Oft kritisieren wir ja genau diejenigen sehr scharf, die wir eigentlich mögen. Ein schweres Schicksal für Kinder mit strengen Eltern, Musiker*innen mit dem frisch erschienen zweiten Album sowie für Videospieleentwickler*innen und -Publisher*innen. Beispiel Ubisoft: Manchmal fühle ich mich fast schlecht, wenn wir mal wieder in einem Podcast den französischen Spieleriesen aufs Korn nehmen. Aber dann muss ich nur an spektakuläre Fehlschläge wie Assassin’s Creed: Unity, die Verjüngung und Casualisierung von Splinter Cell oder auch den genialen, unheimlich nützlichen (/Ironie) Kopierschutz Online-Client Uplay denken.
Dann weiß ich: Kritik ist absolut berechtigt. Vor allem blutet mein Herz immer dann, wenn es um Assassin’s Creed geht, eine Reihe, deren ersten Teil ich trotz seiner Wiederholungen immer verteidige, deren zweiten Teil ich sogar mit Begeisterung spielte. Mit Brotherhood und Revelations war klar: Die Serie wird gnadenlos gemolken, was mich allerdings nicht davon abhielt, auch den dritten Teil zu spielen. Und weil Black Flag von vielen Kritiker*innen nach dem eher mäßigen AC3 gelobt wurde, gab ich auch dem Piratensetting eine Chance. Nur leider entpuppte sich dieses Spiel als eine leidlich unterhaltsame Tretmühle, in der ich nur selten das Gefühl bekam, etwas irgendwie Sinnvolles zu tun.
Via Flickr, by Baldwin Saintilus
Huch, das sind ja Assassinen auf dieser Bank. Das wäre mir so gar nicht aufgefallen. Sehr unauffällig, diese Leute
Als wollten sie Zweifler wie mich überzeugen, die Serie noch nicht völlig aufzugeben, veranstaltete Ubisoft letzte Woche ein Anspiel-Event für das am 23. Oktober 2015 für die Konsolen erscheinende Assassin’s Creed Doppelpunkt Syndicate. Stilgemäß (und vom PR-Team wahrscheinlich völlig uneigenützig vorgeschlagen) sollten diese Events in Irish Pubs stattfinden, dem Setting des Spieles entsprechend. Obwohl Deutschland viele Pubs hat, waren im Budget wohl nur drei Städte drin: Berlin, Hamburg und Köln. Da ich mir gerade in Berlin die Zeit vertreibe, bin ich also mal vorbeigefahren.
Ich war dabei sogar positiv gestimmt, denn zum einen fand (und finde) ich die Idee eines solchen Events sehr schön, zum anderen mag ich Cider und freue mich über jede Gelegenheit, 0,4l des Apfelschaumweins in mich zu kippen. Als erstes wurde mir vor Ort ein Getränkegutschein in die Hand gedrückt, zum Glück nur in eine, denn in der anderen hielt ich bereits mein erstes Ciderglas. Ubisoft’s PR-Abteilung hat für diese Veranstaltungen eine Event-Agentur gebucht, welche die sogenannten Walking-Acts stellte: Semiprofessionelle Schausteller, die in Kostümen umhergehen und für die nötige Atmosphäre sorgen. Mit einem massigen Kerl im langen Mantel konnten Mutige Fingerhakeln oder Armdrücken. Und kurz nach meinem Eintreffen wurde eine Tombola abgehalten, bei der es kleine und große Gimmicks zu gewinnen gab. Das alles sollte aber nur das Rahmenprogramm für den Abend sein, im Mittelpunkt standen die vier Konsolen, auf denen der neueste Assassin’s-Creed-Teil lief.
Das schöne war, dass jede*r der Anwesenden selbst eine Runde zocken konnte. Normalerweise bleibt dies ja meist entweder ausgesuchten Journalist*innen oder Messebesuchern vorbehalten, hier konnten aber “ganz normale” Leute, ohne Presseausweis und jenseits von Drei-Stunden-Warteschlangen den Controller in die Hände nehmen. Wer die Berichterstattung um den neuen Teil verfolgte, kannte den demonstrierten Ausschnitt jedoch: Es handelt sich um die sogenannte “Black-Box-Mission”, welche die weibliche Heldin Evie in den Tower of London führt. Eine bekannte Demo, die auch schon auf der Gamescom angespielt werden konnte. Ubisofts Community-Zuständiger und Social-Media-Mensch Chris Geissler, der geduldig meine völlig unvorbereiteten Fragen beantwortete, erklärte mir, dass es darum ginge, Evies Gameplay und Geschichte näher zu beleuchten. Ich hätte ehrlicher gefunden zu sagen, dass Ubisoft für dieses Event keine eigene Demo programmieren wollte. Denn vergangenen Freitag war bei 1080Nerdscope (zu denen eigentlich ein kleiner Rant fällig wäre, aber die Zeit! Sie verinnt!) zu sehen, dass bei einem Anspielevent von Ubisoft die anwesenden Journalist*innen einen anderen Ausschnitt des Spiels, vielleicht sogar ganz London erspielen konnten. Vielleicht hätte Ubisoft da mehr Vertrauen in ihr eigenes Spiel und ihr Publikum haben können.
