Ich schäme mich ein kleines bisschen. Weil ich damals auf der Straße angesprochen wurde. “Hey”, meinte das Mädel, “du hast doch gerade bestimmt Zeit für Kinder!” stellte sie fest und sich mir in den Weg. Oh nein, rollte ich mit den Augen, wieder so ein Spendeneintreibegedöns, diesmal für die – ein Blick auf den Stand – aha, Malteser. Da ich immer irgendwie Mitleid mit diesen jungen Menschen habe, die auf der Straße Leute ansprechen müssen, ließ ich mich auf ein Gespräch ein. Es lief auch alles ganz gut, es ging um arme Kinder (natürlich!) in Afrika (wo auch sonst?) und ich konnte alle ihre Fragen souverän beantworten, Armut war schließlich mein Magisterarbeitsthema. Tja, nachdem wir uns lange unterhielten habe ich dann tatsächlich diesen Spendenschein unterschrieben. Szenenapplaus der Mitarbeiter. Und am Ende das blöde Gefühl, nicht Nein sagen zu können. Zum Glück war ich nicht der einzige, wie mir später meine Mitbewohnerin eröffnete, die sich auch von einem der Mitarbeiter hat überreden lassen. Zusammen haben wir dann ein wenig später doch noch Nein gesagt, und zwar zu den Maltestern: Wir haben ihnen unsere Einzugsermächtigung entzogen. Trotzdem bleibt der Makel, auf eine Verkaufsmasche hereingefallen zu sein.

“Dialoger” (meist exklusiv in der männlichen Form) ist die selbstgewählte Berufsbezeichnung der Straßenarbeiter, die mal mit Stand, mal mit Tablet in der  Hand, Spenden für gemeinnützige Organisationen eintreiben. Zu den Organisationen gehören Unicef, der WWF, Amnesty International, die Malteser, das Deutsche Rote Kreuz und noch einige mehr. Die Dialoger sprechen eine eigene Sprache: haben sie eine gesprächsbereite Person getroffen, dann versuchen sie diese zum “Schreiben”, also zum unterschreiben einer Einzugsermächtigung zu bringen. Flirten die Dialoger mit jemanden und bringen sie/ihn zum “schreiben”, dann ist das “Sexualschreiben”. Durchschnittlich erflogreiche Dialoger haben einen “Fünferschnitt”, besonders erfolgreiche einen “Zehnerschnitt”. Sie lassen also fünf oder sogar zehn Menschen pro Tag schreiben. Das ist wichtig, weil oft genug die jungen, kommunikativen Menschen im vermeintlichen Kampf für das Gute nach der Zahl ihrer Abschlüsse bezahlt werden. Weniger “Schreiber”, weniger Geld.

Die Dialoger, zum Reden genötigt – von mir

Mittlerweile rede ich mit den Dialogern über ihren Job, wenn ich angesprochen werde. Dann sagt mensch mir immer, dass diese Akkordarbeit ja nur gerechtfertigt sei. Greenpeace hätte die Leute mal nach Stunden bezahlt und die hätten den Verein im Endeffekt mehr gekostet als sie eingebracht hätten. Da wäre es sinnvoller, wenn die Menschen nach Leistung bezahlt würden. Was ich nicht so wirklich verstehen kann, weil die Leistung, da bis zu zehn Stunden auf der Straße zu stehen und Passant*inn*en anzusprechen – diese Leistung erbringen die Dialoger ja unabhängig von ihrem Erfolg. So seien die Regeln nunmal, entgegnet mensch da mir und viele würden ja auch etwas mitnehmen, über sich selbst lernen und Menschenkenntnis bekommen.

Wohlgemerkt: Meist kommen diese Argumente in der gleichen Form daher. Man lerne immer viel für sich, der Job sei schon anstregend und nicht für jeden, aber das Team immer super und man würde am Ende echt viel Geld verdienen. Ausserdem gehe es ja um eine gute Sache. Das Greenpeace-Argument habe ich in der Version übrigens schon bestimmt zweimal gehört, wenn nicht öfter. Ich habe daher den Verdacht, dass die Dialoger nicht nur im Verkaufen der “guten Sache” geschult werden, sondern auch in der Rechtfertigung ihrer Arbeit. Es gibt zwei interessante Artikel zum Komplex “Fundraising durch Dialoger”, einmal aus der Zeit (von 2012) und dann von der taz (aus dem Jahr 2013). Liest man sich, vor allem in der taz, die Kommentare durch, entdeckt man auch hier dieselben Argumentationsmuster. Darauf weist auch ein Zeit-Kommentator hin. Bemerkenswert ist bei der taz, wie massiv hier dem Artikel widersprochen wird.

