Es gibt eine bestimmte Art von Artikel, die mir besonders aufstößt und das sind Artikel, die mir erklären wollen, warum der Feminismus versagt hat und nicht mehr zeitgemäß ist. Texte dieser Art erscheinen in beängstigender Regelmäßigkeit. Die Autor*inn*en sind Männer* oder Frauen*, Feminist*inn*en und Antifeminist*inn*en. Die Kritik bleibt stets die gleiche: Der moderne Feminismus ist so sehr mit sich selbst und unwichtigen Themen, wie geschlechtergerechter Sprache, beschäftigt, dass er die wichtigen Themen, wie sexuelle Gewalt, vergisst.

Seit dem 7. März 2016 dürfen wir auch Meike Lobo in diesem Pool von Autor*inn*en begrüßen. In einem ausführlichen Artikel in der Zeit beschreibt sie, warum der moderne Feminismus nur aus Schreihälsen und Mimosen besteht und dass er letztendlich die meisten Frauen und Sympathisanten im Regen stehen lässt. Dabei entlarvt sie (vermeintliche) Einwände wie derailing oder Hinweise auf die Heterogenität des Feminismus als bloße Ignoranz.

Die leidliche Symbolfigur

Ich finde vieles in diesem Artikel interessant. Zum Beispiel wenn die Galionsfiguren des deutschen Feminismus als Beleg für die nicht vorhandene Kritikfähigkeit zitiert werden. Diese sind in erster Linie aber nur medial präsente Feministinnen. Das macht sie natürlich allein ihrer Prominenz wegen für den Feminismus bedeutsam, weil sie sozusagen das Gesicht der Bewegung sind. Aber macht sie das zu den wichtigsten oder inhaltlich bedeutsamsten Feminist*inn*en für die Bewegung? Ich sage: Nein. Auch wenn ich mich über Personen wie Anne Wizorek (der Erfinderin des Hashtags #aufschrei) oder Schauspieler*inn*en freue, die sich positiv zum Feminismus bekennen, so stellen sie nur die Spitze des Eisbergs dar und stehen in den wenigsten Fällen für die Frauen, die den Feminismus inhaltlich weitergebracht haben.

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16348874625_dc7a859141_zEine dieser Schauspielenden ist Emma Watson, aber auch Beyonce gehört zur wachsenden Gruppe an prominenten Frauen, die sich als Feministinnen ‘outen’.

Insbesondere für Schauspielende gilt, dass ihnen oft der theoretische Unterbau fehlt, um sich differenziert mit dem Thema auseinander zu setzten. Nicht etwa weil sie dumm sind, sondern weil sie einen Großteil ihrer Zeit mit ihrem Beruf verbringen: Schauspielen. Da gehört das Lesen von Butler oder bell hooks nicht unbedingt zum Beruf. Wer jetzt dagegen halten will, dass Anne Wizorek keine Schauspielende ist, hat durchaus Recht. Aber #aufschrei hat für die Bewegung selbst nicht zwingend neue Erkenntnisse gebracht (niemand, der*die sich schon mit dem Thema befasst hat, war überrascht über die Menge der beschriebenen Erfahrungen). #Aufschrei war deshalb bedeutend, weil es mediale Präsenz für ein schon lange erkanntes Thema möglich gemacht hat.

Die benannte Spitze des Eisbergs verdeutlicht aber eines: Das Bedürfnis unserer Gesellschaft  nach Leitfiguren oder Anführer*inn*en für politische Bewegungen, die komplizierte Forderungen auf einfache Symbolfiguren reduzieren. Fakt ist aber, dass ‘der’ Feminismus nie eine homogene Bewegung war. Er kämpft zwar seit hundert Jahren konsequent gegen die existenziellen Diskriminierungsprobleme von Frauen, wie sexuelle oder häusliche Gewalt, aber eben auch für das eigentliche Ziel: gesellschaftliche Gleichberechtigung. Und spätestens seit den 1960er Jahren streitet sich die Bewegung leidenschaftlich über den Weg zu diesem Ziel.