Via Flickr, by Victor Vic
Zumindest soviel Vertrauen, wie diese Katze in einen Auftragskiller hat. Sch, Sch, alles wird gut…
Denn, wie mir Chris auch bestätigte, ging es bei diesem Event darum, dass durch Assassins’s Creed Doppelpunkt Unity zerstörte Vertrauen wieder herzustellen. Das ist zunächst ein wirklich lobenswertes vorhaben. Denn Ubisoft sieht sich beständig Kritik ausgesetzt, nicht immer wegen der Qualität ihrer Spiele, sondern oft aufgrund des Drumherums. Kontrovers wurde der “Große Ressourcenmangel” im letzten Jahr aufgenommen, als angeblich nicht genug Zeit und Geld da war, um statt mit Klonen des Unity-Protagonisten auch mit einer weiblichen Assassinin wenigstens im Co-Op-Modus zu agieren. Und auch die Werbung von FarCry 4 wurde thematisiert, manche empfanden sie als rassistisch. Schließlich wurde während und nach der EGX 2015 gerätselt, ob nicht auch The Division ein Grafikdowngrade gegenüber der ersten Präsentation erfahren habe. Statt sich still zu verhalten oder alles wie wild zu dementieren, geht Ubisoft mit offenen Armen (in deren Ärmeln Getränkegutscheine stecken) auf seine Kund*innen zu und versucht Zweifel zu beseitigen. Ein Verhalten, wie ich es mir von mehr großen Entwicklern bzw. Publishern wünschen würde.
Ach ja, da war ja noch etwas: Das Spiel, Assassin’s Creed Doppelpunkt Syndicate. Naja. Es ist halt Assassin’s Creed. Chris versprach mir ein erzählerisch etwas dichteres Spiel und mehr Möglichkeiten, meinen eigenen Spielstil zu gestalten. Mit Evie könne ich eher schleichen, Jacob sei eher auf actionlastiges Spiel ausgelegt. Zumindest den Teil über Evie kann ich ansatzweise bestätigen. Auch wenn Assassin’s Creed nie ein gutes Stealth-Spiel wird, waren zumindest die Ansätze nun da. Die Spielmechanik wird durch den neuen Greifhaken etwas flüssiger gestaltet, die Meuchler*innen können sich nun ohne große Fehlnavigation durch das Gelände bewegen. Mir persönlich aber gestaltet sich der Umgang mit dem Greifhaken als zu einfach, der Parcours-Part des Spiels tritt dadurch zu sehr in den Hintergrund. Die Black-Box-Mission gefällt mir dagegen sehr gut, sie sind ein Brückenschlag zu den etwas freieren Aufträgen des ersten Teils. Statt also in einer linearen Mission am Ende der oder dem Unterarmklingenempfänger*in gegenüberzustehen, darf ich mir selbst aussuchen, wie und auf welche Weise ich an die Zielperson herankomme und ihr das Fährgeld für Charon mitgebe. Chris hat mich noch auf die Möglichkeit hingewiesen, mich beispielsweise festnehmen zu lassen, um an das Opfer heranzukommen. Eine schöne Idee, fand ich, bis mir Chris erzählte, dass diese Möglichkeit auch bei anderen Black-Box-Missionen bestände, was meinen Enthusiasmus etwas dämpft. Denn nun erscheint mir das ganze als zu, nun ja, mechanisch.
Trotzdem: Fast schwebte zuhause mein Finger wieder über dem “Installieren”-Knopf für Black Flag. Aber eben nur fast. Für mich ist Assassin’s Creed Doppelpunkt Syndicate definitv kein Must-buy. Vielleicht später. Immerhin darf ich in Syndicate Aufträge für Karl Marx erledigen. Der hat ja Erfahrung im Austeilen und Einstecken von Kritik.
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