Via Flickr by Shawn Hoke

street in snow_shawn hoke_kleinWie Schneematsch fielen die Kommentare auf den Artikel, Salz oder gar eine Räummaschine war leider nicht in Sicht. Armes Deutschland.

Und dann gibt es da noch die Seite “fundraising-erfahrungen.com” (übrigens ein wunderbarer Name für die Suchmaschinenoptimierung). Hier berichten angeblich ehemalige Dialoger über ihre Erfahrungen im Spendensammeln. Auch hier ist der Tenor positiv und die Erfahrungen einheitlich. Klar, die Seite gehört der Face2Face Fundraising GmbH in Wien, natürlich findet mensch dort nur positive Eindrücke. Schaut mensch aber auf neutrale Frageportale wie gutefrage.net, könnte man glauben, die selben Menschen, die bei fundraising-erfahrungen.com berichten, wären auch unheimlich aktiv auf diesen Seiten. Für mich steht fest: Da hat jemand Angst um seinen Ruf und deswegen ein aktives Social-Media-Team geschaffen. Und beeinflusst mit wahrscheinlich falschen oder zumindest manipulierten Kommentaren das Bild von sich selbst.

Die Gleichförmigkeit der “Erfahrungen” ist mir unheimlich. Vor allem das Argument “Ich lerne dabei auch unheimlich viel, über mich und andere Menschen.” Denn scheinheiliger kann man eine beschissene Arbeitssituation nicht schönreden. Laut den oben genannten Zeitungsreportagen und auch den Erfahrungen der Kommentatoren ist man bis zu 6 Tage unterwegs, steht von 10 bis 20 Uhr in großen Städten herum und spricht Leute an. Sonntags ist meist Reisetag zum nächsten Zielort. Geschlafen wird in “Unterkünften”, von denen ich bisher nur gelesen habe, diese seien “gewöhnungsbedürftig”. Und dann schwebt einem immer das Unheil über dem Kopf: Finde ich keine Leute, die “schreiben”, kriege ich kein Geld. Oder zumindest wesentlich weniger. Ganz zu schweigen davon, dass manche Fundraising-Agenturen mit Sicherheit Tester auf die Dialoger loslassen, weshalb diese ihre Texte mit beeindruckender Schnelligkeit herunterbeten können. Hier werden junge, idealistische Leute ausgebeutet. Damit die Dialoger das nicht mitbekommen, werden sie eben mit anderen zusammengesteckt, um sich selbst gegenseitig zu versichern, dass sie einen tollen Job machen. Die Möglichkeit, in Deutschland herumzureisen, wird zusätzlich als Erlebnis verkauft. Dass man nach 10 Stunden Leute anquatschen vielleicht keinen Bock mehr hat, weg zu gehen, um diese Stadt tatsächlich zu erkunden – das wird verschwiegen. Museen haben um diese Zeit eh nicht mehr auf. Am Ende gibt es Geld und so das Gefühl, die entbehrungsreiche Zeit hätte sich gelohnt.

Selbstbetrug – Was bleibt dem Menschen denn sonst noch?

Falls trotzdem Zweifeln am eigenen Tun und der Tatsache der eigenen Ausbeutung bestehen, so bleibt noch immer die letzte Bastion des Selbstbetrugs: “Ich habe ja auch was dabei gelernt.” Na toll. In welchem Job lernt ein Mensch, der wenigstens einen Hauch Selbstkritik besitzt, denn nichts über sich? Das ist kein Grund, sondern eine Selbstverständlichkeit. Die Tatsache bleibt: Dialoger wirtschaften nicht in die eigene Tasche, sondern in die Tasche der Agentur. Dialoger setzen sich nicht für eine gute Sache ein, sondern für ihre Agentur. Dialoger lernen viel über sich selbst, aber anscheinend nicht, dass sie – verdammt nochmal – nach Strich und Faden verarscht und belogen werden. Dass die Gründe, für die sie auf die Straße gehen, nur Vorwände sind.

Ich werde mich auch weiterhin von Dialogern ansprechen lassen und mit ihnen über ihren Job reden. Weil ich weiß, wie es ist auf der Straße Leute für eine bestimmte Sache zutexten zu müssen. Weil ich weiß, wie demotivierend das sein kann. Und weil ein entspanntes Gespräch jenseits von armen Kindern und ausbeutenden Agenturen auch mal angenehm ist. Aber ich will mich nie wieder schämen, weil ich auf eine Verkaufsmasche hereingefallen bin. Das zumindest habe ich dabei gelernt.

Featured image by Pedro Szekely