Alte Konflikte, neue Probleme

Ein gutes Beispiel für die sich daraus ergebenen Probleme sind der Gleichheits- und Differenzfeminismus. Beide werden als feministisch identifiziert, obwohl sie sich in ihrem theoretischen und politischen Ansatz rudimentär unterscheiden. Der Gleichheitsfeminismus geht in seiner Grundannahme davon aus, dass es keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt. Klassisches Beispiel ist an dieser Stelle Beauvoirs bekanntes Zitat: “Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht.” Dagegen erkennt Differenzfeminismus kulturelle, biologische und historisch geschaffene Differenzen zwischen Mann und Frau an. Der Differenzfeminismus fordert also eine Anerkennung dieser Unterschiede und dennoch eine Gleichberechtigung, während der Gleichheitsfeminismus auf Sozialisationsmechanismen verweist. Spätestens seit Butler wurde dieser Ansatz weiterentwickelt. Mittlerweile werden auch biologische Unterschiede mit dem Verweis auf feministische Wissenschaftskritik in Frage gestellt.

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3902404878_448288eee8_zAuch die Biologie hat nicht immer nur einfache Antworten.

Wer an dieser Stelle jetzt die Absurdität von Butler kommentieren will, den*die werde ich nicht abhalten können. Aber an dieser Stelle sei auch gesagt, dass auch aus der Biologie selbst (schon seit den 1980er Jahren) vehement Wissenschaftskritik an der Biologie geübt wird. Anne Fausto-Sterling gehört hier zu den Koryphäen. Sie und andere zeigten und zeigen auf, wie sehr biologische Studien von unreflektierten Geschlechterstereotypen geprägt werden. Setzt man* sich mit den Forschungsergebnissen dieser Forschenden auseinander, dann wird sehr schnell klar, dass räumliches Vorstellungsvermögen nicht wirklich etwas mit Biologie zu tun hat, sondern mit individueller und gesellschaftlicher Erziehung. Sowieso wirkt dieser Abschnitt von Meike Lobos Artikel fast wie aus der Zeit gefallen. Nicht nur weil der Differenzfeminismus anscheinend doch noch nicht ausgestorben ist, sondern weil dieser Teil so wirkt, als sei er aus Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken abgeschrieben.

Wenn alle Stricke reißen: Männerhass

Wer aber DEN Feminismus kritisiert, weil “die Bewegung” nicht erkennt, wie unterschiedlich Frauen und Männer sind, hat sich offensichtlich nicht wirklich mit dem ‘modernen’ Feminismus auseinander gesetzt. Es erscheint mir fraglich, ob Frau Lobo sich regelmäßig mit feministischen Themen befasst. Denn sie zitiert den alten Mythos des Männerhasses, wenn sie darauf verweist, dass (ausschließlich weibliche) Feministinnen nur Mitstreiterinnen mit Gebärmutter wollen. Verfolgt man aber die Entwicklung (besonders) des Onlinefeminismus, dann wird deutlich, dass der amerikanische, englische, aber auch der deutsche Feminismus schon langer nicht mehr nur aus Frauen besteht, sonder bewusst inkludierender geworden ist. Und ja, dazu gehören auch Männer! Zusätzlich ist schon seit einigen Jahren Trans- und Intersexualität (zusammen mit anderen wichtigen Aspekten wie Rassismus) einer der wichtigen neuen Themenkomplexe. Im Zuge dessen legen viele feministische Strömungen wert darauf inkludierend zu sein und gleichzeitig trotzdem die richtigen Schutzräume zu bieten.

Ich will nicht abstreiten, dass es Feministinnen gibt, die keine Männer wollen und alle Penisträger verteufeln. Ich persönlich finde so etwas nicht hilfreich und weiß um viele andere Feminist*inn*en, die das ähnlich sehen. Aber auch hier gilt: Nur weil man* erkannt hat, dass Frauen diskriminiert werden, macht das eine*n nicht zum besseren Menschen. Nur weil man* ein Unrecht erkennt, hält das eine*n nicht davon ab, in anderen Bereichen unreflektiert zu sein. Für die rassistischen Pauschalisierungen nach Köln gilt das gleiche wie für feministischen Aktivismus. Arschlöcher gibt es überall, egal welche Hautfarbe, welches Geschlecht und welche politische Überzeugung.

