein guter Aufhänger entsteht, dann erörtere ich gerne Details aus meinem Leben!

Ich bin arbeitslos. Meine letzten Prüfungen schloss ich im November 2012 ab und bin seitdem auf Jobsuche. Solange das Wintersemester lief, war’s irgendwie noch okay, aber nun kommt das Sommersemester und aufgrund einer fehlenden Rückmeldung meinerseits (und dem Exmatrikulationsantrag, den ich noch abgegeben muss) werde ich bald kein Student mehr sein. Stattdessen bin ich arbeitslos. Das ist erstmal Scheiße. Scheiße auch deswegen, weil Arbeitslosigkeit natürlich ein gewisses Stigma in unserer Gesellschaft ist. Aber auch, weil mensch ziemlich viele Behördengänge in Angriff nehmen muss, um nicht mehr arbeitslos zu sein. Wie jeder ordentliche Arbeitslose bin auch ich im Arbeitsamt in der Arbeitsagentur vorstellig geworden. Dort sagte fragte die liebe Frau hinter dem Schalter mich erstmal, warum ich überhaupt in die Arbeitsagentur gekommen sei, wenn ich in einem Zeitraum von zwei Jahren vor heute nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Ohne eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung stünde einem nämlich kein Arbeitslosengeld zur Verfügung und ich hätte besser im Jobcenter in Trier-West (das vor kurzem dort errichtet wurde) nachgefragt. Dafür war ich also früh aufgestanden und hatte mich bei diesem scheißkalten Wetter aufs Rad geschwungen, um in Trier-Nord (hinterm Nells Park, das ist schon fast nicht mehr Trier!) der Arbeitsagenturbürokratie meine Aufwartung zu machen. Hurrah. Gerade noch konnte ich also die drohende Sinnlosigkeit meines Tuns abwenden, indem ich auf meine Beschäftigung als Hilfswissenschaftler an der Uni hinwies. Meine Hoffnung: Bitte lass es keinen Minijob gewesen sein! Aber eigentlich wusste ich es besser.

434px-Peter_HartzDanke, Peter Hartz! Via Wikimedia Commons

Ich durfte in der Wartehalle platznehmen und war froh, mir ein Buch mitgenommen zu haben. Denn die angebotenen Lesestoffe bestanden aus einer fragwürdigen Lokalpostille, die im Familienbetrieb entstand und kostenlos verteilt wurde, sowie aus einer kulturellen Umschau in der Region, die sich mangels kultureller Umschauung auf Saarbrücken und Luxemburg beschränkte. Während also verschiedene Einkommensschichten und Nationalitäten an mir vorbeidefilierten und ich mich über das pseudoalternative Aussehen eines jungen Sachbearbeiters wunderte (er trug ein kleines blondes Bärtchen und eine Strickmütze), fiel mir auf, wie völlig entwürdigend diese Situation war. Ich bin doch ein gut ausgebildeter junger Mann und habe Praktika gemacht, habe mich ausserhalb der Uni engagiert, schreibe einen hippen Blog, mache dieses Social Media-Gedöns mit, kann fehlerfrei Deutsch sprechen und schreiben, andere Fremdsprachen klappen auch, und nun sitze ich hier und bettle quasi den Staat um Almosen an. Dankeschön! Bevor ich aber völlig in die Spirale dieses Wahnsinns hinabschlittern konnte, rief mich der Klang meines Nachnamens zur Ordnung. Ich legte meiner Sachbearbeiterin meine Situation und meinen Lebenslauf vor und sie musste mich leider enttäuschen. Nein, Arbeitslosengeld bekäme ich nicht, der HiWi-Job zähle nicht, aber ich könne Hilfe bei der Vermittlung einfordern. Während sie mich also in das Arbeitsagentur-System einpflegte mussten wir zusammen feststellen, dass das System meinen Abschluss nicht anerkennt. Einen Magister Artium in Politikwissenschaften oder auch in Medienwissenschaften könne sie nicht finden. Aber dass das System meinen Abschluss nicht anerkennt, hatte ich ja schon durch die vielen Absagen in meinem Papierkorb und der frustrierenden Suche nach Stellenanzeigen für Geisteswissenschaftler erahnt. Irgendwie konnte sie mich doch eintragen und verabschiedete mich mit zwei Broschüren, die mir den Unterschied zwischen arbeitssuchend und arbeitslos zu erklären versuchten und dem Hinweis auf das Jobcenter. Allerdings „hole“ mensch dort nur bis 12 Uhr „an“ und ich sollte es doch anderntags probieren. Wieder fiel mir ein, dass mein erstklassiges Deutsch doch ein wesentlicher Pluspunkt auf meiner Bewerbung war.