Das gute alte Imageproblem

Viele dieser von Meike Lobo formulierten Vorwürfe zeugen von einer leider nur oberflächlichen Auseinandersetzung mit den von ihr kritisierten Themen. Es gibt nur einen Punkt, bei dem ich Meike Lobo zustimme. Der Feminismus hatte und hat immer noch ein Imageproblem. Aber das liegt nicht daran, dass er ab und zu mal wütend ist oder dass er sich mit gegenderter Sprache befasst, sondern dass er keine einfache Antwort auf komplizierte Fragen liefern kann. Natürlich ist ein Hemd mit Bildern von nackten Comicfrauen von einem Wissenschaftler isoliert betrachtet vielleicht nicht wirklich problematisch. Aber in der gesellschaftlichen Realität, in der Frauen auf ihr Äußeres reduziert werden, in denen ihnen permanent Kompetenz für Technik (übrigens auch mit Biologismus) abgesprochen wird, in denen davor gewarnt wird Wissenschaftlerinnen* einzustellen, weil sich ihre Kollegen in sie verlieben könnten oder in denen sie nie wirklicher Nerd, sondern lediglich ein Nerdgirl (wegen ihres Lebenspartners und nicht weil sie sich schon immer selbst dafür interessiert haben) sein können, bekommt so etwas ein anderes Gewicht.

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Und man darf nicht vergessen, wie Frauen in Comics oft dargestellt werden.

Greift man* nur dieses Beispiel heraus um Feminismus zu illustrieren, ist es kein Wunder, dass er als unwichtig oder hysterisch erscheint. Aber es ist eben nur eines von vielen Themen. Kein*e Feminist*in, die*den ich je getroffen habe, setzt sich nur mit einem solchen Thema auseinander, sondern beschäftigt sich auch immer mit anderen Themen. Dazu gehören auch die ernsten Themen wie sexuelle Gewalt. Aber es ist genauso falsch und gefährlich Feminismus nur auf Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe zu reduzieren, denn dann würde man* wichtige Mechanismen ignorieren, die dazu beitragen, dass diese Dinge zum Alltag gehören. Es sind wichtige Errungenschaften des Feminismus, dass wir mittlerweile Mechanismen wie slutshaming, victimblaming oder auch den Überbegriff rape culture kennen. DAS ist Ursachenforschung. Denn diese Mechanismen zusammen mit den Geschlechterbildern aus Werbung, Film und Büchern erzeugt eine Gesellschaft, in der Verbrechen von sexueller Gewalt in hoher Prozentzahl Frauen erleben.

Das Detail im Kontext

Natürlich kann man* ‘dem’ Feminismus Kleinteiligkeit vorwerfen, aber wenn es um die Veränderung von gesellschaftlichen Bildern und Stereotypen geht, dann reicht es eben nicht nur ein Gesetz zu ändern. Dort sind es eben die vielen kleinen und großen Problemkomplexe, die letztendlich die Gesellschaft schaffen, in der wir uns bewegen. Es reicht nicht, nur sexuelle Übergriffe oder sexualisierte Bilder in der Werbung zu kritisieren. Es geht eben auch um Klischees in Filmen und Serien. Es geht um gewaltvolle Sprache. Es geht um Frauen, die nicht ernst genommen werden und als hysterisch bezeichnet werden, wenn sie über ein Trauma reden. Und ja, es geht auch um den Wissenschaftler, der keine Rücksicht auf den Kontext nimmt, in dem er sich bewegt.

Sind die Reaktionen aller Feminist*inn*en immer angebracht und sachlich genug? Nein, das vielleicht nicht, aber auch hier handelt es sich nur um Menschen. Menschen, die tagtäglich gegen Unterdrückungsmechanismen im Alltag, im Beruf und in der Freizeit kämpfen und gleichzeitig sehr, sehr oft gesagt bekommen: Du bist zu laut, du bist zu wütend. Dass man* sich da mal im Ton vergreift ist verständlich, wenn auch nicht immer zielführend, aber auch solche Momente gehören eben zur politischen Arbeit.

Das Problem des Feminismus ist nicht, dass er zu laut und zu wütend ist. Das Problem ist, dass er unbequeme und komplizierte Antworten auf unangenehme und komplizierte Fragen gibt. Artikel wie der von Meike Lobo lösen das Problem nicht, sondern stellen sich in eine Tradition der Diskreditierung von feministischem Engagement, das auf die Aussagen von einzelnen Akteur*inn*en reduziert wird, ohne den Umfang feministischer Arbeit wirklich zu kennen und zu würdigen.

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