german beer drinking_mattsabo17Ach, Deutschland. Das Land in dem wir Leuten sagen müssen, dass sie bitte nicht die Gläser stehlen sollen. By Mattsabo17, via Flickr.com

Während ich dann anderntags ein weiteres Mal durch den kalten Trierer Frühlingsmorgen radeln durfte, wurde mir bewusst, wie bekloppt diese Aufteilung eigentlich ist. Ich gehe in die Arbeitsagentur, um einen Job vermittelt zu bekommen, kriege aber kein Geld. Dafür muss ich in das Jobcenter, welches mir keine Arbeit, aber immerhin Geld zuteilt. Was sollte die Umbenennung nochmal bringen? Ein besseres Image? Zu mehr Transparenz im Behördenwahn trug sie anscheinend nicht bei, vielen Dank. Im Jobcenter zieht mensch übrigens klassisch noch eine Nummer, allerdings bestellt mensch die per Touchscreen und nicht per Knopfdruck. High-Tech für das Trierer Low-End. Wieder war ich froh, ein Buch dabei zu haben und nicht den Erläuterungen eines Vaters lauschen zu müssen, welcher seiner erwachsenen Tochter erklärte, auf welche Nummer sie zu warten und welchen Bildschirm sie zu betrachten habe. Meine Nummer wurde aufgerufen, aber am Schalter sagte man mir, ohne Exmatrikulationsbescheinigung könnte mensch mich dort nicht „anholen“ und ich müsste mit einer entsprechenden Bescheinigung wiederkommen, bevor man mich irgendwie beraten könnte. Immerhin war ich um zwei Broschüren über das Arbeitslosengeld II (vulgo: Hartz IV) reicher und konnte mit dem zufriedenen Gefühl wieder heimradeln, wenigstens ein bisschen Sport gemacht haben zu können.

Das Schlimme an der ganzen Sache: Ich habe ja erst die Spitze des Eisbergs kennengelernt. Weiter- oder Fortbildungsprogramme, Bewerbungstraining, Finanzdurchleuchtung, von all dem bin ich (noch) verschont. Wieviele Termine sowohl im Jobcenter als auch in der Arbeitsagentur stehen mir bevor? Muss ich erstmal mein mickriges Erspartes hergeben, bis der Staat einsieht, mir mein Recht als Staatsbürger zuzugestehen? Denn die Tatsache, dass ich in der Arbeitsagentur eine Kundennummer bekomme oder dass ich das dort nur per kostenpflichtiger Nummer anrufen darf zeigt doch: Arbeitslosenunterstützung ist kein Recht mehr, sondern eine Dienstleistung. Arbeitslose sind Kunden, keine Bürgerinnen oder Bürger. Die Denkweise dahinter aber ist pervers: Rechte muss der Staat gewähren, Dienstleistungen aber kann mensch einfach entziehen oder verweigern. Pervers ist auch die Tatsache, dass Lohnarbeit zentrales Überlebensmittel und gesellschaftliche Erwartung, gleichzeitig aber nicht für jeden gewährleistet ist. Denn im Arbeitsmarkt stehen die Menschen nicht in friedlicher Koexistenz oder in Kooperation miteinander, sondern im Konflikt und Wettbewerb um eine begrenzte Anzahl an Stellen. Aber wie soll die Erwartung von Lohnarbeit erfüllt werden, wenn per Marktgesetz das Angebot an Arbeitsstellen begrenzt ist? Lohnarbeit wird somit zur Zwangsmaßnahme und zum Luxus zugleich, aber nur für diejenigen, die sich eine Lohnarbeit auch, nun ja, leisten können, qua Ausbildung oder besonderer Fähigkeit. Und vor allem ist der Arbeitsmarkt derart volatil, dass selbst gut ausgebildeten jungen Männern eine Arbeitsstelle nicht garantiert werden kann, obwohl doch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung die Voraussetzung für fast alle anderen Boni der Staatsbürger*innen*schaft ist. Überhaupt stellt sich dann einfach die Frage: Warum muss Lohnarbeit als zentrale Lebensressource durch einen völlig unkontrollierbaren Markt verteilt werden, warum gibt es kein alternatives System? Oder warum denkt anscheinend niemand zumindest darüber nach? Das ist doch alles völlig bescheuert und widersprüchlich.

Gerne würde ich jetzt wieder den Bogen zum Anfang schlagen oder auf einer positiven Note enden. Aber weil die beste Zeit in meinem Leben sehr bald auch rein formal zu Ende geht und meine Zukunft, auch dank Markt und Lohnarbeitszwang, nicht unbedingt in den freundlichsten Farben gemalt ist, kann ich das leider nicht tun. Ich hoffe nur, das alles am Ende gut wird. Wie immer also.